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Ähnlich wie die Säuglingssterblichkeit ist die Müttersterblichkeit im internationalen Vergleich ein Indikator für die Qualität der medizinischen Versorgung rund um die Geburt, einschließlich der Hygiene. Zu Recht ist sie einer der Indikatoren für die UN-Nachhaltigkeitsziele. Vermutlich kennt jeder die Geschichte von Ignaz Semmelweis, dessen Empfehlungen für eine bessere Hygiene in der Geburtshilfe die damals sehr hohe Müttersterblichkeit erheblich senken konnte. In Deutschland ist die Müttersterblichkeit nach dem ersten Weltkrieg infolge der Fortschritte in der Medizin und der Geburtshilfe landesweit schnell sehr stark gesunken, wie eine Auswertung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt:

Betrachtet man nur die letzten Jahre, wiederum anhand der Todesursachenstatistik, sieht man kleinere Schwankungen, die sich aufgrund der absolut geringen Fallzahlen statistisch kaum interpretieren lassen. Deutschlandweit registriert die Todesursachenstatistik jährlich ca. 30 Sterbefälle von Müttern im Zusammenhang mit der Geburt. 2023 lag die Rate bei 4,2 gestorbenen Müttern je 100.000 Lebendgeborene:

Das könnte eine deutlich zu geringe Rate sein. Ende 2023 hat ein Team um Josefine Königbauer von der Charité Berlin eine Studie publiziert, in der die Zahlen für Berlin überprüft wurden. Die Autor:innen haben dazu die Todesbescheinigungen in Berlin sowie die Klinikdokumentation der Charité durchgesehen. Die Todesbescheinigungen konnten über das Berliner Zentralarchiv für Leichenschauscheine kontrolliert werden – dort werden für alle Berliner Gesundheitsämter die Todesbescheinigungen gesammelt. Inwiefern dort auch Daten für Berliner Frauen, die außerhalb Berlins gestorben sind, vorliegen, weiß ich nicht.

Die Autor:innen kamen für Berlin auf 14 Müttersterbefälle im Zeitraum 2019 bis 2022, also 3,5 pro Jahr. Daraus ergibt sich eine wesentlich höhere Rate als im bundesdeutschen Durchschnitt, 9,1 je 100.000, was sie auf Dokumentationsprobleme im Zusammenhang mit den Todesbescheinigungen zurückführen. Die Autor:innen schlagen ein Register für Müttersterbefälle vor, um zuverlässigere Daten und bessere Hinweise auf Präventionsmöglichkeiten zu gewinnen.

Die Studie ging vor ein paar Tagen durch die Medien, selbst der SPIEGEL hat darüber berichtet. Möglicherweise stehen die Medienberichte in Zusammenhang mit den aktuellen Forderungen, das von der Ampel geplante, aber nicht mehr umgesetzte Registergesetz wieder aufzugreifen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es dazu: „Zur besseren Datennutzung setzen wir ein Registergesetz auf und verbessern die Datennutzung beim Forschungsdatenzentrum Gesundheit.“

In Bayern gab es übrigens bei der Bayerischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde bis vor kurzem eine „Kommission Mütterliche Mortalität“, die Einzelfalluntersuchungen zu Müttersterbefällen durchgeführt hat.

Ob ein Register für Müttersterbefälle sinnvoll ist, ist abstrakt schwer zu sagen, es kommt z.B. auf die Inhalte an, die im Register erfasst werden, auf die Anreize, um möglichst vollzählige und vollständige Meldungen zu erhalten und einige andere Punkte. Darüber mögen die Fachleute diskutieren.

Unabhängig von einem solchen Register wäre es aber auf jeden Fall hilfreich, wenn auf den Todesbescheinigungen die Dokumentation der Merkmale bei Sterbefällen von Frauen, die im Zusammenhang mit einer Geburt verstorben sind, für alle Bundesländer vereinheitlicht würden. Ein Pilotprojekt für eine einheitliche elektronische Todesbescheinigung wurde bereits vor einiger Zeit erfolgreich abschlossen. Dass es sie in Deutschland noch immer nicht gibt, ist ein digitaler Anachronismus.

