Die Renten

Im Jahr 2024 gab die Deutsche Rentenversicherung ca. 380 Mrd. Euro aus. Die Ausgaben werden in erheblichem Umfang durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt gestützt und stellen im Bundeshaushalt inzwischen einen der größten Ausgabeposten dar. Durch den demografischen Wandel nimmt zudem seit Jahren das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern ab. 1960 kamen sechs Beitragszahler auf einen Rentner, heute sind es nur noch zwei. Die Beiträge drohen dadurch weiter zu steigen. Zugleich nimmt die Öffentlichkeit die deutlichen Unterschiede zwischen Rentnern und Pensionären kritisch auf, oft wird eine Verbreiterung der Einnahmebasis durch Einbeziehung der Beamten gefordert. Dies umschreibt in aller Kürze die aktuelle Rentenreformdebatte – im Grunde wie auch alle früheren Rentenreformdebatten.

Ein Vorschlag: Boomer-Soli und Pflichtjahr

Diese Tage war im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Titel des Interviews: „Die Babyboomer müssen endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen“, eine Paraphrase einer Äußerung Fratzschers im Interview.

In dem Interview geht es u.a. um zwei Vorschläge Fratzschers zur aktuellen Sozialstaatsdebatte in seinem neuen Buch „Nach uns die Zukunft“: den „Boomer-Soli“ und das „Pflichtjahr für Ältere“. Beide Vorschläge haben viel Kritik provoziert. Beim Boomer-Soli geht es darum, die Probleme der Rentenfinanzierung durch eine Umverteilung innerhalb der Gruppe der Älteren, Rentner wie Pensionäre, anzugehen. Ab einem Einkommen von gut 1.000 Euro sollen die Älteren an einem Umverteilungssystem teilnehmen, um kleine Alterseinkommen zu stützen. Beim Pflichtjahr für Ältere sollen Ältere ein Jahr soziale Dienste leisten, hier weiß man nicht genau, welches Problem damit konkret gelöst werden soll. Fratzscher hat dazu zu verschiedenen Gelegenheiten unterschiedliche Ziele genannt, von der Linderung von Engpässen in der Pflege oder der Verteidigung über ein „Signal der Solidarität“ bis hin zur gesellschaftlichen Teilhabe Älterer.

Beide Vorschläge sollen Druck von den jüngeren Jahrgängen nehmen, beide Vorschläge rücken in der sozialpolitischen Diskussion die Dimension Arm-Reich in den Hintergrund und betonen demgegenüber die Dimension Jung-Alt. Folgerichtig fordert er einen „neuen Generationenvertrag“ statt eines neuen Sozialvertrags. Das eröffnet vom Arrangement her Kompromissräume hin zu den wirtschaftsliberalen Reformvorschlägen, nach denen es keine Steuererhöhungen geben solle, sondern „mehr und länger gearbeitet“ werden müsse, mithin also Kompromissräume für die schwarz-rote Koalition. Ob dies das eigentliche Ziel Fratzschers war, ist unklar.

Offen ist auch, inwieweit diese Ideen rechtlich überhaupt umsetzbar sind. Ein Pflichtjahr wäre durch internationales Recht beispielsweise auf wenige Tätigkeitsbereiche eingegrenzt, ein Pflichtjahr auch für ältere Frauen würde sogar eine Grundgesetzänderung voraussetzen, und Rentenansprüche unterliegen dem Eigentumsschutz. Vom bürokratischen Aufwand eines Pflichtjahrs für Ältere ganz abgesehen.

Gesellschaftliche Entwicklung und Verantwortung

Hier soll aber ein anderer Punkt thematisiert werden: die im Titel des Interview formulierte Verantwortung der Boomer. Sie sollen „endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen“. Im Interview sagt Marcel Fratzscher dann noch:

„Die Babyboomer sollen für ihre Entscheidungen geradestehen. Sie haben wenige Kinder bekommen, und die Arbeitszeit stieg kaum mit der Lebenserwartung.“

