Gestern hatte Jens Spahn bei Caren Miosga einen Auftritt, in dem einmal mehr viele von Spahn Schwächen grell aufgeleuchtet sind: Seine Unfähigkeit zur Selbstkritik, seine belehrende Überheblichkeit, seine moralischen Doppelstandards, sein Ausweichen in kritischen Punkten und hier vor allem sein ungeklärtes Verhältnis zur amerikanischen MAGA-Bewegung.

Man könnte fast jede seiner Äußerungen bei Miosga kommentieren, etwa seine Kommentierung seines Nichtsprechens mit den Linken bei der anstehenden Verfassungsrichterwahl, sein Vernebeln der Umstände bei der gescheiterten Wahl von Frau Brosius-Gersdorf („schon in der Vorwoche gemerkt“, aber?) oder seine hilflosen Bemerkungen zur Vermögensungleichheit. Vermögenswirksame Leistungen für Geringverdiener sollen es jetzt richten („kleine Beträge können einen Unterschied machen“), ein Witz angesichts dessen, was es hier derzeit gibt und was es hier absehbar geben kann. Ein böser Witz. Da hätte Miosga nachhaken können, aber vermutlich ist sie fachlich bei dem Punkt nicht im Stoff.

So weit, so weit Talkshow-Gerede halt. Viel ärgerlicher war Spahns heimliche Sympathie für die MAGA-Bewegung. Er beklagt zwar die Polarisierung in den USA und die Unterstützung der Administration dort für die AfD, aber dann sagt er, die Rechten dort würden jetzt „die Instrumente der Linken“ nutzen, er spricht den ermordeten Charlie Kirk von jedem Extremismusverdacht frei (Disclaimer aus den bekannten Gründen: der Mord ist durch nichts zu rechtfertigen), sagt, der habe vielmehr immer das Gespräch gesucht, etwas „Starkes und Wichtiges“ getan. Er verteidigt Kirk auch explizit gegen den Vorwurf, „extremistisch“ zu sein. Kirk habe teils „sehr konservative“, teils „sehr liberale“ Positionen gehabt, alles „nicht weniger legitim“ als andere Positionen, statt „radikal“ sei er halt „sehr klar“ gewesen. Ob das auch für Kirks Aussage gilt, dass Joe Biden eigentlich die Todesstrafe bekommen müsste? Miosga hat nicht nachgefragt.

Und weiter: Elmar Theveßen hätte „über Charlie Kirk Falsches gesagt“ und hätte seine „Fehler“ einräumen sollen. Auch da war Miosga schwach, hat nicht nachgefragt, was genau „falsch“ war und ob Kirk seine Äußerungen zur biblischen Forderung nach einer Steinigung von Homosexuellen nicht bewusst vieldeutig angelegt hat, mit anderen Worten unklar, und dass Elmar Theveßen auf die Vorwürfe ihm gegenüber sehr wohl selbstkritisch reagiert hat. Seinen Freund Richard Grenell, der Theveßen als „linksextrem“ bezeichnet hat und ihm das Visum entziehen möchte, will Spahn wegen so was nicht anrufen. Das Gespräch muss man schließlich nicht immer suchen, nicht mit seinen Geistesbrüdern, nicht mit denen, die anders denken, auch gegenüber Frau Brosius-Gersdorf hielt er ein Gespräch ja nicht für nötig.

Wenn Jens Spahn eines in dieser Talkshow nicht war: klar. Dafür hatte er sehr viel Verständnis für die amerikanischen Rechten und wenig Verständnis für deutsche Journalisten mit klaren Ansagen. Es dürfte wenig nützen, ihm zu raten, nochmal in Max Webers „Politik als Beruf“ zu schauen, aber man möchte es ihm trotzdem raten.

Kommentare (23)

  1. #1 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    22. September 2025

    Schon interessant, dass Herr Spahn immer noch nicht hinter Schloss und Riegel sitzt.

