Auch das Wahlprogramm der SPD ist inzwischen veröffentlicht. Die SPD nennt es „Regierungsprogramm“. Gesundheit und Pflege machen 4 ½ von 66 Seiten aus.
Der Gesundheitsabschnitt beginnt mit klassischer sozialdemokratischer Rhetorik:
„Das Gesundheitssystem und die Qualität der Leistungen hängen für zu viele Menschen spürbar von ihrem Lohn und Geldbeutel ab. Wir kämpfen für ein Gesundheitssystem, das gerecht ist – für alle, überall im Land.“
Eine Kernfrage dabei ist das weltweit fast einmalige duale Versicherungssystem. Hier spricht sich die SPD zwar für ein solidarisches System aus, allerdings nur vorsichtig im Rahmen des Risikostrukturausgleichs:
„Der Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen soll dabei gerechter ausgestaltet werden, und auch die privaten Versicherungen sollen zum Risikostrukturausgleich beitragen. (…) Krankenkassen und private Krankenversicherungen bilden so ein System einer solidarischen Bürgerversicherung aus.“
Dafür, dass hier kein Vorschlag für einen Koalitionsvertrag vorgelegt wurde, sondern das Wahlprogramm einer Partei, also eigentlich „SPD pur“, ist das eine recht zurückhaltende Perspektive. Nichtdurchsetzbarkeit in den Koalitionsvereinbarungen bereits einkalkuliert? Auch in der Ampel hatte die SPD ja die Bürgerversicherung, einst für Lauterbach eine „Herzensangelegenheit“, kampflos preisgegeben.
Versicherungsfremde Leistungen sollen über Steuern finanziert werden, gut so, und die Beiträge sollen stärker einkommensorientiert sein. Das könnte man so verstehen, dass die Beitragsbemessungsgrenze angehoben wird. Auch gut.
Im ambulanten Bereich soll die in dieser Legislatur gescheiterte Entbudgetierung der Hausärzte kommen, die Gründung kommunaler MVZs soll erleichtert werden, es soll Gemeindeschwestern geben. Notfallversorgung und Rettungsdienst sollen gestärkt werden. Auch die Gesundheitskioske, in dieser Legislatur mal im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz angedacht und dann wieder aufgegeben, werden erwähnt, ohne konkrete Zahlen.
Mehrfach wird die Wartezeitenproblematik angesprochen. Hier wird eine mit Beitragsreduktion sanktionierte Termingarantie in Aussicht gestellt.
Bei Digitalisierung und KI-Einsatz wiederholt das Papier die Lauterbachschen Versprechungen, diese würden die „Behandlung revolutionieren“.
„Wir wollen die Chancen der Digitalisierung auch im Bereich der Prävention nutzen und die elektronische Patientenakte zu einem persönlichen Gesundheitsberater für die Versicherten weiterentwickeln. Dieser soll die besten Wege für die Förderung der individuellen Gesundheit aufzeichnen.“
Hoffen wir mal, dass diese Revolution dann nicht auch ihre Kinder frisst.
Darauf folgt gleich noch eine Prise Lauterbachscher Großspurigkeit:
„Durch die Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall wollen wir individuelles Leid verringern.“
Leider steht kein Vorschlag dabei, nichts zu Feinstaub, nicht zu Lärm, nichts zu Stress am Arbeitsplatz. Vermutlich ist die Neuauflage des in dieser Legislatur gescheiterten Gesundes-Herz-Gesetz gemeint. Es bliebe besser in der Schublade.
Die Liefersicherheit von Arzneimitteln soll gestärkt werden, die Arzneimittelproduktion in Deutschland und Europa ausgebaut werden.
Überhaupt, die Wirtschaft, die wird nicht vergessen:
„Wir setzen zudem auf eine starke Gesundheitswirtschaft sowie Forschung und möchten personalisierte Therapiemöglichkeiten für Prävention und Behandlung zu erschwinglichen Preisen gemeinsam vorantreiben.“
Bei der SPD hat neuerdings alles seinen Preis, und was „erschwinglich“ ist, mag dann jeder selbst entscheiden.
Beim Thema Pflege will die SPD natürlich ebenfalls die Kosten deckeln. Die Eigenbeteiligung bei den Heimkosten soll auf 1.000 Euro im Monat begrenzt werden.
Beim dualen Versicherungssystem wird wie bei der Krankenversicherung der Weg über den Risikostrukturausgleich gewählt:
„Im ersten Schritt wollen wir so schnell wie möglich die privaten Pflegeversicherungen in den Risikostrukturausgleich zwischen allen Pflegekassen und damit in eine faire und leistungsgerechte Finanzierung einbeziehen (…).“
Die pflegenden Angehörigen sollen besser unterstützt werden, das ist wichtig, und neue Wohnformen sollen „verstetigt“ werden. Gut, aber erst mal müssten sie ausgebaut werden. Mancher Vorschlag klingt recht utopisch:
„Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen sollen zudem bei der Vergabe von sozialem Wohnraum (…) bevorzugt werden.“
Welchen „sozialen Wohnraum“ will die SPD hier bevorzugt verteilen?
Und natürlich darf auch bei der Pflege die Digitalisierung als Geheimwaffe nicht fehlen:
„Denn die Digitalisierung in der Pflege kann Prävention fördern, Pflegebedürftigkeit vorbeugen, verlässliches Monitoring ermöglichen und bestehende Versorgungsangebote besser vernetzen.“
Des Weiteren sollen die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe verbessert werden: mehr Geld, mehr Freizeit, Entlastung bei der Dokumentation durch KI. Das wird vermutlich alles drei nicht klappen.
Insgesamt ist der Abschnitt Gesundheit und Pflege detailreicher als in den Wahlprogrammen der anderen Parteien, man merkt, dass die SPD zuletzt das Ressort verwaltet hat. Viele sinnvolle Punkte, auch manche Sprechblase. Bei der Bürgerversicherung scheint die SPD schon auf ihren neuen Koalitionspartner zu schielen. Die Verhältnisprävention hat sie weitgehend vergessen (immerhin geht sie im Kapitel zum Arbeitsmarkt – ohne Bezug zur Gesundheitspolitik – auf Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung ein), ÖGD und Public Health kommen gar nicht vor. Daran scheint Karl Lauterbach in seinem Engagement für Gesundheitswirtschaft, Digitalisierung und personalisierter Medizin keinen Gefallen mehr zu finden und sonst in der SPD offensichtlich auch niemand. Schade.
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Die anderen Parteien:
• Gesundheit im Wahlprogramm der AfD
• Gesundheit im Wahlprogramm der Linken
• Gesundheit in den Wahlprogrammen von Union und Grünen
• Gesundheit im Wahlprogramm der FDP
• Gesundheit im Wahlprogramm des BSW
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