Ein Kind zu bekommen oder nicht, ist natürlich eine Entscheidung. Aber es ist keine Entscheidung im gesellschaftlich luftleeren Raum. Der jahrzehntelange Rückgang der Geburtenrate in Deutschland kann nicht einfach als Folge individuell zu verantwortender „Entscheidungen“ verstanden werden. Veränderungen der Geburtenrate sind ersichtlich massenstatistische Entwicklungen, die soziale und ökonomische Gründe haben. Dazu gehört beispielsweise die mit dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft einhergehende Auflösung tradierter Mehrgenerationenfamilien, ökonomisch insofern sinnvoll, dass die Beschäftigten zeitlich und räumlich flexibler sind. Ein weiterer Punkt ist etwa die Gleichberechtigung von Frauen auch in beruflicher Hinsicht. Beides hätte durch einen massiven Ausbau von Kinderbetreuungs- und Pflegeangeboten begleitet werden müssen. Das ist nicht geschehen, sicher keine Folge individueller Verantwortung der Boomer, und hat mit dazu beigetragen, dass weniger Kinder geboren wurden. Des Weiteren gab es in den letzten Jahrzehnten eine in vielen Studien dokumentierte Arbeitsverdichtung. Die Leistungsansprüche sind gestiegen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat auch darunter gelitten, gerade auch in den qualifizierten Berufen. Die „DINKS“ – Double income, no kids“ galten zeitweise, wie die abschätzig so genannte „kinderlose Karrierefrau“, die „Rabenmutter“, als Signaturen der neuen Arbeitswelt.

Wenn man solche säkularen Entwicklungen, die es in allen Industrieländern gab, im Nachhinein zu persönlich zu verantwortenden „Entscheidungen“ macht, ist das eine Individualisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, ähnlich wie der Vorwurf gegenüber Arbeitslosen, sie seien selbst schuld an ihrer Situation oder wollten eh nicht arbeiten. Medial ausbeutbare Fälle lassen sich stets finden, richtiger werden Umdeutungen gesellschaftlicher Verhältnisse in individuelle Entscheidungen dadurch allerdings nicht.

Generationenvertrag oder Sozialvertrag?

Inwieweit Marcel Fratzscher diese Umdeutung bewusst vornimmt, ist unklar. Die sozialpsychologische Funktion solcher Umdeutungen ist dagegen durchaus klar: Indem der Eindruck erweckt wird, es gehe darum, die Folgen für das eigene Handeln zu übernehmen, entsteht moralischer Druck, Zugriffe auf Lebenszeit und Geld zu akzeptieren. Für die Folgen gesellschaftlicher Entwicklungen müsste man dagegen auch die Gesellschaft insgesamt in die Pflicht nehmen, z.B. die vermögenden Profiteure eines flexibilisierten Arbeitsmarkts, zumal, wenn man jahrelang auf deren Steuern für den Ausbau von Kitas und Pflegeangeboten verzichtet hat.

Der demografische Wandel mag einen neuen Generationenvertrag erforderlich machen, wie ihn Fratzscher fordert, aber das ganze Bild ist das nicht. Das ganze Bild wäre ein gesellschaftlicher Konsens für eine gerechte sozialökologische Transformation, ein neuer Sozialvertrag mit einem weitergehenden Lastenausgleich. Das scheint derzeit wenig Fürsprecher zu haben.

Kommentare (16)

  1. #1 Carsten
    4. September 2025

    Ich finde auch das bei dem Thema viel zu wenig über Arm VS Reich gesprochen wird. Wir haben die Beitragsbemessungsgrenze die gut Verdiener schützt. Reiche bekommen ihr Geld aus Kapitalerträgen und zahlen somit auch keine Rentenbeiträge. Es ist fast so, als müsste man auf Besitz weniger zahlen wie auf Arbeit. Auch das es insbesondere Menschen die Pensionen vom Staat beziehen und keinen Cent in die Rentenversicherung einzahlen wird viel zu häufig unterschlagen. Sicher müssten grundlegende Dinge verändert werden. Aber die offensichtlich unangenehmen Dinge anzugehen wäre ein erster Schritt auch für ein gerechteres System zu sorgen. Auch Mandatsträger zahlen kein Geld ein in die Rentenkasse. Beziehen aber nach einer gewissen Zeit im Mandat ein “bedingungsloses Grundeinkommen”. Ich finde es auch von Herrn Merz eine Frechheit davon zu sprechen, dass der Sozialstaat zu teuer ist. Das die Diäten niedriger sein könnten und man da auch Einspaarpotenzial hätte wird nicht erwähnt.

