Auf der politischen Agenda ganz oben steht derzeit die „Entbürokratisierung“. Da gibt es sicher vieles, was Wirtschaft und Bürger:innen begrüßen. Man erinnere sich nur an die Reform der Grundsteuer. Niemand will umständliche Verfahren, niemand will Vorschriften, die vielleicht einmal gut gemeint waren, aber zu nichts taugen oder jedenfalls viel mehr Aufwand verursachen als Nutzen zu stiften.
Regelmäßig kommen bei solchen Entbürokratisierungskampagnen auch Rechenschafts- und Statistikpflichten auf die Streichliste. Auch da gibt es sicher genug, was man wirklich nicht braucht. In Bayern soll jetzt allerdings mit dem 4. Modernisierungsgesetz auch die erst 2018 eingeführte Psychiatrieberichterstattung wieder gestrichen werden. Bisher sieht Art. 4 des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes vor:
„Psychiatrieberichterstattung
1Die Staatsregierung berichtet dem Landtag alle drei Jahre über die Situation der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung in Bayern. 2Der Bericht soll epidemiologische Basisdaten bezogen auf die Wohnbevölkerung Bayerns enthalten sowie die bestehende ambulante, stationäre und komplementäre Versorgungslandschaft abbilden und Veränderungen deutlich machen.“
Hintergrund war, dass die Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen in der Vergangenheit stellenweise ein Dunkelfeld war – und immer noch ist. Das Versorgungssystem ist zwar ausdifferenziert, mit speziellen Angeboten für viele Problemlagen, aber es ist auch extrem unübersichtlich, für die Betroffenen, die Angehörigen und auch für die verschiedenen Akteure im Hilfesystem selbst. Eine kuriose Folge davon ist z.B., dass trotz aller Sparbemühungen im Gesundheitswesen in Deutschland nicht einmal die Kosten, die psychische Störungen verursachen, gut abzuschätzen sind.
In vielen Ländern ist das nicht anders. Die WHO fordert daher zu Recht eine Verbesserung der Datenlage und den Aufbau geeigneter Surveillance-Systeme. Auf der nationalen Ebene arbeitet das RKI an einer „Nationalen Mental Health Surveillance“, unter den Bundesländern hat Bayern mit der Psychiatrieberichterstattung bundesweit einen Meilenstein gesetzt, an dem sich inzwischen auch andere Bundesländer orientieren. Es wurden Vereinbarungen mit verschiedenen Datenhaltern getroffen und Datenströme etabliert, mit dem Ergebnis, dass sich anstelle zersplitterter Spezialstatistiken langsam ein Gesamtbild ergibt und auch Datenlücken, etwa zu zwangsweisen Unterbringungen, geschlossen werden. Der Psychiatriebericht ist die einzige Gesamtdarstellung zur Versorgung psychisch kranker Menschen in Bayern, über die diversen Rechtskreise hinweg.
Soll damit jetzt schon wieder Schluss sein? Wie passt das zu den neben der Entbürokratisierung politisch doch auch immer wieder prominent geforderten besseren Nutzung von Gesundheitsdaten und einer datengestützten Weiterentwicklung der Versorgung? Alles nicht mehr so wichtig, nach dem Motto, wenn wir nicht wissen, wo es hakt, nicht so schlimm, früher oder später wird schon jemand aufschreien?
In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es zur geplanten Streichung:
„Eine kontinuierliche und systematische Berichterstattung zur gesundheitlichen Entwicklung auf Bevölkerungsebene ist maßgebend, um negative Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und Entwicklungen aussagekräftig abzubilden. Das Ziel kann auch durch die vorzugswürdige, anlassbezogene Berichterstattung erreicht werden.“
Man liest es einmal, man liest es zweimal, und fragt sich dann, wenn eine kontinuierliche und systematische Berichterstattung „maßgebend“ ist, warum will man sie dann abschaffen? Und warum soll eine „anlassbezogene“ Berichterstattung dann vorzugswürdig sein, wenn doch im Satz vorher steht, dass eine „kontinuierliche und systematische“ Berichterstattung maßgebend sei? Hat sich da jemand an der Quadratur des Kreises versucht, ohne es zu merken?
Den Terminus „anlassbezogen“ kann man getrost so lesen wie „nach Gutdünken der Regierung“. Genau das soll mit einem regemäßigen Rhythmus und der Vorlagepflicht gegenüber dem Landtag vermieden werden. Ich gehe einmal davon aus, dass hier Unbedachtheit am Werke war und man sich nicht bewusst unter dem Vorwand der Entbürokratisierung von einer ungeliebten demokratischen Rechenschaftspflicht befreien will. Die Bürger:innen klagen schließlich schon genug, dass sie von der Politik nicht hinreichend informiert werden und sich daher nicht einbringen können und die oben angesprochenen Koordinationsprobleme in der psychosozialen Versorgung waren sogar dem Sachverständigenrat Gesundheit ein langes Kapitel im Jahresgutachten 2018 wert.
Bayern hat sich bereits mit der bisher ausstehenden Neufassung der allgemeinen Gesundheitsberichterstattung im Gesundheitsdienstgesetz nicht mit Ruhm bekleckert, da immerhin bisher ohne negative Folgen. Wenn die Psychiatrieberichterstattung unter die Räder eines Tonnagedenkens der Entbürokratisierung gerät – es zählt die reine Summe der abgeschafften Vorschriften, egal wie sinnvoll oder nicht – droht allerdings echte Substanz verloren zu gehen.
Der Gesetzentwurf ist jetzt in der Verbändeanhörung. Bleibt zu hoffen, dass die angeschriebenen Verbände der Staatsregierung verständlich machen können, worum es geht, peinlich genug, dass es der Staatsregierung nicht selbst klar ist. Vielleicht lässt sich dann eine vernünftige Lösung finden. Sonst wird das kein Akt der Verwaltungsmodernisierung, sondern Verwaltungsmurks.



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