Kommentare (17)

  1. #1 Staphylococcus rex
    14. April 2025

    IT-technisch wäre folgendes Vorgehen vorstellbar: Der Arzt am Totenbett macht nur die provisorische Leichenschau, damit das Bestattungsinstitut den Körper übernehmen kann. Die endgültige Leichenschau, das Zusammenführen der Leichenschaubefunde mit der elektronischen Patientenakte und das Befüllen der elektronischen Todesbescheinigung wäre dann Aufgabe eines spezialisierten Leichenbeschauers (“coroner”).

    Damit wären viele Qualitätsprobleme, die wir derzeit rund um die Leichenschau haben, lösbar. Dies erfordert aber moderate Zusatzkosten und den politischen Willen. Vielleicht könnte man die geplante flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte als Anlaß nehmen, das bisherige Procedere zu hinterfragen und damit auch diesen Teil der Medizin zu digitalisieren.

    Spezielle Register müssen manuell befüllt werden und bedeuten zusätzlichen Verwaltungsaufwand, eine automatische digitale Lösung wäre sicher von Vorteil.
    Grundsätzlich sollte mit der Einführung der elektronischen Patientenakte der Datenfluß zwischen EpA und Zentralregister neu gedacht werden.

    • #2 Joseph Kuhn
      14. April 2025

      @ Staphylococcus rex:

      Die Leichenschau ist keine GKV-Leistung und Verstorbene können auch Einträgen in ihre Patientenakte nicht mehr zustimmen, insofern sehe ich den Zusammenhang mit der ePA nicht, aber vielleicht habe ich auch nur nicht verstanden, worauf sie hinauswollen.

      Ansonsten vielleicht zum Thema Leichenschau von Interesse: Heft 12/2019 des Bundesgesundheitsblatts.

  2. #3 Ludger
    14. April 2025

    Die Müttersterblichkeit ist (neben der Perinatalen Mortalität) zweifellos eine sehr wichtige Kennzahl für die Qualität der Geburtshilfe.
    Definition laut Wikipedia :

    Müttersterblichkeit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert als „Tod einer Frau während der Schwangerschaft oder 42 Tage nach Schwangerschaftsende, unabhängig von der Dauer der Schwangerschaft oder dem Ort, an dem sie stattfindet oder die Maßnahmen, die in Bezug auf sie getroffen wurden, jedoch nicht wenn die Todesfälle auf Zufälle oder Versagen zurückzuführen sind.“

    Ob bei einer Verstorbenen eine Schwangerschaft vorliegt oder vor weniger als 42 Tagen endete, muss auf dem Totenscheinen vermerkt werden.
    Laut dem Statistischen Bundesamt gab es im Jahr 2023 in Deutschland 692989 Lebendgeborene. Wir reden also über etwa 7X4=28 Fälle (bisherige Zahlen) oder 7X9=63 Fälle bei der angenommenen Berliner Inzidenz. Dabei ist bei beiden Szenarien unklar, wie viele Fälle davon vermeidbar gewesen wären.
    Die Hauptursachen für einen schwangerschaftsbedingten Todesfall sind laut WHO ( https://www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/maternal-mortality )

    The major complications that account for around 75% of all maternal deaths are (1):

    severe bleeding (mostly bleeding after childbirth)
    infections (usually after childbirth)
    high blood pressure during pregnancy (pre-eclampsia and eclampsia)
    complications from delivery
    unsafe abortion.

