Im Zusammenhang mit der aktuellen Wirtschaftsflaute wird derzeit viel über die Bürokratiekosten diskutiert. Keine Frage, manches an unnötiger Bürokratie könnte man abbauen. Es müssen ja nicht gleich wichtige Arbeitsschutz- und Umweltschutzvorschriften sein, sonst steigen nach einiger Zeit die Kosten an anderer Stelle.

Ein zweites Thema ist letzte Woche hochgekocht: Die Krankenversicherungsbeiträge. Dem sog. „GKV-Schätzerkreis“ zufolge wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung wohl um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent ansteigen. Das ist ein ziemlich großer Sprung, der auch die Wirtschaft spürbar belastet.

Karl Lauterbach wirbt daher für seine Reformen – obwohl die nach Ansicht der Krankenkassen die Beiträge eher weiter steigen lassen als sie zu senken. Gut, wenn das BIPAM und das Herzgesetz uns dereinst wirklich viel gesünder machen sollten, dann wird es wohl so kommen, wie es sich Karl Lauterbach wünscht.

Der Gesundheitsökonom Hartmut Reiners, dessen lesenswertes Buch „Die ökonomische Vernunft der Solidarität“ ich hier vor einem Jahr kurz vorgestellt hatte, teilt in einem Kommentar auf Makroskop die Skepsis der Krankenkassen, was Lauterbachs Kostensenkungserwartungen angeht:

„Das ist nicht nur ein frommer Wunsch, sondern auch verlogen, weil er mit seiner Politik den Krankenkassen bewusst zusätzliche Kosten aufbürdet.“

Er weist hier insbesondere auch auf die möglicherweise verfassungswidrige Beteiligung der GKV am Transformationsfonds für die Krankenhausreform hin. Strukturinvestitionen sind eigentlich nicht Aufgabe der GKV. Dass die PKV außerdem gar nicht mitfinanzieren soll, ist nochmal ein ganz pikanter eigener Punkt.

Schließlich kommt Reiners auch noch auf ein Einsparpotential zu sprechen, das Lauterbach, sei es aus Rücksicht auf die PKV, sei es aus Gründen des Koalitionsfriedens, bewusst nicht anspricht:

„Modellrechnungen haben ergeben, dass der durchschnittliche Beitragssatz in der GKV rein rechnerisch um über drei Prozentpunkte sinken würde, wenn alle Deutschen in der GKV versichert wären und die Beitragsbemessungsgrenze auf das in der Rentenversicherung geltende Niveau angehoben würde.“

Heinz Rothgang und Dominik Domhoff kamen beispielsweise zu solchen Befunden, die Studie ist schon etwas älter, aber vom Grundsatz her noch gültig. Reiners fragt sich, ob die Arbeitgeberverbände daher nicht für eine Bürgerversicherung eintreten müssten, damit ihre Belastung durch Sozialabgaben sinkt, und macht das Weltbild der Arbeitgeberseite dafür verantwortlich, dass sie hier gegen ihr ökonomisches Interesse handeln. So könnte man analog zu den Bürokratiekosten auch einmal „Ideologiekosten“ diskutieren. Auch da bieten sich noch viele andere Sparmöglichkeiten.

Kommentare (28)

  1. #1 Klaus Karsubke
    Langenhagen
    21. Oktober 2024

    Ich bin bei dem ganzen Thema inzwischen sehr radikal. Ich bin der Meinungen, alles an sozialer Absicherung wäre mit einem bedingungslosem Grundeinkommen (BGE) abgegolten.

    Sämtliche sozialen Leistungen und die damit verbundenen aufwendigen Prüfungen könnten entfallen. Keine arbeitgeberseite Zulagen zu den Sozialversicherungen kein Wohngeld, kein Bürgergeld, kein Bafög, kein Kindergeld, kein Mindestlohn usw.

    Wer eine Steuernummer hat, bekommt altersabhängig ein BGE, welche Summe man dafür genau annimmt, ist zu diskutieren. Im schweren Krankheitsfall und bei anerkannter Berufsunfähigkeit kann man natürlich über eine Aufstockung nachdenken.

    Wir verwalten uns über. Wir hätten dann eine schöne Kombination der Systeme. Ein quasi kommunistisches BGE für die Menschenwürde zusammen mit einer dann umsetzbaren radikalen Marktwirtschaft.

