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Man kann sich über Karl Lauterbachs Gesetzentwürfe und Politikstil die Haare raufen, aber er hat Recht, wenn er sagt, wir geben viel Geld für vergleichsweise wenig Nutzen aus.

In der Süddeutschen Zeitung (online gestern, Printausgabe heute) schreibt Werner Bartens:

„Wer sich den Zustand des deutschen Gesundheitswesens in allen seinen miserablen Details vergegenwärtigt, könnte permanent den Kopf auf den Tisch hauen – wäre man nur anschließend nicht auf eben jenes Gesundheitswesen angewiesen. Dabei hätte es eigentlich ideale Voraussetzungen: Es gibt ein dichtes Netz an Krankenhäusern im Land. Es gibt eine Vielzahl Haus- und Facharztpraxen. Vor allem aber gibt es Tausende hingebungsvoller Ärzte und Pflegekräfte.“

Bartens verweist wie Lauterbach auf internationale Vergleichsdaten. Internationale Vergleiche hinken zwar oft mit allen Beinen, die sie haben, aber in der Tat, ein richtig gutes Bild gibt Deutschland dabei nicht ab.

Im September erst ist eine Studie von Blumenthal et al. erschienen, basierend auf 70 Indikatoren in 5 Themenbereichen zur Beschreibung des Gesundheitswesens. Die Studie zielt zwar eigentlich auf das amerikanische Gesundheitssystem ab, stellt dazu aber einige Ländervergleiche an. Deutschland ist auch darunter und bekommt nach den USA die zweitschlechteste Note:

Die Autor:innen attestieren Deutschland eine gute Zugänglichkeit des Gesundheitswesens und wenig soziale Unterschiede in der Versorgung, aber miserable Abläufe und Outcomes. Diese Situation spiegelt sich auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung wider: Das Vertrauen in das Gesundheitssystem sinkt.

Werner Bartens beklagt in seinem SZ-Kommentar vor allem ökonomische Fehlanreize. Hier wird man sicher einen Teil der Probleme festmachen können. Natürlich gibt es massive ökonomische Fehlanreize im Gesundheitswesen: Die berüchtigten Knieimplantate und andere Operationen, deren wirtschaftliche Co-Indikation manchmal schon an der regionalen Verteilung ablesbar ist, sind nur eines von vielen Beispielen, Bartens nennt weitere und hat sich in seinen Büchern die Finger zu dem Thema wund geschrieben.

Aber auch im Gesundheitswesen ist nicht der ökonomische Blick an sich falsch, sondern der ökonomische Blick in die falsche Ecke. Ohne ökonomische Verantwortung würde es im Gesundheitswesen ganz sicher nicht gehen. Geld soll schließlich möglichst da eingesetzt werden, wo es den meisten Nutzen bringt und nicht da, wo man es aus irgendwelchen Gründen gerne ausgeben würde.

Es gibt keine evidenzbasierte Medizin ohne Ökonomie. An vielen Stellen braucht es sogar mehr Ökonomie, aber eben an den richtigen Stellen. Die Vorstellung einer „Entökonomisierung“ des Gesundheitswesen, wie sie Lauterbach beim Ärztetag 2023 propagiert hat, ist ebenso realitätsfremd wie unethisch, weil ineffiziente Strukturen und Abläufe Geld verbrennen, das für eine gute Versorgung gebraucht wird. Auch hier geht es um Ideologiekosten im Gesundheitswesen.

Kommentare (3)

  1. #1 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    23. Oktober 2024

    Dass das Erleben des deutschen Gesundheitssystems für Privatpatienten völlig anders aussieht als für AOK-Versicherte, ist den Experten wohl entgangen.

    Die Ökonomisierung mit der Fallpauschale dürfte jedenfalls eines der grösseren Probleme sein, unter dem die Gesundheitsversorgung leidet. Die Forderung nach einem Reset ist hier nicht neu, z.B.:

    https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-krankenhauser-fallpauschalen-abschaffen-28850.htm

    Das Klinikensterben ist das nächste Problem: die Versorgung in der Fläche funktioniert nicht mehr. Laut Gesundheitsminister soll es noch viel schlimmer kommen: “Es ist ganz klar, dass wir in zehn Jahren spätestens ein paar Hundert Krankenhäuser weniger haben werden.” meinte er in der Bild am Sonntag.

    Wartezeiten für notwendige Behandlungen, die in Wochen und Monaten gerechnet werden, sind in Deutschland für Kassenpatienten nicht selten. Je mehr Krankenhäuser dicht machen, desto grösser wird dieses Problem werden.