    Das Ziel einer modernen Geburtshilfe muss sein, solche Komplikationen zu beherrschen. Das können große Kliniken besser als kleine Belegabteilungen. Deswegen lohnt auch eine etwas längere Anfahrt. Schwierig wird es bei unbekannten Begleiterkrankungen (z.B. geplatztem Hirnarterienaneurisma mit schwerer Hirnblutung) oder bei Problemen im Wochenbett (Thrombo-Embolie 5 Wochen nach Entbindung).
    Fazit:
    Eine Untererfassung der Fälle von Müttersterblichkeit halte ich für plausibel. Ich wünsche mir eine gesetzliche Vorschrift zur Obduktion in jedem dieser Fälle.

    • #4 Joseph Kuhn
      14. April 2025

      @ Ludger:

      “Ob bei einer Verstorbenen eine Schwangerschaft vorliegt oder vor weniger als 42 Tagen endete, muss auf dem Totenscheinen vermerkt werden.”

      Leider nicht in allen Bundesländern.

      “Wir reden also über etwa 7X4=28 Fälle”

      Ja. Im Kern geht es um die ICD-Gruppe O00-O99. Das waren 2023 bundesweit 29 Fälle, 2022 30 und 2021 28. Für Berlin wurden 2023 und 2023 keine Fälle in der Todesursachenstatistik dokumentiert, 2021 unterlagen sie der Geheimhaltung aufgrund zu kleiner Fallzahlen.

      “Eine Untererfassung der Fälle von Müttersterblichkeit halte ich für plausibel. Ich wünsche mir eine gesetzliche Vorschrift zur Obduktion in jedem dieser Fälle.”

      Inwiefern hilft das bei der Untererfassung?

  3. #5 Staphylococcus rex
    14. April 2025

    @ Joseph Kuhn, eine einheitliche elektronische Todesbescheinigung wäre aus meiner Sicht ein sehr sinnvolles Projekt. Für die Datenqualität wäre es sehr hilfreich, wenn aktuelle klinische Daten (der letzten Lebenstage), die Daten der Leichenschau und vorherige medizinische Daten zusammengeführt werden. Wenn jemand nach 90 Jahren in der eigenen Wohnung verstirbt und der Hausarzt die Leichenschau macht, dann kann dieser diese Daten zusammenführen.

    Wenn ein Patient aus dem Pflegeheim in der Notaufnahme eines Krankenhauses verstirbt, dann fehlen dort die anamnestischen Daten des Hausarztes. Wenn eine Schwangere außerhalb der Entbindungsklinik verstirbt (Hausgeburt oder mehrere Tage nach Entlassung), dann wäre wahrscheinlich eine Obduktion erforderlich, um die genaue Todesursache zu klären.

    Sowohl die Abläufe der Leichenschau als auch die Möglichkeit für eine hohe Datenqualität Daten aus mehreren Quellen zusammenzuführen sind derzeit suboptimal geregelt. Die Artikel im BGBl sind leider hinter einer login-Schranke. Auf die Anregungen dort kann ich leider nicht eingehen. Ich würde mir wünschen, dass die Abläufe von Leichenschau und Todesschein aus den Bestattungsgesetzen der Bundesländer herausgelöst werden und bundeseinheitlich ein einem Leichenschaugesetz nach modernen Möglichkeiten neu geregelt werden.

    Bezüglich der ePA, nach meiner Kenntnis geht die Versichertenkarte an das Bestattungsinstitut, ein Leichenbeschauer könnte sich mit Versicherungskarte und Heilberufsausweis entsprechend legitimieren, falls der Gesetzgeber die Voraussetzungen schafft. Der elektronische Totenschein wäre dann der letzte Eintrag in einer ePA und würde diese damit abschließen. Parallel könnte der elektronische Totenschein an ein Zentralregister weitergeleitet werden.

    • #6 Joseph Kuhn
      14. April 2025

      @ Staphylococcus rex:

      Ihre Idee widerspricht der ohnehin problematischen Konzeption einer patientengeführten ePA fundamental.