    Damit würden natürlich Millionen Arbeitsstellen entfallen. Es sind aber völlig unproduktive Arbeitsstellen. Und diese Menschen könnten dann anfangen, Sinnvolles zu tun. Denn zu tun gibt es in diesem Staate genug.

  2. #2 2xhinschauen
    21. Oktober 2024

    >> mit einem bedingungslosem Grundeinkommen

    Bin gelernter Kaufmann, kein Volkswirt. Ein BGE von nur als Beispiel 1000 Euro p.m. würde ja auch an die Lohn- und Einkommenssteuerzahler fließen, denen man den Betrag dann einfach von der Steuer abzöge. Diese – vermutlich erheblichen Beträge – stünden dann für das BGE der anderen Menschen nicht mehr zur Verfügung. Wenn man stattdessen das BGE nach Einkommen staffelt, ist es kein BGE mehr, sondern ein Bürgergeld 2.0.

    Ohne Ironie gefragt: Wo ist der Fehler in dieser Überlegung?

    Bonusfrage: Ein nachhaltiges BGE braucht eine Finanzierung aus dem System heraus. Woher kommt die? Die bisherigen Tests, von denen ich weiß, waren doch eher Sozialstudien, die von außen finanziert wurden.

    Und: Die Rente ist doch auch eine Art BGE, und die ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr nachhaltig.

    • #3 Joseph Kuhn
      21. Oktober 2024

      @ 2xhinschauen:

      “Die Rente ist doch auch eine Art BGE, und die ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr nachhaltig.”

      Die gesetzliche Altersrente ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, sie ist an Rentenbeiträge und andere Leistungen geknüpft. Und warum sollte sie nicht mehr “nachhaltig” sein? Was bedeutet das Wort in diesem Zusammenhang? Die gesetzliche Rente hat jedenfalls die Krisen der letzten 100 Jahre halbwegs gut überstanden. Es gibt immer wieder Nachjustierungsbedarf, aktuell auch wieder, aber gibt es grundsätzliche Alternativen?

  3. #4 2xhinschauen
    21. Oktober 2024

    Erstmal sorry für meinen OT Beitrag.

    “Nachhaltig” bei der Rente sollte bedeuten, dass sie aus den Versicherungsbeiträgen gem. Gesellschaftsvertrag bezahlt werden kann. Sie muss aber aus Steuermitteln (also “von außen”) mitfinanziert werden. Eine Alternative wäre eine staatliche Grundrente aus Steuermitteln á la Schweiz, die, wenn ich das richtig verstanden habe, in der Tat bedingungslos ist, aber zum Überleben nicht reicht, also durch private Vorsorge oder Sozialhilfe(?) zu ergänzen ist. Ich sage damit nicht, was “besser” ist.

    In der Tat hat die gesetzliche Rente in D alle Krisen inkl 1945 und 1948 überstanden, was gewiss nicht für alle privaten Vorsorgemethoden gilt, am ehesten noch für Besitz von Sachwerten.

  4. #5 Joseph Kuhn
    21. Oktober 2024

    Die Pflegeversicherung als Rückversicherung des Bundeshaushalts

    6 Milliarden Euro müsste der Bund der gesetzlichen Pflegeversicherung zurückgeben. Will er aber nicht: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/155118/Bundesregierung-will-Pflegeversicherung-die-Coronakosten-nicht-erstatten?rt=d68297622876a70ae30a39028bd58bcf

  5. #6 RGS
    21. Oktober 2024

    @Joseph Kuhn
    Interessant, dass die Bundesregierung die Pflegeversicherung bestiehlt. Kann denn niemand die Regierung deswegen verklagen?

    • #7 Joseph Kuhn
      22. Oktober 2024

      @ RGS:

      Ich bin kein Jurist, vielleicht sind gesetzlich Versicherte klageberechtigt?

  6. #8 RGS
    21. Oktober 2024

    Ich hoffe auch sehr, dass die GKV wieder vor das Verfassungsgericht zieht, wenn die Krankenkassen sich an der Krankenhausfinanzierung beteiligen müssen.