  2. #2 Holger
    4. September 2025

    bezogen auf Rente zwei Punkte:
    -um das Problem mit Rente zu lösen kann man diese auch komplett abschaffen und jeder kriegt im Alter Pension.
    Damit sinken sogar Sozialabgaben was Rentensystem betrifft.
    damit schwindet das Ungerechtigkeitsgefühl zwischen Pension und Rente
    -grundsätzlich wird Rente durch beitragszahler finanziert. Es ist nicht definiert, dass Beitragszahler menschen sein müssen. das kann problemlos jede Art von Produktivität sein.
    damit schwindet das Problem mit der geringen Zahl von Beitragszahlern.
    -es wird stets Menschen mit wenigen oder keinen Kindern vorgeworfen nichts für rentensystem zu tun.
    wer das zu Ende denkt definiert Kinder rein wirtschaftlich.
    Problem: nicht jedes Kind wird Beitragszahler (einige werden Beamte, Politiker, Kriminelle, Auswanderer, nicht Abgabepüflichtig Beschäftigte usw…)die Eltern dieser Kinder belasten rein wirtschaftlich gesehen das Sozialsystem: Kind belastet das Sozialsystem.
    solle diese Eltern dann zusätzlich finanziell “bestraft” werden?
    ..
    .
    zum “Boomer”_Pflichtjahr:
    da entsteht das Problem , dass die meisten (meisten Männer) diese ja bereits über Wehr und Ersatzdienst abgeleistet haben.
    es kann da zu Ende gedacht nur frauen treffen. ist das etwa gewollt?

  3. #3 Ludger
    4. September 2025

    Zitat Carsten:

    […] von Herrn Merz eine Frechheit davon zu sprechen, dass der Sozialstaat zu teuer ist.

    Zitat Überschrift Tagesschau:

    Friedrich Merz
    Merz fordert Sozialreformen “Wir können uns dieses System nicht mehr leisten”

    Die Überschrift ist verkürzt und daher entstellend.
    ( https://www.tagesschau.de/inland/merz-fordert-einsparungen-sozialsystem-100.html )
    Genau gesagt hat er (selber Link):

    “Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, einfach nicht mehr leisten”

    So, wie dieses System heute ist, geht die Rechnung nicht auf. Man braucht also eine Lösung, damit es nicht zum Kollaps des Rentensystems kommt. “So wie heute” geht es nicht mehr lange. Gründe:
    Die Zuschüsse für die Rentenkassen waren im Jahr 2024 :

    Jahr 2024: Die „IST“-Ausgaben vom Bundeshaushalt im Jahr 2024 betrugen für das BMAS 181.573.419 Tausend Euro und somit 38,25 % vom Bundes-Gesamthaushalt, hier rechnerisch als 100 % angesetzt. Gleichzeit wird dort als Anteil davon ausgewiesen für

    Kapitel 1102: „Rentenversicherung und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ der Betrag von 127.301.030 Tausend Euro und somit 72,46 % vom BMAS-Haushalt […]

    ( Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesministerium_f%C3%BCr_Arbeit_und_Soziales )
    Der Rentenzuschuss von jährlich 127.301.030.000€ wird wegen der Demographie steigen.
    Wenn die Regierung Merz versucht, die Rente auf Dauer abzusichern, ist das ihre Pflicht und keine Frechheit.

  4. #4 hto
    5. September 2025

    “Wirtschaftswunder” und “soziale Errungenschaften”, alles Geschenke auf Zeit, die nun zum “blauen Wunder” werden – Merz hat schon recht, daß war mir schon klar und Mut einer Alternative erklärbar, als meine Kumpels und ich 1975 ins Arbeitsleben starteten.

    Das Gejammer der stets weniger werdenden lohnabhängigen “Dienstleister” der Globalisierung ist so heuchlerisch-verlogen wie die SCHEINBAR UNÜBERWINDLICHE wettbewerbsbedingt-konfuse Symptomatik für gepflegte Bewusstseinsschwache in gebildeter Suppenkaspermentalität ist.