      Versichertenkarte: Mit der Versichertenkarte bzw. der Versichertennummer bieten manche Institute den Angehörigen als Service, die Sterbeurkunde an die Krankenkasse zu schicken.

  4. #7 Ludger
    14. April 2025

    Ludger: “Ich wünsche mir eine gesetzliche Vorschrift zur Obduktion in jedem dieser Fälle.”
    J.K.: “Inwiefern hilft das bei der Untererfassung?”

    Das Problem der Müttersterblichkeit ist schwerwiegend. Eine Vorschrift zur Obduktion gibt dem Problem Gewicht und sorgt für Klarheit im Einzelfall. Eine Einzelfallanalyse bewirkt eine Verbesserung der Qualität der Geburtshilfe und hilft allen Frauen.

    • #8 Joseph Kuhn
      14. April 2025

      … danke für die Erläuterung. Klingt plausibel.

  5. #9 Staphylococcus rex
    15. April 2025

    Ein paar Worte zur o.g. Studie: die Studie ist hinter Paywall, das Abstract ist frei. Untersucht wurden die Todesfälle von Frauen im gebärfähigen Alter (15-50 Jahre) mit Hauptwohnsitz Berlin (nicht extra erwähnt). Von 2316 Todesfällen hatten 18 eine zeitliche Nähe zur Schwangerschaft, 12 dieser Todesfälle wurden als Müttersterblichkeit klassifiziert. Zusätzlich wurden die 2316 Todesfälle in den Akten der Charite geprüft und dort 2 weitere Fälle von Müttersterblichkeit gefunden ohne Hinweise auf Schwangerschaft auf dem Totenschein.

    Wenn wir die Daten aus Gesamtdeutschland und die Berliner Daten vergleichen, dann haben wir drei Variablen: 1) die Untersuchungspopulation, 2) die Erfassungsmethode und 3) ggf. die Falldefinitionen.

    Bei der Müttersterblichkeit haben wir ein analoges Problem wie bei der Corona-Sterblichkeit: gestorben wegen der Schwangerschaft oder unabhängig von der Schwangerschaft, die zeitliche Nähe ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung, zusätzlich ist ein kausaler Zusammenhang erforderlich. Deshalb ist die Forderung von Ludger nach Obduktion von Todesfällen im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft absolut nachvollziehbar, nur mit Obduktion gibt es eine klare Diagnose und nur mit klarer Diagnose kann die Frage kausaler Zusammenhang sicher geklärt werden.

    In der Berliner Studie gab es 18 Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit der Schwangerschaft, von denen nach meinem Verständnis nur 12 auch einen kausalen Zusammenhang aufwiesen. Das ist immer noch mehr als der BRD-Durchschnitt. Eine Erklärung könnte sein, dass in Berlin der Anteil von Schwangeren mit schlechten Deutschkenntnissen erhöht ist und die Schwangerenvorsorge dort suboptimal ist, auf jeden Fall ist die Berliner Population unterschiedlich zum BRD-Durchschnitt.

    Die Untererfassung der Müttersterblichkeit wird abgeleitet aus den beiden zusätzlichen Fällen aus den Charite-Akten. Dies sind gesichert 2 Fälle. Eine Hochrechnung ist schwierig, weil es in Berlin neben der Charite auch die kommunalen Häuser (Vivantes) und andere Krankenhäuser gibt und es mir aus der Ferne schwerfällt, den Versorgungsanteil der Charite bei Schwangeren mit Komplikationen abzuschätzen.

    Für die Ursachen der Untererfassung wäre ein Blick auf die Originalarbeit hilfreich, eine Schwangerschaft und Geburt sind in der Regel eine klare Sache. Probleme könnte es ggf. geben nach Fehlgeburt oder bei Komplikationen einer Eileiterschwangerschaft.

