Die nächsten Wahlprogramme bzw. deren Entwürfe sind online. Ein erster Eindruck:

Union

Bei der Union hat das Thema Gesundheit 3 von 81 Seiten. Sie scheint die Grundlinie der Lauterbachschen Krankenhausreform mit einer „flächendeckenden Grund- und Regelversorgung insbesondere im ländlichen Raum sowie der erforderlichen Konzentration von spezialisierten Leistungen“ beibehalten zu wollen. Die Finanzen der Krankenkassen will sie stabilisieren, wie auch immer, sie will die Frauengesundheit stärken, die Prävention „in den Mittelpunkt“ stellen, die Notfallversorgung und die Apotheken stärken, ebenso den Pharmastandort Deutschland, die Engpässe bei der Arzneimittelversorgung beseitigen und die Digitalisierung voranbringen. Die Pflege soll „zukunftsfest“ werden, u.a. mit steuerbegünstigten Pflegezusatzversicherungen (also höheren Kosten für die Versicherten), ein „Pflegebudget“ soll kommen und der Pflegeberuf soll attraktiver werden. Des Weiteren will die Union ein „umfassendes Suizidpräventionsgesetz“. Und, vielleicht etwas überraschend: Man wolle „hohe Standards beim Arbeitsschutz wahren“. Man darf gespannt sein, was daraus folgt.

Insgesamt ein bunter Strauß, wichtige Themen werden adressiert, manches nur mit Allgemeinplätzen, manches aber auch sehr konkret und damit nachprüfbar.

Grüne

Bei den Grünen gibt es 2 ½-Seiten Gesundheit in einem Wahlprogramm mit 72 Seiten. Sie wollen, wie alle, die Zusammenarbeit zwischen stationärem und ambulantem Sektor verbessern, Bürokratie abbauen und – wie die Union – die Krankenhausreform „nachbessern“. Ebenso wollen sie die Notfallversorgung und die Apotheken stärken. Natürlich wollen auch die Grünen die Pflege finanzierbar halten, ein Pflegebudget einführen und etwas für die Pflegekräfte tun. Interessanter sind vielleicht die Stichwörter „regionale Verbünde“ und „Versorgungszentren“ mit verschiedenen Therapie- und Pflegeberufen, eine Reminiszenz einerseits an Lauterbachs gescheitertes Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, andererseits ein Aufgreifen aktueller Ansätze zur Regionalisierung der Versorgung. Auch „Gemeindegesundheitspfleger:innen“ soll es geben. Selbstverständlich stehen auch KI, Digitalisierung und Datennutzung auf der Agenda. Man gibt sich modern, vorbei die Zeiten, in denen die Grünen gegen die Volkszählung auf die Barrikaden gingen.
Die Prävention soll Querschnittsaufgabe in allen Politikfeldern sein – sehr gut, und den ÖGD will man stärken, auch gut. Für ME/CFS und Long-Covid sollen Forschung und Versorgung ausgebaut werden, auf künftige Krisen will man sich besser vorbereiten.

Insofern gibt es beim Thema Gesundheit viele Punkte, die bei Koalitionsverhandlungen mit der Union konsensfähig sind. Anders sieht es dagegen mit der Absicht aus, den „Weg hin zu einer Bürgerversicherung“ zu beschreiten und außerdem noch „Kapitaleinnahmen zur Finanzierung unseres Gesundheits- und Pflegesystems“ heranzuziehen. Wie ernsthaft man das in Koalitionsverhandlungen angeht oder ob hier nur Verhandlungsmasse aufgeschrieben wurde, wird man sehen. Auch die Absicht, die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums weiterzuverfolgen, dürfte mit der Union zusammen schwer umzusetzen sein, anders als die ebenfalls beabsichtigte Stärkung der Polizei für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Drogenbereich.

Man könnte in den Parteizentralen einmal darüber nachdenken, warum die Wahlprogramme zuerst der Presse zugestellt werden, nicht den Wähler:innen, die sie doch eigentlich angehen. Auch die Programme von SPD und FDP liegen offensichtlich der Presse bereits vor, sie berichtet darüber. Demnach will wohl auch die SPD wieder die Bürgerversicherung, die FDP will das – wenig verwunderlich – nicht. Sobald auch die Programme von SPD und FDP aus erster Hand da sind, schau ich, was sie versprechen. Versprochen.

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Zur Erinnerung:

• Gesundheit im Wahlprogramm der AfD
• Gesundheit im Wahlprogramm der Linken

Kommentare (5)

  1. #1 Joseph Kuhn
    20. Januar 2025

    Kapitalerträge und Kassenfinanzierung

    Gestern hat Frau Baerbock in der Sendung Caren Miosga den grünen Vorschlag, Kapitalerträge zur Finanzierung der Krankenkassen heranzuziehen, erläutert. Der Vorschlag war, nachdem ihn Robert Habeck öffentlich vorgetragen hat, in die Diskussion geraten.