  2. #3 naja
    22. September 2025

    Meines Erachtens ist die AfD ohne die CDU/CSU immer noch ungefährlich. Aber wie lange bleibt das so?
    Merz´ Abstimmung mit der AfD, Spahns die-AfD-wie-eine-normale-Partei-behandeln, Dobrindts Notlage und eigenwillige Intepretation des Urteils des Verwaltungsgerichts, die Nicht-Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf (die Frau hat Bro im Namen, was will man noch?) und Söders Grünenbashing geben einem nicht das Gefühl, dass die Brandmauer sehr funktional ist.
    Ich kann wirklich nicht glauben, dass die CDU/CSU meint, man könne Wiederaufrüsten und “den Sozialstaat reformieren” und das über Bürgergeld-Sanktionen und Altersarmut querfinanzieren, während man gleichzeitig die AfD kleinregiert.

  3. #4 Helge
    Bremen
    22. September 2025

    Wer in Deutschland kannte Charlie Kirk vor 14 Tagen? Wohl kaum jemand. Und schon gar nicht jedes Posting und jede Rede. Spahn hat vollkommen Recht das die ZDF Reporter mit ihrer Einschätzung weit über das Ziel hinausgeschossen sind und keine Aussage irgendwie belegt habt.
    Sie übrigens in dieser Kolumne auch nicht…

    • #5 Joseph Kuhn
      23. September 2025

      @ Helge:

      “keine Aussage irgendwie belegt .. Sie übrigens in dieser Kolumne auch nicht…”

      Meine Aussage ist, dass Spahn, was seine Haltung zu Kirk angeht, nicht klar war, ihn verteidigt hat, Theveßen nicht verteidigt hat und Grenell nicht anrufen will. Ich dachte, das hätte ich durch die wörtlichen Versatzstücke aus Spahns Redebeiträgen hinreichend belegt.

      Falls Sie glauben, ich hätte das alles erfunden oder die Anführungszeichen stünden nicht für Zitate, sondern für Zuspitzungen von Spahns Worten: Sie können alles noch in der ARD-Mediathek nachhören.

      Ich vermute einmal, Sie haben auf das Reizwort “Kirk” reagiert und meinen, ich hätte unbelegte Aussagen über Kirk getroffen? Falls dem so ist, lesen Sie einfach noch einmal, was im Blogbeitrag wirklich steht.

  4. #6 wereatheist
    Berlin
    22. September 2025

    @Helge:

    Wer in Deutschland kannte Charlie Kirk vor 14 Tagen? Wohl kaum jemand. Und schon gar nicht jedes Posting und jede Rede.

    Soll das eine Forderung an hiesige Medien sein?
    Die natürlich unerfüllbar ist, weil das Nazi-Häschen Kirk natürlich keine Transkripte von seinen Podcasts erzeugt hat. Dies blieb Gruppen wie Right Wing Watch über, die ein Blauner natürlich nicht akzeptiert.
    Kirk sagte, dass Schulmassaker ein akzeptabler Preis für (die extremistische Auslegung des) den 2. Verfassungszusatz seien.
    Ich sage, der Tod von Kirk ist eine hochwahrscheinliche Folge der extremistischen Auslegung (durch den SCOTUS) des 2. Verfassungszusatzes.

  5. #7 libre
    Salzburg
    22. September 2025

    @Helge & wereatheist
    Dumm und dümmer. Geht’s noch dümmer?
    Wie sagte seine Witwe erstaunlich klug und einsichtig: “Ich vergebe seinem Mörder.” Naja. Trump hat’s nicht geschafft, hoffentlich aber viele seiner Anhänger. Die Tat an sich wird ohnedies vor Gericht abgeurteilt werden nach geltendem (und nicht moralischem) Recht.

