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Vermutlich kennt jeder den Spruch, „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ Angeblich hat das der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle gesagt. Der Spruch wird gerne als Ausdruck eines realistischen Politikverständnisses zitiert.

Wenn man genauer darüber nachdenkt: Ist der Satz nicht einfach nur dumm? Staaten sind zwar völkerrechtliche Subjekte, aber keine Subjekte im Sinne der Psychologie. Zumindest „Freundschaft“ kann man aber nur als sozialpsychologische Kategorie verstehen. Darüber hinaus ist es bestenfalls eine Metapher. Auch die „Interessen“ könnte mit einem Fragezeichen versehen.

Nicht, dass solche Metaphern nicht hilfreich sein können. Wenn man zwischenstaatliche Beziehungen spieltheoretisch analysiert, kann „Freundschaft“ vielleicht Strategien langfristiger Bündnisse bezeichnen, wie sie in der regelbasierten Weltordnung vor Trump häufiger waren. Mikroanalytisch betrachtet, entwickeln aber Staaten so wenig „Freundschaftsgefühle“ wie sie lachen oder hysterisch werden. Letztlich sind es immer Menschen, natürlich Menschen in institutionellen Gefügen, die über die Beziehungen zwischen Staaten entscheiden. Manchmal sind sie sich freundschaftlich zugetan, wie vielleicht Joschka Fischer und Madeleine Albright, oder glauben es zu sein, wie Trump gegenüber Putin, und manchmal vertreten sie nur die Interessen ihres Staates, die sie als „objektive Interessen“ wahrzunehmen meinen.

Dass man die Psychologie der Freundschaft auch hinterfragen und in egoistische „Interessen“ auflösen kann, wie das z.B. Gary Becker in seinen verhaltensökonomischen Analysen versucht hat, oder sie gar naturalisieren möchte als physiologische Reaktionen auf irgendwelche Reize oder genetische Dispositionen, sei einmal dahingestellt. Die Probleme, die Beckers Konzept mit sich bringt, wurden wiederholt benannt und auch in populärwissenschaftlichen Büchern wie Frank Schirrmachers „Ego“ oder Nida-Rümelins „Die Optimierungsfalle“ schon vor Jahren beschrieben, und die Naturalisierung internationaler Beziehungen könnte man ohnehin nur als Karikatur formulieren – bisher spricht nichts dafür, dass Putin Trump über Pheromone steuert.

Die Personalisierung zwischenstaatlicher Beziehungen ist paradoxerweise zugleich eine Entpersonalisierung, weil sie die tatsächlich handelnden Akteure aus dem Blickfeld nimmt. Wenn Staaten als Subjekte handeln, wie viel Verantwortung haben dann noch ihre Vertreter? Schrumpfen sie dann nicht auf das Niveau von Charaktermasken staatlicher Interessen? Das wird besonders virulent, wenn man z.B. im Angriff Russlands nur eine unvermeidliche Reaktion auf die NATO-Osterweiterung sieht, oder den Ausdruck imperialer Neigungen Russlands. Auch hier sind das durchaus hilfreiche Perspektiven, aber mikroanalytisch trägt es nicht. Russlands Reaktionen gäbe es nicht ohne verantwortlich handelnde Personen. Oder vielleicht doch? Sind Staaten am Ende „Quasi-Subjekte“? Trump und Putin, oder Scholz und Merz, nur Marionetten eines geheimnisvollen „tiefen Staats“? Und ist es Zufall, dass ausgerechnet Rechtspopulisten im Staat gerne ein überindividuelles Subjekt sehen?

Kommentare (5)

  1. #1 Ludger
    23. März 2025

    J.K.: ” Sind Staaten am Ende „Quasi-Subjekte“? Trump und Putin, oder Scholz und Merz, nur Marionetten eines geheimnisvollen „tiefen Staats“? Und ist es Zufall, dass ausgerechnet Rechtspopulisten im Staat gerne ein überindividuelles Subjekt sehen?”