  5. #5 Uli Schoppe
    8. September 2025

    @Ludger
    4. September 2025

    Das dieses System eines Tages kollabiert und eben aus den Gründen die man sieht hat mein Sozialkundelehrer schon vor 40 Jahren gesagt.
    Auch die CDU hatte dazu selbstmurmelned nur die Antwort: “Die Rente ist sicher!”. Und das lautstark.
    Herr Merz sagt nicht einfach was wahr ist, er sagt was er schon lange gewußt hat.
    Und er sagt, das seine Lösung dafür ist sich an mir und meinem Alter zu vergreifen.
    Herr Merz ist kein armer Kerl dem man Unrecht tut. Lange genug hatte auch die CDU die Möglichkeit was zu verändern, das hat sie mit offenen Augen (und in meinen Augen mit Vorsatz) ignoriert.
    Und will jetzt unter anderem mich die Zeche zahlen lassen.
    Ihn und seine Umgebung wird das ja nicht wirklich treffen.
    Das wird man ja wohl noch sagen dürfen ^^

  6. #6 RGS
    8. September 2025

    Ja, ich habe als Boomer auch schon 15 Monate Pflichtdienst geleistet als Zivildienstleistender. Dafür gab es Rentenpunkte und Rentenanwartzeit.

    Rentenleistungen für die keine Beiträge gezahlt wurden, wie die gerade beschlossene Mütterrente, sind aus Steuermitteln zu finanzieren.

    Die Rentenbeiträge steigen durch mehr sozialversicherungspflichtige Beschädigung. Allerdings auch die Leistungen.
    Wenn die Boomer alle bis 67 arbeiten würden, bekämen sie auch mehr Rente.
    Hier lässt sich vermutlich nicht viel bewirken für die Rentenkasse.

    Zuwanderung hat uns in den letzten Jahrzehnten die Rente gesichert. Sonst hätte der oben genannte Sozialkundelehrer Recht gehabt. Der las vor 40 Jahren von Bevölkerungsprognosen, die von viel geringerer Bevölkerung ausging. Die Prognosenn waren halt voll daneben.

    Wirtschaftswachstum von 2% würde die Rente sichern, las ich kürzlich.

  7. #7 Uli Schoppe
    9. September 2025

    @RGS:

    Er hat nicht den sofortigen Zusammenbruch herbeigeredet, es ging sich darum wie fragil das ganze an der Bevölkerungsentwicklung hält.
    Ich habe ihm damals schon zugestimmt, das war kein abwiegeln von mir ala “Et hätt noch immer joot gejange!”.
    Er hätte Dir wahrscheinlich zugestimmt, das der Effekt des Boomersolis auch nur eine Vertagung von Problemen ist.
    Und auch in dem Punkt das Zuwanderung das Rentensystem gesichert hat.

  8. #8 RGS
    9. September 2025

    „Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD festgelegt, dass das Rentenniveau weiterhin bei 48 Prozent festgeschrieben werden soll. Gelten soll diese Haltelinie bis 2031.“

    „Wenn die Bundesregierung nun die Untergrenze auf die 48 Prozent festschreibt, dann hebelt sie damit eigentlich zu Gunsten der Rentner und Rentnerinnen einen anderen Absicherungsmechanismus aus – nämlich den Nachhaltigkeitsfaktor. Der ist Teil der Rentenanpassungsformel und wirkt dämpfend auf jede Rentenerhöhung, indem er das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenbeziehern in die Berechnungen mit einbezieht.“

    „Aktuell gilt aber: Würde das Rentenniveau aufgrund der Lohnentwicklung unter 48 Prozent fallen, dann sorgt das dafür, dass der Nachhaltigkeitsfaktor außer Kraft gesetzt wird und die Renten erhöht werden müssen. Und zwar bis die 48 Prozent wieder erreicht werden.

    Der Absicherungsmechanismus gegen zu geringe Renten im Verhältnis zu den Löhnen überschreibt also den Absicherungsmechanismus gegen zu wenig Beitragszahler im Vergleich zu Rentnern. An sich ist das allerdings nicht neu. Denn das Rentenniveau ist auch bisher mittels einer der beiden sogenannten Haltelinien bis 2025 auf 48 Prozent festgeschrieben.