  7. #9 RGS
    21. Oktober 2024

    Die Beiträge zu den Sozialversicherungen können außerdem durch mehr Arbeit erhöht werden.
    Ganz wichtig ist die Erhöhung der Erwerbsarbeit von Frauen in Deutschland.
    Außerdem müssen massiv mehr Menschen nach Deutschland einwandern, die hier in gut bezahlten Jobs arbeiten und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

  8. #10 N
    22. Oktober 2024

    XXX

    [Kommentar gelöscht. Es war kein Sinn enthalten. JK]

  9. #11 RGS
    22. Oktober 2024

    @Joseph Kuhn #7

    Vielleicht läuft es wie beim Präventionsgesetz als die GKV erfolgreich gegen die Finanzierung der BZgA durch die GKV klagte.

  10. #12 N
    22. Oktober 2024

    Es geht um eine Finanzierungslücke !
    Die kann man auf mehrere Arten schließen.
    1. Beitragssatz erhöhen
    2. Leistungen auslagern
    3. andere Einnahmequellen erschließen

    Wenn man den Beitragssatz erhöht, begeht man politischen Selbstmord. Die Wähler wandern ab zur politischen Konkurrenz, die Verbesserungen verspricht.

    Wenn man Leisltungen verringert oder auslagert, was ja tatsächlich geschhieht wahrt man das Gesicht aber die Versicherten wandern ab zu privaten Versicherungen, die die fehlenden Leistung dann versichern.

    Bei den neuen Geldquellen sind wir beim Thema Bürgerversicherung, von der man sich erhofft, dass sie bei gleichleibendem Beitragssatz oder sogar niedriger, die steigenden Ausgaben abmildern hilft.
    Prinzip Hoffnung.

    Wenn man hier Entscheidungshilfen sucht hilft ein Blick zu unseren Nachbarländern z.B. der Schweiz oder als Totalkontrast nach GB.

    • #13 Joseph Kuhn
      22. Oktober 2024

      @ N:

      Demnach würde Lauterbach jetzt politischen Selbstmord begehen, weil der Zusatzbeitrag ja steigen wird, und zwar erheblich. Entscheidungshilfen liefert weder der Blick in die Schweiz noch nach Großbritannien, weil man weder das eine noch das andere System einfach übernehmen kann. Interessanter wäre der Blick nach Österreich.

  11. #14 Joseph Kuhn
    22. Oktober 2024

    Lauterbachs Sparpolitik

    Die Pharmapolitik Lauterbachs erhöht in vielen Bereichen die Kosten im Gesundheitssystem. Zuletzt war hier das Herzgesetz Thema. Die Hintergründe eines anderen, möglicherweise wesentlich kostentreibenderen Falls, sind jetzt von den Medien recherchiert worden: Absprachen zwischen BMG und Lilly in Sachen der kürzlich gesetzlich beschlossenen geheimen Erstattungspreise für Arzneimittel. Die Krankenkassen befürchten steigende Kosten in Milliardenhöhe.

    Basis der Medienberichte sind interne Unterlagen der Bundesregierung, die nach dem Informationsfreiheitsrecht angefragt wurden, mit Nachdruck durch einen Klage. In dem Fall handelt es nicht um ein Enthüllungsplacebo. Schade, dass hier niemand einen Untersuchungsausschuss zur “Aufarbeitung” fordert.

  12. #15 Staphylococcus rex
    22. Oktober 2024

    Das komplexe System der deutschen Krankenkassen liegt nach meiner Einschätzung daran, dass dieses System einer Reihe schwer lösbarer Zielkonflikte unterworfen ist.

    Für die Absicherung des individuellen Krankheitsrisikos reicht eine Einheitskrankenkasse mit einem Leistungskatalog nach dem WANZ-Prinzip und einem Einheitstarif für alle Bürger.

    Das zweite abgesicherte Risiko ist der Schutz der Bürger mit niedrigem Einkommen vor Überforderung. Ab hier wird es kompliziert, denn dies erfordert Umverteilungsmechanismen. Bei abhängig Beschäftigten kann man eine Kappungsgrenze festlegen (dies entspricht dem Konzept des Beitragssatzes der Krankenkassen). Wenn man für niedrige Einkommen eine Kappungsgrenze festlegt, dann hat die Krankenkasse automatisch ein riesiges Defizit, eine Umverteilung von Personen mit höherem Einkommen ist erforderlich.

