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Verbindliche Regeln sind im Moment etwas außer Mode geraten, weltweit, aber auch in Europa und Deutschland. Es gilt statt dessen immer öfter der Grundsatz, jeder macht, was er für richtig hält. Der homo oeconomicus hält gewissermaßen Einzug in den Umgang mit Recht und Ordnung. Trendsetter ist Donald Trump.

In diesem Punkt auf der Höhe der Zeit hat die Union mit Friedrich Merz an der Spitze gerade einen voluntaristischen Umgang mit dem Recht in der Migrationspolitik propagiert: Da die europäischen Regeln ohnehin nicht funktionieren, müsse man sich darüber hinwegsetzen und tun, was Deutschland nütze. Die anderen würden das schließlich auch so machen.

Franz Josef Strauß, der Säulenheilige der CSU, hat zwar selbst gelegentlich einen flexiblen Umgang mit dem Recht gepflegt, aber im internationalen Geschäft hat er Wert auf Vertragstreue gelegt, ihm waren die Konsequenzen bewusst, wenn man sich um Vereinbarungen nicht mehr schert. So hat er selbst die von der Union abgelehnten Ostverträge der sozialliberalen Koalition unter Brandt nicht infrage gestellt. Im Gegenteil: Mit der Formel „pacta sunt servanda“ hat er die Notwendigkeit ihrer Anerkennung betont und in der Union zustimmungsfähig gemacht.

Die Formel bringt eine sich über Jahrhunderte vollziehende Entwicklung der Verbindlichkeit von Verträgen auf den Punkt und gilt inzwischen auch im Völkerrecht. Internationale Verträge stehen grundsätzlich über nationalen Gesetzen. Wenn Verträge nicht eingehalten werden, aber im Prinzip die Dinge vernünftig regeln, muss die Nichteinhaltung sanktioniert werden. Wenn Verträge schlicht nicht funktionieren, müssen sie geändert werden. Darauf verweist Ronen Steinke heute in der Süddeutschen Zeitung und so würde ich das auch sehen, aber ich bin kein Jurist.

Das “Dublin-Verfahren“, nach dem Flüchtlinge dort registriert werden sollten, wo sie europäischen Boden betreten, also vor allem in Griechenland, Italien und Spanien, hat nicht funktioniert. Seine Nichteinhaltung hat die EU nicht ernsthaft sanktioniert und die Ratio dieses Systems, das die Lasten unter den europäischen Staaten höchst ungleich verteilt, habe ich ohnehin nie verstanden. Aber ich bin, wie gesagt, kein Jurist. Aus meiner Sicht war es, dem Grundsatz pacta sunt servanda folgend, richtig, das nicht funktionierende System neu zu verhandeln. Ergebnis ist das „Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS)“.

Ob man jetzt trotzdem einfach machen soll, was man selbst für richtig hält? Was wohl Franz Josef Strauß dazu sagen würde? Auch er war kein Jurist. Friedrich Merz ist Jurist. Vielleicht entdeckt er gerade seine Sponti-Seite: „Legal, illegal, scheißegal“?

Kommentare (3)

  1. #1 Robert
    6. Februar 2025

    Zurück zu den Schlagbäumen? Merz versteigt sich gerade in Versprechungen, die er unmöglich einhalten kann. Das Vertrauen in die Demokratie wird dadurch nicht gerade gestärkt, insbesondere bei denjenigen Wählern, die er damit gewinnen will.

  2. #2 RPGNo1
    7. Februar 2025

    Was wohl Franz Josef Strauß dazu sagen würde?

    Frau Rennefanz äußert im Spiegel die Hypothese, dass FM mehr FJS wagen sollte.

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestagswahl-cdu-sollte-sich-an-franz-josef-strauss-erinnern-a-1ae439ad-55ef-4ba5-bd85-b49348c0d0f8

    PS: Wer den ganzen Artikel lesen möchte, sollte auf ein Webarchiv zurückgreifen.

    • #3 Joseph Kuhn
      7. Februar 2025

      @ RPGNo1:

      Frau Rennefranz spricht allerdings nicht den Umgang mit geltendem, aber womöglich dysfunktionalem Recht an, sondern den Umgang mit den Rechtspopulisten. Mit Blick auf Strauß also nicht die Sentenz “pacta sunt servanda”, sondern “Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben”.

      Da ist mir nicht ganz klar, worauf sie hinauswill. Es scheint, als plädiere sie für die Integration rechter Positionen in die Union, also die bloße Rücknahme der organisatorischen Eigenständigkeit der Rechtspopulisten. Ob man das, wie sie schreibt, unter Lucke und Petry versäumt hat? Ich fürchte, der Blick in unsere Nachbarländer und über den Atlantik zeigt, dass das zu deutsch gedacht ist. Vermutlich hätte sich trotzdem eine eigenständige rechtspopulistische Kraft entwickelt. Aber das sind alles Überlegungen, die wenig weiterhelfen. Dass die Union jetzt auf Höcke-Kurs gehen und mit der AfD fusionieren sollte, wird sie ja hoffentlich nicht meinen.

      Insofen läuft ihr Beitrag auf eine kontrafaktische Version des Strauß-Satzes hinaus: “Rechts von der CDU/CSU hätte es keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfen”. Warum eigentlich? Inwiefern hat Strauß allein die Bewahrung der Machtoptionen der Union vor Augen gehabt, und inwiefern (auch) die Bewahrung des liberaldemokratischen Politikrahmens? Vermutlich gibt es dazu einiges an Literatur. Aber wie gesagt, Thema hier war eigentlich der andere Strauß-Satz.