    Die zweite aktuell geltende Haltelinie betrifft den Beitragssatz. Diese regelt bisher, dass der Beitragssatz zur Ren­ten­ver­si­che­rung bis Ende 2025 nicht über 20 Prozent steigen darf. (§ 287 Abs. 1 SGB VI)„

    „Die ehemalige Bundesregierung hatte berechnet, dass die Beiträge für die Rentenversicherung 2028 auf 20 Prozent und bis 2035 auf 22,3 Prozent steigen werden müssen. Einen Beitragssatz von über 20 Prozent gab es zuletzt 1997/98. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die jetzigen 18,6 Prozent sind im historischen Vergleich der vergangenen vier Jahrzehnte ein relativ niedriger Stand.“

    „Es ist logisch, dass über höhere Beiträge die Einnahmenseite der Ren­ten­ver­si­che­rung gestärkt werden kann. Wenn es weniger Beitragszahlende gibt, lässt sich das Rentensystem auch an die Demografie anpassen, indem die mittelfristig kleiner werdende Anzahl an Rentenversicherten mehr einzahlen muss.“
    Quelle: https://www.finanztip.de/gesetzliche-rentenversicherung/renten-reform/

    Die Änderungen werden ein Bündel aus vielen Maßnahmen werden:
    Höhere Beiträge, geringere Rentenerhöhungen, geringerer Anstieg der Rentenpunkte, Pflichtversicherung für Selbstständige vielleicht, höhere Steuerfinanzierung, etc.

    Interessant auch, dass das durchschnittliche Renteneinstiegsalter seit Erhöhung der Regelaltersrente auf 67 Jahre bereits um zwei Jahre von 62 auf 64 Jahre gestiegen ist.

  9. #9 Bat_man
    Ulm
    9. September 2025

    Angenommen, die Forderungen würden umgesetzt:
    Allen Arbeitsunwilligen wird das Bürgergeld gestrichen; die wöchentliche Arbeitszeit wird verpflichtend erhöht; ein soziales Pflichtjahr für Alte wird eingeführt; Beamte müssen 5 Jahre länger arbeiten 🙂
    Wären die Systeme dadurch saniert, wäre genug Geld da, würde das Jammern enden, und mit welchen Feindbildern würde dann Politik gemacht werden?

    Leider sind das plakative und illusorische oder gar infantile Planspiele, denn auch die hiesige Regierung ist angetreten nicht die Interessen jener zu vertreten, die sie gewählt haben. Auch diesmal wird es so kommen, dass die da unten in die Röhre schauen werden. Weil aber der Blick in die Röhre sich nach Braun zu wandeln droht, fallen sicher auch ein paar Krümel nach unten ..

  10. #10 Staphylococcus rex
    9. September 2025

    Die Schieflage der Sozialversicherungen ist offensichtlich. Ich habe aber ein Problem damit, dass die Boomer-Generation als Hauptverursacher dargestellt wird und deshalb die Hauptlast allein tragen soll.

    Die Kostentreiber sind aus meiner Sicht die gestiegene Lebenserwartung, parallel dazu die Altersgebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit von Hochbetagten, dazu der medizinische Fortschritt mit teuren Behandlungsoptionen und nicht zuletzt der demografische Faktor, weil die Boomergeneration zu wenige Kinder in die Welt gesetzt hat.

    Für einen Großteil dieser Kosten ist bereits die Generation meiner Eltern verantwortlich. Z.B. ist meine Mutter mit 60 Jahren in Rente gegangen und mit etwas über 90 Jahren verstorben. Vorher gab es eine 5-jährige Phase mit steigendem Pflegegrad. Das bedeutet, die Boomergeneration ist nicht die Tätergeneration, sondern die erste Opfergeneration all dieser Veränderungen. Nur weil die Boomergeneration es gewohnt ist, die Zähne zusammenzubeißen, konnten die bisherigen Verwerfungen kompensiert werden. Was die fehlenden Kinder betrifft, die 90-er Jahre waren Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und Kinderfreundlichkeit war damals keine Priorität.

    Außerdem habe ich gewisse Zweifel an den Hochrechnungen zur Lebenserwartung. In den 90-er Jahren gab es viele Frühverrentungen. Und es ist aus meiner Sicht nicht egal, wann man in Rente geht. Ich bin auch schon über 60 und ich merke, dass der Körper ab 60 mehr und längere Pausen benötigt. Ich setze deshalb die These in den Raum, dass die durchschnittliche Lebenserwartung eines 58-jährigen Frührentners und die einer Person, die bis 67 Vollzeit arbeiten muss, sich signifikant unterscheidet.

