Heute hat der ExpertInnenrat „Gesundheit und Resilienz seine 6. Stellungnahme veröffentlicht. Titel: „Krankheitsprävention bei Kindern und Jugendlichen: Lebensbezogene Ansätze zur Vorbeugung“. Was „lebensbezogene Ansätze“ sind, weiß ich nicht. Wenn man den Begriff googelt, kommt man zu einem 1990 entwickelten Konzept der Kindergarten- und Vorschulpädagogik. Vielleicht ist das gemeint. Allerdings passt der Inhalt der Stellungnahme nicht so recht zu diesem Konzept.

In der Stellungnahme wird eklektizistisch und auch nur kurz auf Adipositas, die Fetale Alkoholspektrumstörung, impfpräventable Erkrankungen und Früherkennungsuntersuchungen eingegangen. Daran schließen sich 10 Empfehlungen an, vermutlich weil 10-Punkte-Papiere irgendwie entscheidungsorientiert und priorisiert wirken:

„1. Verbesserung der zielgruppengerechten Ansprache, Aufklärung und Motivation zur Verhaltensprävention (…).
2. Die Eltern müssen als Zielgruppe der Prävention für ihre Kinder in den Fokus genommen werden. (…).
3. Verstärkte Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung, mentaler Gesundheit, körperlicher Aktivität und anderer Formen aktiver Freizeitgestaltung. (…)
4. Stärkere Verzahnung der sekundären Präventionsmaßnahmen (…).
5. Durch eine konsequente, strukturell vernetzte Versorgung soll eine standardisierte, spezifische und über die gesamte Entwicklungsphase angelegte Mehrebenen-Beurteilung von Säuglingen und Kleinkindern etabliert werden (…).
6. Wissenschaftliche Überprüfung vorhandener und neuer Präventionsprogramme und Früherkennungsuntersuchungen auf Wirksamkeit, Akzeptanz und Einsatzmöglichkeiten. (…)
7. Die Schuleingangsuntersuchung (SEU) soll bundesweit vereinheitlicht werden, um repräsentative und zwischen den Bundesländern vergleichbare Daten zu erhalten. (…).
8. Die U-Untersuchungen sollen ebenfalls standardisiert in ganz Deutschland erhoben und dokumentiert werden. (…).
9. Entwicklung von Konzepten zur individualisierten Prävention, beispielsweise auf Basis biochemischer und molekularer Vorbefunde.
10. Entwicklung und Verbesserung digitaler Tools und Systeme (Apps, Spiele und Gadgets) (…).“

Zustimmung im ExpertInnenrat: 22/22. Ich erspare mir eine eingehendere Kommentierung. Dem meisten wird man nicht widersprechen wollen. Mehr Vernetzung: ja gerne, mehr Evidenz: wer wäre dagegen, eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung: wäre gut. Über eine Vereinheitlichung der Schuleingangsuntersuchung sprechen die Länder seit mindestens 20 Jahren, dafür sind sie zuständig, nicht der Bund, und eine Standardisierung der U-Untersuchungen dürfte bei mehr als 20.000 Kinderärzt:innen in Deutschland zumindest eine Herausforderung für den Gemeinsamen Bundesausschuss werden, wenn er das über die Kinderrichtlinie organisieren muss.

Was ich nicht verstehe: An welchen Kriterien haben sich Problemanalyse und Empfehlungen orientiert, warum fehlen wichtige Aspekte wie die gesundheitlichen Folgen der Krisenerfahrung für Kinder und Jugendliche, obwohl der ExpertInnenrat doch gerade Resilienz in Krisen als Aufgabenstellung hat, warum fehlt die Prävention von Unfällen als einem wesentlichen Gesundheitsrisiko im Kindes- und Jugendalter, warum die Suizidprävention (mit den Unfällen das größte Sterberisiko junger Leute), warum kommen, wenn es auch um Jugendliche geht, nur die U-Untersuchungen zur Sprache, nicht die Jugendgesundheits-Untersuchungen, warum keine Empfehlung zum Thema KiGGS, warum sind der Berufseinstieg und die Notwendigkeit, mit beruflichen Gesundheitsrisiken umgehen zu lernen, der Stellungnahme kein Wort wert? Warum sind wieder keine Schnittstellen z.B. zu den Nationalen Gesundheitszielen, zum Präventionsgesetz oder zum geplanten Bundesinstitut markiert? Hat man all diese Dinge vergessen, nicht daran gedacht, oder gehört es in den Auf-später-Vertröstungs-Teil?