    Diese Umverteilung kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Die einfachste Lösung wäre eine Umverteilung bei einer Neujustierung der Einkommenssteuer. Letztendlich sind einkommensabhängige Krankenkassenbeiträge auch nur eine Sonderform der Einkommenssteuer und es zählt nur, was am Ende in der Lohntüte übrig bleibt. Theoretisch müßten die Krankenkassen nur den Fehlbetrag zwischen Kappungsgrenze und Einheitstarif aus der Einkommenssteuer erstattet bekommen. Dann wären die Krankenkassen aber immer abhängig vom Finanzminister. Die weitgehende Unabhängigkeit der Sozialsysteme von den Staatsfinanzen ist aber eine deutsche Besonderheit und das dritte abgesicherte Risiko (Schutz der Sozialsysteme vor “parlamentarischen Betriebsunfällen”). Die eigene Beitragserhebung der Krankenkassen führt dazu dass bei einer Einführung einer Bürgerversicherung jede Krankenkasse ein eigenes Finanzamt einführen müßte. Ob wir uns in der aktuellen demografischen Situation den Luxus doppelter Finanzämter leisten können und wollen wage ich zu bezweifeln. Ich sehe den Reformbedarf in den Sozialversicherungen, aber deren Unabhängigkeit von den Staatsfinanzen ist eine heilige Kuh, die aus meiner Sicht auf den Prüfstand gehört.

    • #16 Joseph Kuhn
      22. Oktober 2024

      @ Staphylococcus rex:

      Viele relevante Punkte, aber:

      “Die eigene Beitragserhebung der Krankenkassen führt dazu dass bei einer Einführung einer Bürgerversicherung jede Krankenkasse ein eigenes Finanzamt einführen müßte.”

      Sie meinen, wegen der Einkommensermittlung bei Selbstständigen? Dem ist nicht so. Es ist schon heute ein Großteil der Selbständigen gesetzlich versichert, das weiß nur kaum jemand. Man bräuchte keine “eigenen Finanzämter”.

      “Ich sehe den Reformbedarf in den Sozialversicherungen, aber deren Unabhängigkeit von den Staatsfinanzen ist eine heilige Kuh, die aus meiner Sicht auf den Prüfstand gehört.”

      Die Finanzlage des NHS in Großbritannien spricht eher dafür, dass das dortige staatliche System auf den Prüfstand gehört. Und die ökonomische Vernunft der Solidarität (siehe das Reiners-Buch) spricht dafür, dass das weltweit ziemlich einmalige System eines Nebeneinanders von GKV und PKV als Vollversicherungssystemen in Deutschland auf den Prüfstand gehört.

  13. #17 Staphylococcus rex
    22. Oktober 2024

    @ Joseph Kuhn, in dem Beitrag von Rothgang und Domhoff aus der Einleitung ging es nicht nur um regelmäßige Arbeitseinkünfte, sondern auch um Kapitalerträge. Für einen Festbetrag (GKV oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze oder PKV) muss die Kasse nicht wissen, wieviel ich verdiene. Bei einem einkommensabhängigen Beitrag dagegen schon und Kapitaleinkünfte waren bisher die Domäne der Finanzämter.

    Der NHS zeigt, dass “parlamentarische Betriebsunfälle” (als Euphemismus für personelle Fehlbesetzungen an entscheidenden Schaltstellen) ein relevantes Risiko für Sozialsysteme darstellen. Aber wir zahlen mit unserer deutschen Kassenbürokratie einen hohen Preis für diese Absicherung. Ich bin offen für eine Diskussion ohne ideologische Scheuklappen. Und das beinhaltet das Vorgehen, erst die wesentlichen Ziele (abzusichernde Risiken) zu benennen und dann den besten Weg zur Umsetzung zu suchen.

    Bevor man PKV und GKV zusammenlegt, wären z.B. noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Vollversicherte in der PKV zahlen einen Teil ihrer Beiträge in die Altersrückstellungen.
    https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/alterungsrueckstellung
    Im Fall einer Bürgerversicherung steht die Frage, wem gehören diese Altersrückstellungen? Und vor Allem, wie kann man darauf zugreifen? Vorher müßten diese Rückstellungen als Sondervermögen bei den Versicherungen deklariert werden. Ansonsten besteht das Risiko, dass die PKV ihre “Risiken” in die Bürgerversicherung überführt und die Altersrückstellungen als Gewinn der PKV verbucht werden.

    • #18 Joseph Kuhn
      22. Oktober 2024

      @ Staphylococcus rex:

      “wir zahlen mit unserer deutschen Kassenbürokratie einen hohen Preis”

      Das sagt man so leichthin, weil es so schön in das allgemeine Gerede von zuviel Bürokratie passt.