    Müttersterblichkeit ist nicht mein Fachgebiet, aber die Grundprinzipien der Datengewinnung unter Berücksichtigung von Erfassungsmethode und Falldefinitionen sind vergleichbar. Aus meiner Sicht muss man hier aufpassen, keine Apfel-Birnen-Vergleiche zu ziehen. Einerseits ist die Berliner Population unterschiedlich zur Gesamtbevölkerung; außerdem wäre bei niedrigen Absolutzahlen das Signifikanzniveau der statistischen Auswertung interessant.

    • #10 Joseph Kuhn
      15. April 2025

      @ Staphylococcus rex:

      “Bei der Müttersterblichkeit haben wir ein analoges Problem wie bei der Corona-Sterblichkeit”

      Ja, und das wird seit langem reflektiert, siehe z.B. die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Müttersterblichkeit. Dazu kann “Ludger” sicher mehr sagen.

      Zeitlich nahe, aber kausal unabhängige Sterbefälle wie z.B. ein Unfall werden, wie bei Corona, nicht mitgezählt.

      “Eine Erklärung könnte sein, dass in Berlin der Anteil von Schwangeren mit schlechten Deutschkenntnissen erhöht ist und die Schwangerenvorsorge dort suboptimal ist”

      Unwahrscheinlich: https://www.aerzteblatt.de/themen/schwangerschaft-und-geburt/niedrige-kinder-und-muettersterblichkeit-in-berlin-189109fd-824e-407b-ba82-3db78c6f11c7

      “Die Untererfassung der Müttersterblichkeit wird abgeleitet aus den beiden zusätzlichen Fällen aus den Charite-Akten.”

      Und aus den Fällen, die bei der Durchsicht der Todesbescheinigungen als Müttersterbefälle identifiziert wurden, aber in der Todesursachenstatistik nicht in der ICD-Gruppe O00-O99 dokumentiert sind.

      “Eine Hochrechnung ist schwierig”

      So ist es. Aus mehreren Gründen.

      “Einerseits ist die Berliner Population unterschiedlich zur Gesamtbevölkerung”

      Das sprechen auch die Autor:innen im Diskussionsteil an.

      “außerdem wäre bei niedrigen Absolutzahlen das Signifikanzniveau der statistischen Auswertung interessant.”

      Wenn man das machen möchte, könnte man der Einfachheit halber die Tabellierung von Breslow/Day auf der Basis der Poissonverteilung nehmen. Demnach läge schon die Rate mit den 14 Fällen statistisch signifikant über dem Wert, den die Todesursachenstatistik bundesweit ausweist.

      “Aus meiner Sicht muss man hier aufpassen, keine Apfel-Birnen-Vergleiche zu ziehen.”

      In der Tat. Das gilt hier insbesondere auch für die Signifikanzberechnung auf der Grundlage von Raten mit unterschiedlicher Falldefinition 😉

  6. #11 Ludger
    15. April 2025

    zur Frage “Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Müttersterblichkeit” :
    Man könnte die Sterberaten für jedes Lebensalter von Nichtschwangeren von der Müttersterblichkeit abziehen, um die Sterblichkeit durch die Schwangerschaft zu ermitteln. Der dabei entstehende Fehler dürfte klein sein. Schwangere haben eine risikoärmere Lebensführung und daher z.B. weniger Motorradunfälle oder Tauchunfälle. Und es ist extrem selten, dass eine Frau in der Schwangerschaft vorzeitig an einer schweren Grunderkrankung stirbt. Schwangere sind auch verglichen mit der Gesamtbevölkerung relativ jung. Im Einzelfall hilft die Obduktion bei der Analyse.

    • #12 Joseph Kuhn
      16. April 2025

      @ Ludger:

      “Man könnte die Sterberaten für jedes Lebensalter von Nichtschwangeren von der Müttersterblichkeit abziehen, um die Sterblichkeit durch die Schwangerschaft zu ermitteln.”