    Ich möchte mit dieser Polemik keine Gäben aufreißen, sondern lediglich klarstellen, dass die Situation der Sozialversicherungen kein exklusives Boomerproblem darstellt und dass alle Generationen und alle sozialen Schichten ihren spezifischen Beitrag leisten müssen. Dafür hätte ich bereits einige Ideen, aber dies würde diesen Beitrag sprengen, mehr dazu später.

  11. #11 RGS
    9. September 2025

    @Staphylococcus rex
    Da stimme ich allem zu.

    Beim Thema Pflegeheimplatz denke ich, dass hier zu Recht die Vermögen der Pflegebedürftigen mit herangezogen werden müssen. Das ist auch jetzt schon der Fall. Auch die Kinder müssen weiterhin mit finanzieren. Aktuell liegt die Grenze bei 100.000€ Brutto Einkommen für Singles, soweit ich weiß. Die Grenze könnte evtl. abgesenkt werden und Zuzahlungen nach Einkommen gestaffelt werden.

    Ich kenne aber auch das Rentnerehepaar ohne Kinder, beide um die 70. Sie noch fit, er pflegebedürftig Grad 4, Pflege findet zu Hause statt, bisher ohne Pflegedienst.
    Einkommen beider aktuell ca. 8000€/Monat, das entsteht aus:
    Rente von ihm 45 Jahre in der Autoindustrie mit ordentlicher Betriebsrente, Sie 35 Jahre Einzelhandelsverkäuferin mit überdurchschnittlicher Rente plus 1000€ von der Pflegeversicherung plus 500€ von einer Versicherung nach einem Unfall vor drei Jahren.

    Finanziell für das Paar, alles bestens.

  12. #12 Uli Schoppe
    10. September 2025

    @RGS

    Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen eines Rentnerehepaars in Deutschland liegt aktuell bei etwa 3.760 Euro. In Westdeutschland beträgt das Durchschnittseinkommen rund 3.795 Euro, in Ostdeutschland etwa 3.174 Euro Netto pro Monat.

    Eigenanteil im Pflegeheim ca. 3000 Euro. Pro Person. Mit den 8000 Euro käme man gut hin, keine Frage nur ist das in der Breite nicht so.

    Das erinnert mich an die Diskussionen um die Totalverweigerer beim Bürgergeld. Die gibt es, aber nicht nennenswert.

  13. #13 RGS
    10. September 2025

    @Uli Schoppe

    Ja, zu zweit gleichzeitig im Heim kann sich kaum jemand leisten.
    Mein Beispiel soll zeigen, dass bei Pflege zu Hause bei einigen eigentlich kein zusätzliches Geld aus der Pflegeversicherung nötig wäre. Da wirkt das wie ein zusätzliches Einkommen das unnötig ist.
    80% der Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt. Ich denke, dass viele das Geld nicht nötig haben.

  14. #14 Uli Schoppe
    10. September 2025

    @RGS

    Also meine Erfahrung ist DAS die Leute das Geld nötig haben. Das hat sich in den Jahrzehnten seit meinem Zuvildienst nicht geändert.
    Ob die Menschen Charakter haben und das Geld auch an der richtigen Stelle ankommt ist die andere Frage.
    Es gibt bestimmt Menschen die das Geld nicht nötig haben.
    Aber um die zu treffen nach allen hauen?
    Ich kann mich noch daran erinnern als meine Mutter meinen Vater zu Hause hatte. Das war mindersimpel.
    In meiner Nachbarschaft sind die meisten auch nicht mehr nagelneu und topp in Schuss.

    Die aussortieren wollen die das Geld nicht bräuchten lohnt sich einfach nicht.

    Das einzige was am langen Ende dabei heraus kommt ist mehr Druck und Belastung.

  15. #15 Helge
    Bremen
    7. Oktober 2025

    Ohne auf die hochproblematische Diskussion von Fratschner einzugegen:

    Ich frage mich was eigentlich ein so deutlich politischer Artikel in einem Scienceblog zu suchen hat? Diese Thematik ist alles nur keine Wissenschaft!

    • #16 Joseph Kuhn
      10. Oktober 2025

      @ Helge:

      Wenn Sie sich das wirklich fragen, werden Sie auch die Antwort finden.