      Zu den Verwaltungskosten der GKV im Vergleich zur PKV: https://blogs.fediscience.org/leben-und-geld/2023/11/10/verwaltungsausgaben-der-krankenkassen-daten-mit-untiefen/

      Zur Bürokratie im NHS: https://www.aerztezeitung.de/Politik/So-sparen-die-anderen-der-britische-NHS-340372.html
      https://blogs.fediscience.org/leben-und-geld/2023/11/10/verwaltungsausgaben-der-krankenkassen-daten-mit-untiefen/

      Aber vielleicht kennen Sie ja ein System, bei dem man für die gleichen Verwaltungsleistungen keinen so hohen Preis zahlt?

      “Bevor man PKV und GKV zusammenlegt, wären z.B. noch einige Hausaufgaben zu erledigen.”

      Ja natürlich. Jede Reform ist mit “einigen Hausausgaben” verbunden, deswegen lässt man es ja so gerne sein. Bekanntlich hat Lauterbach weder die Gesundheitskioske noch die Gesundheitsregionen durchbringen können, und die Krankenhausreform ist auch noch nicht in trockenen Tüchern, die ambulante Versorgung krankt an vielen Stellen, die Weiterbildungsregelung für die Psychotherapie steht aus, eine Pflegefinanzreform ohnehin, Milliarden wurden über viele Jahre mangels gemachter Hausaufgaben nutzlos in der elektronischen Gesundheitskarte versenkt und die ePA ist bis heute ein Torso, den ÖGD hat man jahrzehntelang verrotten lassen und muss jetzt sehen, wie man ihn wieder auf die Beine kriegt … Hausaufgaben ohne Ende.

      Was das berühmte Problem mit den Altersrückstellungen angeht: Das wird seit langem diskutiert und es gibt verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Es stellt sich im Übrigen auch beim Wechsel zwischen privaten Versicherungsunternehmen.

  14. #19 RGS
    22. Oktober 2024

    Die Einnahmenseite der Sozialversicherungen lässt sich durch mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhöhen. Und dafür gibt es weitere Stellschrauben, die die Politik beeinflussen könnte aber seit Jahrzehnten nicht ausreichend darauf einwirkt.
    An allererster Stelle ist da die Erwerbsquote von Frauen zu nennen. Frauen arbeiten in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern zu wenig über die Erwerbspanne hin betrachtet: längere Unterbrechungen wegen Kindern und Pflege der Eltern, längere und prozentual geringere Teilzeit (Halbtagsstellen statt 80%, und ähnliche Fälle.)

    Außerdem muss die Politik die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften fördern.

    Die hier in den Kommentaren genannten Sparmaßnahmen werden nichts entscheidendes bringen.

  15. #20 Staphylococcus rex
    22. Oktober 2024

    @ Joseph Kuhn, wir beide sind nicht diejenigen, die im Bundestag die Gesetze einbringen. Derartige Diskussionen sind trotzdem spannend, weil dort neue Blickwinkel betrachtet werden können und die Konsensfähigkeit von Vorschlägen geprüft werden kann.

    Um den sozialen Ausgleich zu gewährleisten, benötigen Krankenkassen der GKV (oder einer Bürgerversicherung) einkommensabhängige Beiträge. Nur wieviel Wissen brauchen die Kassen dafür über das Einkommen ihrer Mitglieder? Bei abhängig Beschäftigten läuft dies automatisch über die Lohnbuchhaltung, bei freiwillig Versicherten oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze kann es der Kasse ebenfalls egal sein, wieviel das Mitglied verdient.

    Vielleicht stehe ich hier mit dieser Meinung auch allein, aber das Finanzamt ist aus meiner Sicht die einzige Behörde, der ich in Bezug auf Einkommen und Vermögen rechenschaftspflichtig bin, solange ich nicht auf staatliche Hilfen angewiesen bin. Das hat für mich auch etwas mit Datenschutz und Privatsphäre zu tun und ist für mich nicht verhandelbar.