  2. #2 Staphylococcus rex
    7. Januar 2025

    Schade, dass es zu diesem Beitrag von Joseph Kuhn so wenig Rückmeldungen gegeben hat. Gerade den letzten Absatz mit der Formulierung “weil ineffiziente Strukturen und Abläufe Geld verbrennen, das für eine gute Versorgung gebraucht wird” kann man nicht genug hervorheben.

    Dieses Thema bietet sehr viele Anknüpfungspunkte. Einen Punkt möchte ich nur kurz anschneiden. Das Gesundheitssystem ist hochspezialisiert. Das wiederum bedeutet, sehr viele Akteure müssen kooperieren, damit das Gesamtsystem funktioniert. Die Gesundheitspolitik und die Kassen senden hier widersprüchliche Signale, was Kooperation und Konkurrenz betrifft. Konkurrenz hilft zwar den Preis für eine Einzelleistung zu drücken, aber gleichzeitig behindert eine übertriebene Konkurrenz die Kooperation zwischen hochspezialisierten Akteuren. Gerade die Reibungsverluste zwischen ambulantem und stationärem Sektor und die unzureichende Patientensteuerung sind eine Folge einer Fehlsteuerung mit dem Primat Kostensenkung durch Konkurrenz.

    Das Gesundheitssystem hat schon eine Reihe von Kostendämpfungsmaßnahmen hinter sich. Die aktuelle Situation zeichnet sich dadurch aus, dass eine Fortschreibung der bisherigen Maßnahmen in eine Sackgasse führt und dass diesmal echte Strukturreformen notwendig sind, um ein neues Miteinander der Akteure zu erreichen.

    Ein anderer Punkt ist das Kassenarztsystem in Deutschland. Warum haben wir hier keine flächendeckenden Polikliniken oder ein staatliches ambulantes System wie in Großbritannien? Aus meiner Sicht hat dies einen ganz einfachen Grund: ein niedergelassener Arzt als selbstständiger Unternehmer hat ein Interesse daran, seine Arbeitsabläufe und die der Praxis möglichst effizient zu gestalten und kann damit die gleiche Leistung günstiger anbieten als ein Träger mit angestellten Ärzten. Poliklinikähnliche Strukturen gibt es in Form von privat geführten MVZ, die Rosinenpickerei betreiben oder in Form von Krankenhausgeführten MVZ, wo die MVZ-Ärzte eine wichtige Rolle als Zuweiser spielen und die vor- und nachstationäre Versorgung optimieren. Ich kenne keine MVZ, die als ambulante Vollversorger ohne Zusatzeffekte die Niedergelassenen Ärzte wirklich ersetzen können.

    Das Kassenarztsystem steht vor einem Generationswechsel und die zukünftigen Kassenärzte können nur dann zur Niederlassung motiviert werden, wenn man ihnen vernünftige Rahmenbedingungen anbietet, daher die Machtverhältnisse zwischen GKV und Niedergelassenen haben sich verschoben. Grob geschätzt wird es darauf hinauslaufen, dass der Preis pro Leistung um 20% steigen wird und gleichzeitig das Leistungsvolumen um ca. 20% sinken wird. Da gleichzeitig die Bevölkerung weiter altert (und der gefühlte Bedarf um 20% Leistungsvolumen steigt), wird dies im Endeffekt darauf hinauslaufen, dass in den nächsten Jahren bei gleichen Gesamtkosten pro Diagnose bzw. Krankheitsfall 40% weniger ambulante Leistungen zur Verfügung stehen werden.

    Dies vor einer Wahl offen zu kommunizieren, ist politischer Selbstmord, andererseits wird jede zukünftige Regierung sich mit dieser Problematik auseinandersetzen müssen.

    • #3 Joseph Kuhn
      7. Januar 2025

      @ Staphylococcus rex:

      Das System der Einzelarztpraxis hat weit zurückreichende Gründe und hängt eng mit dem Selbstverständnis niedergelassener Ärzt:innen zusammen. Der Reformbedarf war schon in den 1980er Jahren deutlich sichtbar, aber durch den Zusammenbruch des Ostblocks konnte man aus ideologischen Gründen nicht in die Richtung Poliklinik gehen, das war ein DDR-Konzept und musste abgewickelt werden. Es gibt im Buch “Gesundheitsreformen in Deutschland” von Knieps/Reiners eine schöne Anekdote dazu, wie die MVZs durch den damaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, zu ihrem Namen kamen (Seite 262).