Ich weiß auch diesmal nicht, worin der Mehrwert dieser Stellungnahme gegenüber den vielen anderen zum gleichen Thema besteht. Hoffentlich weiß es überhaupt jemand.

Kommentare (14)

  1. #1 Richard
    26. November 2024

    Dieses Gremium sollte es bei dieser 6. Stellungnahme bewenden lassen und seine Tätigkeit einstellen. Oder bringt es Renommee und üppige Spesen, dabei sein zu dürfen? Sorry, aber mit KI-Hilfe würde selbst wohl ich diese wohlfeilen Formulierungen zustande bringen…

    • #2 Joseph Kuhn
      26. November 2024

      @ Richard:

      “Kannst du die 10 wichtigsten Punkte zur Verbesserung der Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland auflisten?”

      Probe aufs Exempel:

      Frage an ChatGPT: “Kannst du die 10 wichtigsten Punkte zur Verbesserung der Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland auflisten?”

      Antwort ChatGPT:

      “Natürlich! Hier sind 10 wichtige Ansätze zur Verbesserung der Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland:

      1. Förderung gesunder Ernährung
      – Einführung verpflichtender Standards für gesunde Mahlzeiten in Kitas und Schulen.
      – Förderung der Reduktion von Zucker, Fett und Salz in verarbeiteten Lebensmitteln.
      – Ernährungsbildung in Schulen und durch Elternprogramme.

      2. Stärkung von Bewegung und Sport
      – Ausbau von Bewegungsangeboten in Schulen, Kitas und Kommunen.
      – Integration von mehr Bewegung im Schulalltag, z. B. durch aktive Pausen.
      – Förderung von sicheren Wegen zur Schule, um aktives Gehen und Radfahren zu unterstützen.

      3. Verbesserung der psychischen Gesundheit
      – Aufbau flächendeckender Beratungs- und Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche.
      – Schulung von Lehrkräften und Eltern zur Erkennung und Unterstützung bei psychischen Problemen.
      – Reduktion von Stressfaktoren durch weniger Leistungsdruck in Schulen.

      4. Reduzierung von Umweltbelastungen
      – Verbesserung der Luftqualität durch Reduktion von Feinstaub und Abgasen.
      – Förderung von schadstofffreien Materialien in Spielzeug und Möbeln.
      – Schutz vor Lärm in Wohn- und Schulgebieten.

      5. Bekämpfung von Kinderarmut
      – Sicherstellung einer ausreichenden materiellen und sozialen Unterstützung für bedürftige Familien.
      – Kostenfreie Gesundheitsversorgung und Bildungsangebote für Kinder.
      – Förderung der sozialen Teilhabe, z. B. durch kostenfreie Sport- und Kulturangebote.

      6. Frühe Prävention und Gesundheitsförderung
      – Ausbau der Früherkennungsuntersuchungen (U-Untersuchungen) und Impfprogramme.
      – Niedrigschwellige Elternbildung, z. B. über Familienzentren.
      – Präventionsprogramme gegen Übergewicht, Sucht und andere Risikofaktoren.

      7. Förderung der digitalen Kompetenz
      – Aufklärung über den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien.
      – Einrichtung von Medienkompetenz-Workshops für Kinder, Eltern und Lehrer.
      – Schutz vor Cybermobbing und exzessiver Mediennutzung.

      8. Sicherung der Gesundheitsversorgung
      – Verbesserung der kinderärztlichen Versorgung, besonders in ländlichen Gebieten.
      – Ausbau der Kapazitäten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
      – Förderung von interdisziplinären Gesundheitszentren für Kinder.

      9. Stärkung der Gesundheitsbildung
      – Einführung von Gesundheits- und Lebenskompetenzprogrammen in Schulen.
      – Schulung von Multiplikatoren wie Lehrern, Trainern und Sozialarbeitern.
      – Sensibilisierung für Themen wie Hygiene, Ernährung und emotionale Resilienz.