    Bei absolutistischen Herrschern (“L’État, c’est moi”) oder beim Führerprinzip (https://de.wikiquote.org/wiki/Rudolf_He%C3%9F ,Rudolf Heß: “Die Partei ist Hitler. Hitler aber ist Deutschland, wie Deutschland Hitler ist.” – Rede am 10. September 1934 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg) wird nicht zwischen dem Staat und dem obersten Chef unterschieden. Der Inhaber der Staatsgewalt ist der Souverän, in Demokratien das Staatsvolk. Dessen Interessen sollte der Regierungschef respektieren.

    • #2 Joseph Kuhn
      23. März 2025

      @ Ludger:

      “das Staatsvolk. Dessen Interessen sollte der Regierungschef respektieren”

      Irgendwie ja. Aber was sind die Interessen “des Staatsvolks”? Hat es gemeinsame Interessen, die den Bürgergeld-Empfänger mit dem Milliardär verbinden, den völkischen Ausländerfeind mit dem Multikulturfreund, den von Windenergie Überzeugten mit dem Atomkraft-Befürworter, Bhakdi mit Lauterbach, den Bayern München-Fan mit dem von Borussia Dortmund oder gar den Franken mit dem Baiern? Schon die STIKO tat sich immer schwer, zu definieren, was das “öffentliche Interesse” charakterisiert, dem sie verpflichtet ist.

      Und, man wage ruhig den Gedanken, hatte der Diktator Hitler weniger Menschen hinter sich als der Demokrat Scholz?

      Letztlich ist die repräsentative Demokratie eine Möglichkeit, die Vielfalt der Stimmen und Interessen, möglichst deliberativ “durchgearbeitet”, in konsistentes politisches Handeln zu übersetzen.

      Aber der Blogbeitrag hier hat eine etwas andere Stoßrichtung, er fragt nicht danach, ob der Regierungschef das Volk vertritt (oder ob das Parlament das tut, oder wie eine demokratische öffentliche Meinungsbildung aussehen sollte), sondern ob Staaten Freundschaften schließen können, ob Staaten Feinde werden können, ob sie nett sein oder Hunger haben können und welche anthropomorphen Begrifflichkeiten, auf Staaten angewandt, vielleicht noch einen metaphorischen Sinn haben und welche nicht mal das.

  2. #3 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    23. März 2025

    Der Satz ist nicht dumm, im Gegenteil. Mit “Staaten” sind die jeweiligen Regierungen gemeint. Und die haben und verfolgen ihre Interessen. Es sind die der dort handelnden Personen.

  3. #4 Ludger
    23. März 2025

    J.K.: “Aber der Blogbeitrag hier hat eine etwas andere Stoßrichtung, er fragt nicht danach […] , sondern ob Staaten Freundschaften schließen können, ob Staaten Feinde werden können, ob sie nett sein oder Hunger haben können und welche anthropomorphen Begrifflichkeiten, auf Staaten angewandt, vielleicht noch einen metaphorischen Sinn haben und welche nicht mal das.”

    In der Sowjetunion und der DDR beschrieb der Begriff Völkerfreundschaft, einen Anspruch, eine sozialistische Tugend, die aber kaum gelebt werden konnte. In der alten Bundesrepublik gab es mit Frankreich 1963 den Élysée-Vertrag (deutsch-französischer Freundschaftsvertrag). Im Zusammenhang damit gab es Städtepartnerschaften, Schüleraustausche, Vereinskontakte (bei mir z.B. zwischen dem Ruderverein Münster und der Societé Nautique d´Orléans) und Erasmus Programme. In Neheim gibt es z.B. das Franz-Stock-Komitee für Deutschland e.V.( https://franz-stock.org/index.php/de/europaeische-begegnungsstaette ). Die sind aktiv. Dadurch haben sich schon persönliche Freundschaften entwickelt und es sind Familien entstanden. Auf jeden Fall hat sich die Idee der “Erbfeindschaft” verflüchtigt. Durch die zunehmende Freundschaft zwischen den Menschen kann es schon so etwas wie Freundschaften zwischen Staaten geben, weil sich die Staaten aus Menschen bilden.

    • #5 Joseph Kuhn
      23. März 2025

      @ Ludger:

      Kein Dissens. Natürlich können Menschen aus unterschiedlichen Ländern befreundet sein und das kann auch staatlich gefördert werden kann. Auch gegen die Redeweise “so etwas wie Freundschaften zwischen Staaten” ist nichts einzuwenden. “So etwas wie” zeigt das Metaphorische an.