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Darüber, dass die psychische Gesundheit eine der großen gesundheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart darstellt, besteht in der Fachöffentlichkeit seit langem Konsens. Ebenso darüber, dass gesundheitspolitische Vorhaben in diesem Bereich umso bedarfsgerechter ausgerichtet werden können, je besser die Datenlage ist und je datengestützter die Diskussion zum Handlungsbedarf stattfindet.

Das WHO-Regionalbüro Europa hat dazu 2022 seinen Handlungsrahmen für dieses Politikfeld aktualisiert und fordert ein stärkeres Engagement der Gesundheitspolitik:

„Increase funding and investment in mental health services commensurately with service and resource needs, with a view to promoting equity in accessing high-quality care and making efficient use of resources for mental health.“

Zur bedarfsgerechteren Ausrichtung soll eine Datenplattform aufgebaut werden. In Deutschland bemüht sich darum seit einigen Jahren das Robert Koch-Institut im Rahmen einer nationalen „Mental Health-Surveillance“. Allerdings hält das Bundesgesundheitsministerium diesen Ansatz bisher finanziell an der kurzen Leine und ob das neue BIÖG hier eine substantielle Verbesserung mit sich bringt, ist angesichts der aktuellen finanzpolitischen Debatte zumindest fraglich.

Auf Länderebene ist die Zusammenführung und Auswertung von Daten zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung noch rudimentärer. In Bayern gibt es allerdings seit 2018 eine gesetzliche Verpflichtung, dem Landtag alle drei Jahre einen Bericht zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung einschließlich der Versorgungssituation vorzulegen: Art. 4 des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes. Eine vergleichbare Vorschrift konnte für die allgemeine Gesundheitsberichterstattung in Bayern bisher nicht gesetzlich verankert werden, § 9 des bayerischen Gesundheitsdienstgesetzes enthält nur eine sehr vage – immerhin nicht restriktive – Rahmenvorgabe.

Ende letzten Jahres hat die Staatsregierung dem Landtag den zweiten bayerischen Psychiatriebericht vorgelegt, die Presse hat darüber berichtet. Jetzt wurde der Bericht veröffentlicht und steht der Fachöffentlichkeit zur Verfügung. Er umfasst 225 Seiten, eine materialreiche Sammlung mit statistischen Daten und exemplarischen Projekten. Auch Betroffenenstimmen wurden eingeholt, zusammen mit der Beratung des Berichts durch einen für die Psychiatrieberichterstattung eingerichteten Beirat ein wichtiges Element einer partizipativen Berichterstattung.

Thematisch spannt der Bericht einen weiten Bogen auf, von klinischen Aspekten bis hin zu Risikofaktoren wie Einsamkeit oder Klimawandel und Folgen wie der politischen Radikalisierung. In dieser Breite ist der Bericht in Deutschland einzigartig.

Bei der psychischen Gesundheit geht es bekanntlich nicht um ein Nischenthema. Etwa 3 Mio. Menschen haben in Bayern nach Daten der Kassenärztlichen Vereinigung eine ambulante Diagnose aus dem F-Kapitel der ICD, also der psychischen und Verhaltensstörungen. Hinzu kommen noch die Privatversicherten. In der Größenordnung entspricht das den Daten aus den deutschlandweiten epidemiologischen Surveys des Robert Koch-Instituts.

Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, muss man gar nicht die 225 Seiten durchgehen, es gibt für eilige politische Leser:innen jeweils Zusammenfassungen der wichtigsten Befunde. Den Abschluss bildet ein kurzes Kapitel mit zentralen gesundheitspolitischen Leitorientierungen:

1. Datenlage verbessern
2. Transparenz der Angebote verbessern
3. Koordination verbessern
4. Prävention verbessern
5. Fachkräftemangel bekämpfen
6. Stigmatisierung abbauen

Diese sechs Punkte stehen miteinander in Zusammenhang. Irritierenderweise fehlen selbst zu elementaren Sachverhalten bei der psychischen Gesundheit Daten, von den Kosten bis zur Lebensqualität der Betroffenen. Die Versorgungsforschung hat hier einige Lücken zu schließen. Aus Betroffenensicht noch wichtiger ist, dass das Versorgungsangebot unübersichtlich ist und die Koordination zwischen den Angeboten sowie in der Versorgungskette besser werden muss. Wo ist eine Psychotherapie angesagt, wo braucht es den Psychiater, wo vielleicht die Schulpsychologin oder die Suchtberatungsstelle? Das ist insbesondere eine kommunale bzw. regionale Aufgabenstellung. Eine offene Baustelle ist die Prävention psychischer Störungen, hier fehlt es nicht selten an Grundlagenforschung. Wie überall im Gesundheitswesen leidet auch die Versorgung psychisch kranker Menschen an personellen Engpässen, hier müssen vor allem auf Landes- und Bundesebene Lösungen gefunden werden. Und was die nach wie vor bestehende Stigmatisierung psychischer Störungen angeht, sind wir alle gefordert: Vorurteile machen auch bei diesem Thema nichts besser, sie verhindern, dass Betroffene frühzeitig Hilfe suchen und sie erschweren bei chronischen Verläufen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – wobei die Datenlage auch hier nicht die Beste ist.

Jetzt kommt es darauf an, was die Politik und die Fachöffentlichkeit aus dem Bericht machen. Spätestens in drei Jahren wird man sich dieser Frage auch im Rahmen des dritten bayerischen Psychiatrieberichts stellen müssen: Mit jedem Bericht werden evaluative Aspekte an Bedeutung gewinnen.

Was die anderen Bundesländer angeht, so sind einige ebenfalls in Sachen Psychiatrieberichterstattung aktiv, mit sehr unterschiedlichen Konzepten. Beim ÖGD-Kongress 2025 in Erlangen wird es dazu – meines Wissens erstmals – einen Austausch unter den Ländern geben.

Und auf Bundesebene: Da ist, wie gesagt, alles offen. Das Gesetz zur Stärkung der öffentlichen Gesundheit sollte der Mental Health-Surveillance am Robert Koch-Institut zumindest eine rudimentäre Finanzierung sichern, es ist durch den Bruch der Ampel-Koalition nicht mehr verabschiedet worden. Gleiches gilt für das Suizidpräventionsgesetz, das u.a. den Aufbau einer Suizid-Surveillance vorsah. Derzeit haben wir nicht einmal gute Daten zu stationär behandelten Suizidversuchen. Dafür beobachten wir in der amtlichen Statistik qualitätsgesichert den Inlandsabsatz an Düngemitteln mit und ohne Nitrifikationsinhibitoren vierteljährlich nach Bundesländern differenziert. Politische Prioritäten spiegeln sich auch in der Statistik wider.

Kommentare (1)

  1. #1 hto
    14. März 2025

    Wenn es mit der psychischen Gesundheit in Bayern richtig stehen würde, dann würde Merz niemals Kanzler werden können, aber die “anderen” haben natürlich auch keinen Arsch in der Hose, denn man könnte ohne Neuwahl immernoch einen besseren der CDU finden!? 😉