    Nur einmal angenommen, Zuschüsse für die GKV (oder eine Bürgerversicherung) werden über das Finanzamt eingezogen, dann muss man lediglich dies als Sondervermögen deklarieren, damit wäre es dem Zugriff des Finanzministers entzogen. Der deutsche Staat zieht seit Jahrzehnten die Kirchensteuer ein und kein Finanzminister hat es bisher gewagt, damit Haushaltslöcher zu stopfen. Wir haben in Deutschland ein Instrument wie die Sozialwahlen. Wenn über diesen Weg ein Expertenrat bestimmt wird, der den Staatszuschuss für eine Bürgerversicherung festlegt, dann wäre dies der Krankenkassenaufschlag auf die Einkommenssteuer und als Sondervermögen geschützt vor “parlamentarischen Betriebsunfällen”. Ein derartiges Modell könnte auch den NHS sanieren.

    In einem derartigen Modell hätten Gesundheit- und Finanzminister indirekte Eingriffsmöglichkeiten, z.B. über die Ausgaben bei der Festlegung des Leistungskataloges oder über die Einnahmen bei der Frage der kostenlosen Mitversicherung von Familienmitgliedern.

    PS: Eine Diskussion über die Verwaltungskosten von GKV und PKV würde diesen Beitrag bei weitem sprengen. Auch die PKV müßte auf vielen Gebieten reformiert werden. Und wenn die Reformen von GKV und PKV zu einer gewissen Konvergenz beider Systeme führen würden, dann wäre dies aus meiner Sicht nicht der schlechteste Einstieg in eine Bürgerversicherung.

    • #21 Joseph Kuhn
      22. Oktober 2024

      @ Staphylococcus rex:

      “wir beide sind nicht diejenigen, die im Bundestag die Gesetze einbringen”

      Das ist auf jeden Fall richtig.

      “Um den sozialen Ausgleich zu gewährleisten, benötigen Krankenkassen der GKV (oder einer Bürgerversicherung) einkommensabhängige Beiträge.”

      Ist das so? Das ließe sich auch anders organisieren, z.B. über den Steuerausgleich.

      “Bei abhängig Beschäftigten läuft dies automatisch über die Lohnbuchhaltung”

      Nur für die Einkommen aus abhängiger Arbeit, nicht für Dividenden und andere Einkommensarten.

      “Der deutsche Staat zieht seit Jahrzehnten die Kirchensteuer ein und kein Finanzminister hat es bisher gewagt, damit Haushaltslöcher zu stopfen.”

      Die Finanzämter erfüllen hier einen Auftrag der Kirchen. Wie ein Inkassobüro. Ähnlich läuft der Beitragseinzug für die Rentenversicherung: die Krankenkassen sind Einzugsstelle. Keine Krankenkasse kann damit ihre Defizite ausgleichen.

      “Wir haben in Deutschland ein Instrument wie die Sozialwahlen. Wenn über diesen Weg ein Expertenrat bestimmt wird, der den Staatszuschuss für eine Bürgerversicherung festlegt”

      Das wäre vermutlich verfassungswidrig. Das Budgetrecht liegt beim Parlament.

      “In einem derartigen Modell hätten Gesundheit- und Finanzminister indirekte Eingriffsmöglichkeiten”

      Die haben sie jetzt auch. Sogar direkte, z.B. bereiten sie Gesetze vor.

      “Festlegung des Leistungskataloges”

      Das ist im Prinzip derzeit Aufgabe des G-BA.

      “Derartige Diskussionen sind trotzdem spannend”

      Geht so. 😉

  16. #22 RGS
    23. Oktober 2024

    Die GKV stellt beispielsweise bei Werwitweten schon recht komplexe Berechnungen an.
    Wer Witwerrenten bezieht, zahlt auf diese auch Krankenversierungsbeiträge und Pflegeversicherungsbeiträge. Oft gibt es davon mehrere, wenn mehrere Betriebsrenten existieren. Wenn dazu noch eigenes Einkommen hinzukommt und dann die Beitragsbemessungsgrenze erreicht wird, ist das eine schöne Rechnerei.
    Da passieren auch gerne mal Fehler.

    Eine ähnliche komplizierte Rechnerei stellt die Rentenversicherung bei Verwitweten an, wenn eigenes Einkommen oder Vermögenserträge angegeben werden müssen, um die Wittwenrente zu kürzen wenn das eigene Einkommen zu hoch ist.
    Hier fordert die Rentenversicherung regelmäßig den Einkommenssteuerbescheid des Finanzamts.

    Vermögenswerte müssen aber weder bei der GKV noch bei der Deutschen Rentenversicherung angegeben werden.