      10. Förderung der Chancengleichheit
      – Sicherstellung, dass alle Kinder unabhängig von sozialem oder kulturellem Hintergrund Zugang zu Gesundheitsförderung haben.
      – Interkulturelle Gesundheitsberatung und Unterstützung für Familien mit Migrationshintergrund.
      – Abbau von Sprachbarrieren durch mehrsprachige Angebote.

      Diese Ansätze greifen ineinander und erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Bildungseinrichtungen, dem Gesundheitswesen und der Zivilgesellschaft.”

  2. #3 Richard
    26. November 2024

    Perplexity schlägt vor:

    10 wichtige Punkte zur Verbesserung der Kinder- und Jugendgesundheit in Deutschland:

    1. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen: Durchführung der U1 bis U9 sowie J1 Untersuchungen zur frühzeitigen Erkennung von Entwicklungsproblemen und Krankheiten

    2. Förderung der Zahngesundheit: Regelmäßige zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen und Beratung zur Mundhygiene

    3. Impfschutz optimieren: Überprüfung und Verbesserung des Impfstatus bei Kindern und Jugendlichen

    4. Elternberatung und -unterstützung: Vermittlung von Basisinformationen zum gesunden Aufwachsen und zur Entwicklungsförderung

    5. Gesunde Ernährung: Beratung und Aufklärung über altersgerechte, ausgewogene Ernährung.

    6. Bewegungsförderung: Unterstützung von Programmen zur Steigerung der körperlichen Aktivität.

    7. Psychische Gesundheit: Früherkennung und Prävention von psychischen Auffälligkeiten, insbesondere im Jugendalter

    8. Suchtprävention: Aufklärung und Beratung zu Risiken von Alkohol-, Tabak- und Drogenkonsum

    9. Chancengleichheit: Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenslagen und Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit

    10. Lebensweltbezogene Ansätze: Implementierung von Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten, Schulen und anderen Lebensbereichen von Kindern und Jugendlichen
    .

  3. #4 Bernd Nowotnick
    26. November 2024

    Mal banal, das heißt für mein Gefühl, übersetzt heißt das: Wer die (entsprechende) KI beherrscht kann mich nach Belieben veralbern, da ich so schnell nicht auf die gewünschten Daten zugreifen kann.

    • #5 Joseph Kuhn
      26. November 2024

      @ Bernd Nowotnick:

      “Wer die (entsprechende) KI beherrscht”

      Die Basisversion von ChatGPT ist inzwischen ganz frei zugänglich.

      “auf die gewünschten Daten zugreifen”

      Was ist damit gemeint? Prüfen, ob etwas von Menschen oder von der KI kommt? Das kann man sowieso nicht so gut (bzw. braucht eine spezielle KI-Anwendung dafür). Und schauen, ob etwas inhaltlich stimmig ist, muss man so oder so, egal ob es von Menschen kommt oder von einer KI. Auf das Denken und auf fachliche Kompetenz kann man einfach noch nicht verzichten, auch wenn manche es gerne tun.

  4. #6 Bernd Nowotnick
    26. November 2024

    Upps, das Zweikörperproblem klappt dann bei drei und vier … doch nicht so ganz, Verwaltungen und Ärzten sollte verboten werden sich auf KI Entscheidungen zu berufen

    • #7 Joseph Kuhn
      26. November 2024

      @ Bernd Nowotnick:

      “auf KI Entscheidungen zu berufen”

      KI soll ärztliche Entscheidungen unterstützen, nicht ersetzen. Und dabei wiederum ist wichtig, dass keine Black-Box-KI zum Einsatz kommt, sondern eine, die nachvollziehen lässt, worauf sie sich stützt, sonst ist das nicht gerichtsfest. Fachleute können dazu sicher mehr sagen.

  5. #8 Staphylococcus rex
    26. November 2024

    @ Joseph Kuhn, vielleicht ist dieser Artikel lesenswert:
    https://www.arztcme.de/kurse/sprachbarrieren-in-der-medizinischen-praxis/
    Dort steht zwar nichts zu KI, aber einiges zu Übersetzungssoftware und zu den Fallstricken der medizinischen Kommunikation.