    Nach Frau Baerbock seien “normale” Leute gar nicht betroffen, für GKV-Versicherte sei ja schon alles geregelt. Es gehe darum, zunächst die private und gesetzliche Krankenversicherung zusammenzuführen und dann bei den reichen, bisher privat versicherten Personen, die keine Arbeitseinkommen haben, um alternative Beitragsmöglichkeiten.

    Caren Miosga hat mehrfach gesagt, sie verstehe es nicht und fast schon etwas gehässig darauf beharrt, Baerbock könne es nicht gut erklären. Sie schien, nachdem sie vor einiger Zeit Christian Lindner etwas schärfer interviewt hatte, in der Parteienbalance etwas gutmachen zu wollen.

    Vielleicht hat sie es auch wirklich nicht verstanden, sie bewegt sich sicher nicht in den Niederungen des Krankenversicherungssystems. Statt auf ihrem Unverständnis zu beharren, hätte sie nachfragen sollen, ob damit die Idee auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt und gar nicht ernst gemeint sei. Denn schon die Zusammenführung von GKV und PKV dürfte unter einer Regierung Merz keine Chance haben, danach kommt somit auch kein zweiter Schritt mit den Kapitalerträgen.

    Man kann natürlich in ein Wahlprogramm etwas schreiben, was parteipolitisch gewollt und realpolitisch unmöglich ist, aber dazu sollte man sich dann auch in der öffentlichen Diskussion transparent verhalten. So gibt es jetzt viel Aufregung um praktisch nichts.

  2. #2 Staphylococcus rex
    20. Januar 2025

    Lt. einer kurzen Internetrecherche gibt es in Deutschland etwa 30 000 Einkommensmillionäre. Die Obergrenze des Einkommens aus eigener hochqualifizierter Arbeit dürfte irgendwo bei 200-500 Tauend Euro liegen, alles darüber hinaus basiert auf kapitalistischer Ausbeutung.

    Diese Personengruppe hält sich derzeit bei der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben vornehm zurück, was sich u.a. darin äußert, dass die Vermögen dieser Leute überproportional wachsen:
    https://www.spiegel.de/wirtschaft/oxfam-bericht-vor-davos-2025-vermoegen-der-superreichen-waechst-immer-schneller-a-55587921-cf0a-4040-90ed-03efcb3a54a2

    In dem Spiegel-Artikel wird übrigens auch eine wichtige Stellschraube genannt, die Superreichen in Deutschland haben einen überproportional hohen Anteil ihres Reichtums geerbt. Die Frage, wie man Einkommensmillionäre im Allgemeinen und Superreiche im Speziellen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit belastet und dies auch noch politisch umsetzt, ist nicht trivial. Mit unausgegorenen Vorschlägen kann man hier sehr viel Porzellan zerschlagen.

  3. #3 zimtspinne
    20. Januar 2025

    @ S. rex

    weißt du zufällig, wie das in anderen Ländern geregelt wird? Ich habe dazu zwar hier und da schon mal was gelesen, habe das aber nicht im Kopf/mein Gehirn hat sich gegen die Speicherung entschieden.

    Was mich und nicht nur mich, immer wieder mal erbost, ist die Tatsache, dass uns Normalos das Leben einkommenserwirtschaftlich immer schwerer gemacht wird. Sogar mit Kleinigkeiten, die aber eben in der Summe keine Kleinigkeiten sind.

    Da muss man sich nicht wundern und kann es keinem verdenken, wenn die Leute Workarounds (DDR-like) finden. Man kann ja vieles als Nachbarschaftshilfe deklarieren 😉

  4. #4 Staphylococcus rex
    20. Januar 2025

    @ Zimtspinne, beim Thema Steuern außerhalb von D bewege ich mich weit außerhalb meiner Kernkompetenz und kann nur angelesenes Wissen anbieten, zumindest hier ein kleines Appetithäppchen zur Situation in den USA:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Erbschaftsteuer_in_den_Vereinigten_Staaten

    Insgesamt zähle ich sicher zu den Gutverdienern in diesem Land (durch meine berufliche Qualifikation, durch Personalverantwortung). Ich habe auch kein Problem damit, meinen finanziellen Anteil für den sozialen Frieden zu leisten. Meine Kraft brauche ich für meine Arbeit, nicht für meine Steueroptimierung. Deshalb empfinde ich das Steuerecht in Deutschland auch als ungerecht, es bietet zu viele Schlupflöcher für diejenigen, die bereits mehr als genug haben.

    Die Grauzone zwischen Schwarzarbeit und Nachbarschaftshilfe ist ebenfalls nicht mein Thema.

  5. #5 Joseph Kuhn
    9. Februar 2025

    Merz und die Pflege

    Friedrich Merz lehnt eine Pflegevollversicherung ab. Sie sei zu teuer und es gebe ja die Möglichkeit zur privaten Zusatzversicherung.

    Auf Deutsch: Die Union will die Arbeitgeber nicht hälftig mitbelasten, für die Versicherten ist es nicht zu teuer.