      Siehe dazu bei Wikipedia das Stichwort Risikodifferenz. Ein grundsätzlich mögliches Verfahren. Das Problem wäre im konkreten Fall, dass nach Lebensalter differenziert die Fallzahlen je Jahr (2023, 2022, …) so gering sind, dass viele Jahre aggregiert werden müssten, um stabile Raten bilden zu können. Das hat keine Aussagekraft mehr, weil die Verhältnisse z.B. bei älteren Schwangeren vor 20 Jahren ganz anders waren als heute. Andere Einschränkungen haben sie selbst genannt, ich halte sie für so bedeutsam, dass sie ebenfalls ein solches Verfahren entwerten würden.

      Bei der Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Müttersterblichkeit dachte ich eher an die gängigen Definitionen:

      “Direkt gestationsbedingte Sterbefälle (»direct obstetric deaths«) sind solche, die auftreten als Folge von Komplikationen der Gestation (Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett), als Folge von Eingriffen, Unterlassungen, unsachgemäßer Behandlung oder als Folge einer Kausalkette, die von einem dieser Zustände ausgeht (DIMDI 1995).”

      “Indirekt gestationsbedingte Sterbefälle (»indirect obstetric deaths«) sind solche, die sich aus einer vorher bestehenden Krankheit ergeben, oder Sterbefälle aufgrund einer Krankheit, die sich während der Gestationsperiode entwickelt hat, die nicht auf direkt gestationsbedingte Ursachen zurückgeht, aber durch physiologische Auswirkungen von Schwangerschaft, Geburt und
      Wochenbett verschlechtert wurde (DIMDI 1995).”

      Quelle: https://www.bggf.de/cms/assets/content/M%C3%BCtterliche%20Mortalit%C3%A4t/2006%20Kap57_Muettersterblichkeit.pdf

      [Edit: Absatz am Anfang zur Risikodifferenz nachgetragen]

  7. #13 Ludger
    16. April 2025

    Auf den Nägeln brennen besonders die Schicksale, die hätten abgewendet werden können. Deswegen finde ich die Einzelfallanalyse so wichtig. Verglichen damit sind die Analysen ob 30 oder 60 Todesfälle pro Jahr, von denen viele auf nicht beherrschbare Ereignisse zurückzuführen sind, eher akademisch.

    • #14 Joseph Kuhn
      16. April 2025

      @ Ludger:

      Das eine tun, das andere nicht lassen. In gewisser Weise ging es ja auch in der Arbeit von Frau Königbauer & Co. um die Betrachtung einzelner Fälle und nur in zweiter Linie um Statistik.

  8. #15 Staphylococcus rex
    16. April 2025

    Zu diesem Thema gibt es einen aktuellen Beitrag aus der Tagesschau:
    https://www.tagesschau.de/inland/regional/badenwuerttemberg/swr-tuebinger-experte-geburtskliniken-ohne-angeschlossene-kinderklinik-schliessen-100.html

    In Deutschland haben Geburtshilfe und Pädiatrie erhebliche Probleme. Beide Bereiche sind mit dem aktuellen DRG-System defizitär und erwirtschaften flächendeckend Defizite. Im ärztlichen Bereich fehlt der Nachwuchs und viele Häuser haben Probleme ihre Dienstsysteme mit Personal zu untersetzen. Kinderkliniken haben das zusätzliche Problem, dass durch die generalistische Pflegeausbildung dort die Pflege eine zusätzliche Ausbildung absolvieren muss und der Pflegenachwuchs versiegt ist. Ich habe Hochachtung vor den Kolleginnen und Kollegen, die unter den schwierigen aktuellen Bedingungen die Versorgung am Laufen halten.

    Eine Zentralisierung der Geburtshilfe ist aus meiner Sicht wünschenswert, im Bereich Pädiatrie ist bereits jetzt die Versorgung gefährdet. Eine weitere Zentralisierung im Bereich Pädiatrie hätte dann auch Konsequenzen in Form deutlich weiterer Anfahrtswege für die Geburtshilfe.

