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In der Dachauer Friedenskirche fand heute ein besonderes Konzert statt: Afrodeutsche Musiker:innen haben im Rahmen einer „Konzertandacht“ zur internationalen Woche gegen Rassismus Lieder über ihre Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen gesungen.

Dachau hat auch bei der Verfolgung und Ausgrenzung von Menschen mit anderer Hautfarbe eine historische Last. Im KZ Dachau waren z.B. Kinder von Kolonialsoldaten interniert. Für drei von ihnen wurden im Laufe der Andacht Kerzen entzündet.

Trotz des ernsten Themas ging es nicht allzu schwermütig zu, vielmehr war die Stimmung insgesamt eher heiter und beim letzten Lied hat sich sogar der Pfarrer der Dachauer Versöhnungskirche zum Mittanzen hinreißen lassen. Solche Veranstaltungen machen die Zusammengehörigkeit aller Menschen vermutlich spürbarer als so manche mahnende Politikeransprache mit den üblichen Gedenktags-Floskeln. Von „afrodeutschem Empowerment“ war in der Ankündigung die Rede. Das trifft es. Mein Bild von litaneihaft langweiligen kirchlichen Andachten hat doch etwas gelitten.

Kurz erwähnt wurde bei der Konzert-Andacht auch die ungeklärte Haltung Dachaus zu Walter von Ruckteschell. Ruckteschell war Künstler – und im ersten Weltkrieg Kolonialoffizier, Adjutant von Paul von Lettow-Vorbeck. Ruckteschell war ein vehementer Verfechter des Kolonialismus. In den 1920er Jahren lebte er in Dachau und war in der dortigen Künstlerszene aktiv. Im Nationalsozialismus hatte er zwar kleinere Differenzen mit dem Regime, aber im Widerstand war er nicht, sondern mit prominenten Nazis befreundet und Hitler höchstpersönlich erwarb eines seiner Werke. Die deutsche Kolonialgeschichte mit ihren völkermörderischen Verbrechen blieb ohnehin lange aus dem kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik verdrängt – und Ruckteschell ein ehrbarer Künstler. Die Stadt Dachau unterhält als Künstlerhaus die „Ruckteschell-Villa“ und in der Stadt gibt es mehrere Skulpturen von Ruckteschell zu sehen, alle bisher ohne Kommentierung zur dunklen Seite seiner Person, die erst sehr spät in Dachau zum Thema wurde. Vielleicht lässt sich das ja zusammen mit einer anderen unerledigten Geschichte nachholen. Es wäre in Zeiten, in denen die AfD Millionen Menschen mit Migrationshintergrund deportieren will, „remigrieren“ auf afddeutsch, ein überfälliger Schritt.

Kommentare (3)

  1. #2 RGS
    18. März 2025

    2021 gab es eine Ausstellung in der Ruckteschell-Villa, die begann das Bild des Namensgebers zu “demontieren”:
    https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/dachau-ruckteschell-kolonialismus-1.5406201

    Immerhin soll ein erläuterndes Schild an den Straßenschildern des Ruckteschellwegs angebracht werden, las ich.

    Gleiches sollte an den Skulpturen von Ruckteschell gemacht werden. Heute kann auch mit QR-Codes auf Websites verlinkt werden, die ausführliche Informationen enthalten können.

  2. #3 Oliver Gabath
    20. März 2025

    @#2(RGS):
    Ich glaube, die Demontage von Legenden oder allgemein von liebgewonnenen Vorurteilen (guten wie schlechten) ist ein ganz wichtiger Teil des Erwachsenwerdens. Als Person muss man das immer wieder für sich selbst durchmachen (vor ein paar Jahren hab ich ja mal was über mein Verhältnis zu Peter Hook und Nicola Tesla geschrieben), aber auch Gruppen und Gesellschaften bleibt es nicht erspart. Nur, dass das Beharrungsvermögen der Gruppe deutlich größer ist als das der Einzelperson. Auch da ist das Ganze größer als die Summe der Teile.

    Ist zwar ein völlig anderer Zusammenhang, aber vor ein paar Jahren hat Anita Serkeesian ein ziemlich interessantes Video über misogyne Inhalte in Videospielen gemacht und dabei und in weiteren Beiträgen die Frage aufgeworfen, inwieweit es in Ordnung ist, etwas zu mögen und zu konsumieren, auch wenn es moralisch fragwürdig ist. Die Antwort, die sie für sich gefunden hat, läuft im Grunde darauf raus, dass alles im Leben in irgendeiner Form problematische Seiten hat und man genau deswegen weder in den Reflex verfallen sollte, es deswegen zu verteufeln, noch, sich gegen die Kritik zu immunisieren. Man darf Dinge cool finden, aber man muss sich der Probleme bewusst sein.

    In der Hinsicht finde, jemanden für seine Verdienste zu ehren, z.B. durch eine nach ihr oder ihm benannte Straße, und gleichzeitig darauf hinzuweisen, was an der Person problematisch war, z.B. ihr Verhältnis zum Kolonialismus, ist ein guter Mittelweg.