  17. #23 Staphylococcus rex
    23. Oktober 2024

    Das ist jetzt etwas off topic, aber einerseits ist angesichts der demografischen Herausforderungen eine Anpassung der Sozialsysteme notwendig, andererseits erzeugt das aktuelle Handeln der Ampel im Allgemeinen und Lauterbachs im Speziellen nicht das Vertrauen, dass diese Anpassungen wirklich professionell und unter Achtung der demokratischen Spielregeln angegangen werden.

    Die aktuelle Krankenhausreform führt dazu, dass in den nächsten Jahren mehrere hundert Häuser aus der Versorgung ausscheiden werden. Weil es politischer Selbstmord ist, diese Hauser jetzt zu benennen und planmäßig abzuwickeln, überläßt man diese Entscheidung als “Gottesurteil” dem Insolvenzrichter. Viele Krankenhäuser (wahrscheinlich die Mehrzahl) haben die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder sie investieren in Ausrüstung und Personal, um lukrative Leistungsgruppen zugesprochen zu bekommen und marschieren dabei mit großen Schritten Richtung Insolvenz. Oder sie sparen und erfüllen deshalb nicht die Strukturvorgaben für die Leistungsgruppen, werden heruntergestuft und scheiden deshalb aus der Versorgung aus. Verschärft wird diese Situation durch die unzureichende Kompensation der Inflationskosten und den demografischen Wandel. (Wenn Babyboomer in Rente gehen, dann haben die wenigen verfügbaren Fachkräfte Gehaltsvorstellungen, die im Einzelfall den Betriebsfrieden gefährden oder wenn sie allen gewährt werden das Haus in die Insolvenz treiben.) In deutschen Krankenhäusern arbeiten knapp eine Million Beschäftigte. Was das Lauterbach’sche “Gottesurteil” für diese Beschäftigten an Zumutungen bedeutet, kann sich hoffentlich jeder selbst vorstellen.

    Um den Bogen zur Bürgerversicherung zu schließen. Demokratie bedeutet eben nicht nur die Entscheidung durch die Mehrheit (in dem Sinne sind Populisten alles lupenreine Demokraten). Demokratie bedeutet genauso auch die Anerkennung der Mehrheitsentscheidungen durch die ebenfalls betroffenen Minderheiten, z.B. indem im Vorfeld Minderheiten in den Entscheidungsprozeß einbezogen werden und ggf. rote Linien respektiert werden. Bei einer großen Reform müssen deshalb alle Betroffenen einbezogen werden, bei einer Gesundheitsreform sind dies die Krankenkassen, die Versicherten in ihrer Rolle als Patient und in ihrer Rolle als Beitragszahler sowie die Leistungserbringer. Ansonsten heißt es irgendwann, die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht.

    Der Politikstil Lauterbachs bei der Krankenhausreform ist jenseits von gut und böse. Die Entscheidungen wurden über über die Köpfe der Betroffenen gemacht, alle die Versprechungen zur zukünftigen Vorhaltefinanzierung sind derzeit lediglich heiße Luft. In diesem Sinne ist die Mißachtung der Einbindung wesentlicher betroffener Minderheiten in den Entscheidungsprozeß eine mindestens gleich große Bedrohung für die Demokratie wie die Hetze durch die AfD. Lauterbach zerstört durch seinen Politikstil das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Deshalb möchte ich im Augenblick auch nicht weiter über eine Bürgerversicherung diskutieren. Wenn sich Lauterbach damit befaßt, endet dies mit Sicherheit in einer Katastrophe.

    • #24 Joseph Kuhn
      23. Oktober 2024

      @ Staphylococcus rex:

      “Der Politikstil Lauterbachs bei der Krankenhausreform ist jenseits von gut und böse.”

      Das ist leider so.

      “Deshalb möchte ich im Augenblick auch nicht weiter über eine Bürgerversicherung diskutieren. Wenn sich Lauterbach damit befaßt, endet dies mit Sicherheit in einer Katastrophe.”

      Das ist zu befürchten. Wobei er in einer neuen Regierung womöglich weiterhin Gesundheitsminister sein wird, irgendwie muss man also vielleicht auch in Zukunft mit ihm auskommen.

  18. #25 RGS
    23. Oktober 2024

    @Staphylococcus rex
    Danke für die drastische und wohl treffende Beschreibung der „Lauterbachschen Krankenhaus-Schlachtung“.