    Warum es immer 10 Punkte in derartigen Aufzählungen sein müssen, ich vermute es liegt an der Anatomie der menschlichen Hand, 2×5 Finger = 10, eine Aufzählung, bei der alle Finger beider Hände jeweils einmal benutzt werden ist intuitiv “entscheidungsorientiert und priorisiert”. Und spätestens seit der Verkündigung der 10 Gebote gehört eine Aufzählung mit 10 Elementen zu unserer kulturellen DNA.

  6. #9 Umami
    Karlsruhe
    27. November 2024

    Klingt doch nicht schlecht, was die KI vorschlägt.
    Oder?
    Zumindest besser als das, was der Expertenrat ausgearbeitet hat.

  7. #10 Stefan Bräunling
    Berlin
    29. November 2024

    Ich finde die Stellungnahmen dieses Beirats auch ganz seltsam lustlos… Nicht mal zu dem so eindeutig prävenierbaren, riesengroßen Problem FASD gibt es klare Ansagen. Immerhin hatten sie diesmal einen Punkt, zu dem sie sich entscheiden konnten, in Empfehlung 1 “muss” die Bundesregierung “zwingend” handeln.

    • #11 Joseph Kuhn
      29. November 2024

      @ Stefan Bräunling:

      “Nicht mal zu dem so eindeutig prävenierbaren, riesengroßen Problem FASD gibt es klare Ansagen.”

      Bei FASD könnte man in der Tat zumindest bei den werdenden Eltern, die immer noch meinen, “ein Gläschen oder zwei schaden doch nicht”, enorm viel erreichen. Da hat man einen Bereich der Prävention, wo Aufklärung wirklich nützt. Ein wichtiger Schritt wären außerdem belastbare Daten. Bei diesem Thema werden nämlich seit Jahren die immer gleichen Schätzzahlen aus uralten Studien abgeschrieben. Weder weiß man konkret, wie viele FASD-Fälle es aktuell wirklich gibt (jedenfalls viel mehr als z.B. die gerade mit viel Besorgnis beobachteten Masernfälle), noch, wie viele Frauen in der Schwangerschaft Alkohol trinken (siehe hier Punkt 8), noch könnte man ein Präventionsprogramm statistisch auf seinen Erfolg hin begleiten.

  8. #12 Umami
    Karlsruhe
    30. November 2024

    Bei Alkohol frage ich mich, warum man nicht längst vieles aus der Raucherprävention übernimmt.
    Warum z.B. keine Schockbildchen auf Wein? Und auf Bier?

  9. #13 Bernd Nowotnick
    3. Dezember 2024

    #5
    Zu “Wer die (entsprechende) KI beherrscht und
    Die Basisversion von ChatGPT ist inzwischen ganz frei zugänglich,
    auf die gewünschten Daten zugreifen,
    Was ist damit gemeint“:
    Beherrschen – warum regt sich alles über Musk https://scilogs.spektrum.de/relativ-einfach/trump-musk-laura-helmuth/?_gl=1*72tsy8*_gcl_au*OTU1NzI3MzUuMTczMDcwODEwMg..*_ga*NjkwODYyOTMzLjE2MTI0MjA4NTE.*_ga_YXNVZ6NX0G*MTczMjAyNTQxOS4zNTguMS4xNzMyMDI3NjY3LjQ1LjAuMTU3NDQ1NzU0Mw.. auf, wer füttert denn die (unter anderem sozialen) Medien und was ist der Inhalt aus den Fragen an die KI? Nach meiner Meinung ist es das was der KI eingebläut wird auch das was sie beherrscht.

  10. #14 Bernd Nowotnick
    4. Dezember 2024

    Anmerkung zu #13: Auch Google setzt nun (in Europa) und sicher auch die „KI“ die vorteilhafte Strategie (der Evolution) des Vergessens ein um schneller „eingebläutes“ zu verbreiten um dem Mainstream Genüge zu tun um günstiger Umsatz (Gewinn) zu generieren.