    In gewisser Hinsicht betrifft dieses Thema die Krankenhauslandschaft im Ganzen. Der medizinsche Fortschritt führt dazu, dass in Krankenhäusern der Grundversorgung zahlreiche akute medizinische Notfälle nicht mehr optimal versorgt werden können. Die logische Konsequenz wäre die Krankenhauslandschaft so zu bereinigen, dass nur noch Schwerpunktversorger und Maximalversorger (Unikliniken) an der stationären Akutversorgung teilnehmen. Die politischen Diskussionen dazu möchte ich mir ersparen. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Dänemark vor einiger Zeit genau eine derartige Krankenhausreform durchgeführt. In diesem Kontext wäre es interessant die Müttersterblichkeit in Dänemark mit der in Deutschland in den Zeiträumen vor und nach der dortigen Krankenhausreform zu vergleichen.

    Ein etwas kontroverser Beitrag zum Thema Dänemark findet man hier:
    https://www.fr.de/meinung/kolumnen/neue-krankenhaeuser-braucht-das-land-93116070.html

    • #16 Joseph Kuhn
      16. April 2025

      @ Staphylococcus rex:

      Ja, das Thema Zentralisierung der Geburtshilfe geht gerade wieder einmal durch die Medien. Mancherorts laufen auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, weil Level-IV-Geburtskliniken Risikoschwangerschaften aufgenommen haben.

      Das Thema ist seit Jahren politisch hoch brisant. Die einen sagen, in Level-IV-Geburtskliniken sollten gar keine Geburten mehr stattfinden, weil immer etwas passieren kann, die anderen sagen, Geburten müssten wohnortnah möglich sein und die AfD befeuert Proteste gegen konkrete Schließungspläne, weil ihnen jeder Protest wichtiger ist als die Versorgungsqualität.

  9. #17 Ludger
    17. April 2025

    Staph.rex:

    Eine weitere Zentralisierung im Bereich Pädiatrie hätte dann auch Konsequenzen in Form deutlich weiterer Anfahrtswege für die Geburtshilfe.

    Zumal die Paediater/Neonatologen schon bei Indikationsstellung zur Notsectio benachrichtigt werden müssen. Die reisen dann 12 km an und das Kind kommt möglicherweise zum Glück trotz Notsectio lebensfrisch auf die Welt. Die Alarmierung des Neonatologenteams findet der Geburtshelfer rückblickend unpassend und riskiert lieber in Zukunft die Gesundheit des Kindes.
    Dazu vom Oberlandesgericht Hamm aus dem Jahr 2003
    https://nrwe.justiz.nrw.de/olgs/hamm/j2003/3_U_122_02urteil20030521.html

    (3)
    64

    Fehlerhaft war es auch, den Kinderarzt erst um 20.18 Uhr, also nach der Entwicklung des Kindes informiert zu haben.
    65

    Ausweislich des Transportprotokolls der Kinderklinik J, dem am nächsten liegenden Kinderkrankenhaus, sind die Kinderärzte um 20.18 Uhr angefordert worden. Der Ruf “BNAW” ist für 20.35 dokumentiert, die Abfahrt für 20.24 Uhr und das Eintreffen im Haus der Beklagten zu 1 für 20.38 Uhr. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Y und Prof. Dr. K begründet jede Notsectio die Indikation zum Ergreifen geeigneter Schutzmaßnahmen zugunsten des Kindes wie der Mutter, auch wenn sich primär die Notwendigkeit des operativen Eingriffs wie hier aus dem Verdacht der Uterusruptur ergibt. In diesem Fall ist deshalb der Kinderarzt zur sachgerechten Versorgung des Kindes im Bedarfsfall zeitlich unmittelbar nach der Stellung der Indikation zur sectio zu informieren.
    [Hervorhebung durch mich]

    Das Kind ist übrigens im Alter von 9 Jahren an den Folgen dieser Behandlungsfehler verstorben.