    Da er keine Steuermittel mehr für Gesundheit bekommt versucht er immer wieder die GKV in die Finanzierung zu zwingen.

    Eventuell ist das auch politisch klug, weil da gerade das Thema Demographie als Schuldiger für zu geringe Beiträge ausgemacht wurde für Defizite und nicht seine kostentreibenden Gesetze wie das GHG pro Pillen.

    Das Thema Demographische Entwicklung ist auch mit Vorsicht zu betrachten. Wer weiss schon wieviele Beschäftigte es in 10-20 Jahren geben wird?

    Wenn wir Menschen die Leistungsträger sind weiter aus diesem Land vertreiben und leistungsstarke Zuwanderungswillige abschrecken wie zunehmend gerade und dann weiterhin die Bedungen für mehr Erwerbstätigkeit von Frauen verschlechtern durch marode Infrastruktur, dann geht’s vielleicht wirklich demnächst rasant bergab mit dem Wohlstand des Landes.

  19. #26 N
    24. Oktober 2024

    zu#13
    GB und die Schweiz sind die Eckpunkte, deren System man nicht übernehmen kann.
    Das sollten wir auch nicht. Und es stimmt auch nicht, dass das deutsche System uneffektiv ist.
    Woran liegt es ?
    Aus Patiensicht sind die Wartezeiten ärgerlich. Warum, weil viele Arztbesuche unnötig sind.
    Das könnte man schnell ändern, wenn von den Patienten Vorkasse verlangt würde, bargeldlos per EC – Karte und den Ärzten erlaubt würde kostendeckende Rechnungen zu stellen , wie es auch bei der PKV gemacht wird.
    Erst dann erkennt der Patient, dass ein Arztbesuch Geld kostet und zwar sein Geld. Und dann kann die Krankenversicherung von den Patienten einen Selbstbehalt verlangen, d.h. sie erstattet nicht mehr den gesamten Betrag.
    Was die Überlegungen zur Einsparung bei der Verwaltung betrifft, die Landesversicherungsanstalten haben schon abgespeckt, so sehr, dass viele Stellen nicht besetzt sind und die Anträge auf Leistungen liegen bleiben. Wir haben da Einsicht aus Erster Hand.

    Und was die Beitragserhöhungen betrifft, die Ampel hat schon den Selbstmord selbst eingeleitet.

    Nochmal: der Grundsatz muss bleiben, die Krankenversicherung muss sich selbst finanzieren. Alles andere ist auf lange Sicht das Ende dieses Systems.

    • #27 Joseph Kuhn
      24. Oktober 2024

      @ N:

      “wenn von den Patienten Vorkasse verlangt würde”

      Na, Sie haben ja echt extravagante Ideen. Das würde dann bei ärmeren Leuten bei einem Unfall oder einer Krebsbehandlung ziemlich schnell zum Problem werden – oder einem neuen Geschäftsfeld für private Versicherungen. Zudem haben die Erfahrungen mit der seinerzeitigen Praxisgebühr gezeigt, dass dann auch Behandlungen unterbleiben, die besser nicht unterblieben wären, wiederum eher bei einkommensschwächeren Versicherten.

  20. #28 N
    25. Oktober 2024

    zu #27
    Die Praxisgebühr war wahrscheinlich der Versuch die unnötigen Arztbesuche zu verringern.
    Im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung wäre es eine Kleinigkeit zwischen den “Ärmeren, Dauerkranken” und sonstigen Problemfällen und den “Normalverdienern” zu unterscheiden.

    Entlastet werden müssen die Ärzte, das derzeitige Abrechnungssystem ist zu aufwendig. Wir kennen das aus erster Quelle. Unser Schwager musste eine Arbeitskraft mehr einstellen, nur für die Verwaltung.
    Und wenn man heute bei Lidl an der Kasse steht und mit Karte bezahlt, dann kann man das auch beim Arzt mit Karte. Automatisch geht diese Abrechnung auch online an die Krankenkasse. Die erstattet dann den Betrag zurück an den Patienten, der versichert ist/war. Wie bei der PKV.
    Und dann findet auch wieder Wettbewerb zwischen den Ärzten statt, wo der eine exorbitant hohe Rechnungen stellt und den gut organisierten Ärzten, die weniger verlangen, weil sie ein besseres Zeitmanagement haben.