Die Medizin war zwischen 1933 und 1945 auf vielfältige Weise Teil der nationalsozialistischen Rassenpolitik, bis hin zur aktiven Beteiligung an den Morden an behinderten Menschen oder den Medizinverbrechen in den KZs. Nach dem Krieg haben viele Täter ihre Rolle im Nationalsozialismus verheimlicht oder kleingeredet. Manche, wie Prof. Werner Heyde, eine der zentralen Figuren des Behindertenmords, sind unter falschem Namen untergetaucht und waren, teilweise gedeckt durch Mitwisser, als scheinbare Saubermänner wieder medizinisch tätig.
Auch Angehörige des Öffentlichen Gesundheitsdienstes haben sich nicht selten so verhalten. Es muss daher nicht verwundern, wenn mancher nach dem Krieg sogar geehrt wurde, sei es mit dem Bundesverdienstkreuz, sei es durch Auszeichnungen medizinischer Fachverbände. Auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes hat ein paar braune Schafe in den Reihen der Preisträger der Johann-Peter-Frank-Medaille, der höchsten Auszeichnung des Berufsverbands.
Im Mai 2023 hat der Bundesverband auf der Grundlage von aktuellen medizinhistorischen Recherchen in der Liste der Preisträger einen Hinweis zur Nazi-Vergangenheit Josef Stralaus angebracht. Jetzt ist mit der gleichen Formulierung auch Paul Trüb die Rolle des Vorbilds abgesprochen worden.
Prof. Dr. Paul Trüb hatte im Jahr 1973 die Johann-Peter-Frank-Medaille erhalten. Paul Trüb war vor 1945 beim Reichsstatthalter in Wien tätig. Er war dort in der Unterabteilung Volksgesundheit und Volkspflege in Referat Ic Medizinalangelegenheiten leitend als Regierungs- und Medizinalrat tätig und in dieser Funktion auch für die Erb- und Rassenpflege zuständig, möglicherweise auch mit Transporten in die Tötungsanstalt Hartheim befasst.
Seine Entnazifizierungsakte liegt im Landesarchiv NRW. In seinem Entnazifizierungsverfahren hat er eine NSDAP-Mitgliedschaft eingeräumt, eine SS-Mitgliedschaft dagegen verneint. Zur Mitgliedschaft im NS-Ärztebund ist in der Akte vermerkt: “Nur als Anwärter”. Des Weiteren enthält die Akte Entlastungsaussagen Dritter (das sind oft von der betroffenen Person selbst nachgesuchte und eingereichte Entlastungsaussagen, sog. “Persilscheine”).
Im Berlin Document Center ist der “Parteistatistische Erhebungsbogen” für Paul Trüb archiviert, Stand 1. Juli 1939. Dort ist als Eintrittsdatum in die NSDAP der 1. Juli 1933 dokumentiert, Paul Trüb war also ein überzeugter Nationalsozialist von Beginn an. Des Weiteren ist auch seine SS-Mitgliedschaft dort vermerkt, ebenso die Mitgliedschaft im NS-Ärztebund. Dieser Bogen ist von Paul Trüb persönlich unterschrieben.
Paul Trüb hat somit in seinem Entnazifizierungsverfahren unwahre Angaben gemacht, der entlastende Bescheid ist zu Unrecht ergangen und seine Mitgliedschaft in der SS war auch bei der Preisverleihung unbekannt. Inwiefern er in Wien direkt an der nationalsozialistischen Mordmaschinerie mitgewirkt hat, konnte noch nicht geklärt werden.
Die biografischen Eckdaten zu Paul Trüb wurden erstmals in dem Buch „Wiedergutmachung – Der Kleinkrieg gegen die Opfer“ von Christian Pross 1988 veröffentlicht. Paul Trüb war nach dem Krieg Medizinalbeamter im Regierungspräsidium Düsseldorf und dort u.a. an Wiedergutmachungsverfahren beteiligt. Die Belege für seine Positionen und Ämter im Nationalsozialismus waren jedoch zunächst nicht mehr auffindbar und mussten erneut in verschiedenen Archiven recherchiert werden, seine Falschangaben in der Entnazifizierungsakte waren bislang unbekannt.
Wie man mit solchen Biografien umgeht, ist immer eine Frage des konkreten Einzelfalls. Nähere Umstände, z.B. Tatbeteiligungen, sind oft nicht mehr oder nur mit großem Aufwand aufzuklären. Dennoch sollte man auch nach 80 Jahren nicht einfach achselzuckend über diese „Vorbilder“ hinwegsehen. Es sind keine Vorbilder für den ÖGD.
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