    PS: Und zu Jens Spahn: Meingott, ein nicht wirklich geeigneter Mann/Frau für diese Position. Möge er dazulernen und besser werden.. 😉

    LG libre 🙂

  6. #8 wereatheist
    Da wo sich AnCaps nicht so heimisch fühlen
    22. September 2025

    Ich formuliere meine letzte Äußerung mal besser:

    der Tod von Kirk ist eine hochwahrscheinliche Folge der extremistischen Auslegung

    um in:
    der Tod von Kirk wurde wahrscheinlicher
    durch die Extremisten im SCOTUS.

  7. #9 PDP10
    23. September 2025

    @Helge:

    Interessante Annahme. Du setzt also voraus, da “kaum jemand” hier in Deutschland Charlie Kirk und seine Thesen kennt, muss das bei den Journalisten des ÖRR und anderer Medien genauso sein.
    Obwohl die ÖRR und andere Medien haufenweise Korrespondenten in den USA haben, die sich da auskennen und mit Sicherheit auch Charlie Kirk und andere aus der MAGA Szene seit Jahren genau beobachten.

    Aber die Redaktionen hier in Deutschland reden natürlich nicht mit ihren Korrespondenten in den USA. Das machen die bestimmt nie. Auf gar keinen Fall. Die denken sich bestimmt einfach was aus.

    Sonst noch was?

  8. #10 RPGNo1
    23. September 2025

    Ich schließe aus Spahns Äußerungen, dass er für den Job als CDU-Fraktionsvorsitzender sowohl ungeeignet als auch überfordert ist. Kein Vergleich mit einem Kaliber vom Typ Kauder oder Schäuble.

    • #11 Joseph Kuhn
      23. September 2025

      @ RPGNo1:

      Dass er als Fraktionsvorsitzender bisher den Erwartungen nicht gerecht geworden ist, liest man oft. Da geht es um das interne Management der eigenen Fraktion, bei dem er mindestens zweimal schwer gepatzt hat.

      Bei Miosga ist aber aus meiner Sicht mehr noch klar geworden, dass er kein Kanzlerformat hat. Da geht es um mehr als parteibezogene Fraktionsgeschäfte. Er sieht durchaus manche Probleme, z.B. die Abhängigkeit Deutschlands von den USA und daraus resultierende diplomatische Zwänge. Aber er geht mit solchen Problemen ziemlich unbeholfen um, kann den Loyalitätskonflikt zwischen diplomatischen Zwängen, Sympathien für MAGA und Verpflichtung gegenüber den Menschen in Deutschland nicht gut auflösen, er führt dann lieber die Leute in den Wald.

      Allerdings hat man Merz das Kanzlerformat vorher auch abgesprochen und er ist es trotzdem geworden, ob Kanzler mit oder ohne Format, da gehen die Meinungen auseinander.

  9. #12 hto
    wo die "Expertise" des Stumpf- und Blödsinns ...
    23. September 2025

    Das ist hier wie auf dem Logenplatz der Muppetshow, aber das ist natürlich auch kein Wunder 🙂

    • #13 Joseph Kuhn
      24. September 2025

      Schön, dass es Ihnen offensichtlich gut geht und Sie wie eh und je herummosern, was das Zeug hält. Und danke, dass Sie wenigstens keinen Unsinn zum Thema beitragen.

  10. #14 naja
    23. September 2025

    @libre
    Es geht auch der Superlativ.

  11. #15 Staphylococcus rex
    25. September 2025

    @ Joseph Kuhn, Danke für den Link zu Tagesspiegel. Das Verständnis Spahns für Charlie Kirk kommt für mich aber nicht völlig überraschend.

    Noch vor einigen Jahren war der rechtskonservative Rand nicht außerhalb der CDU/CSU, sondern integraler Bestandteil. Wer etwas Zeit hat, kann sich bei Wikipedia die Biografien von Hans Filbinger oder Alfred Dregger durchlesen. Ebenso möchte ich den Wikipedia-Artikel zum Radikalenerlass zum Lesen empfehlen.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Radikalenerlass
    Dort ist auch der Absatz über die Vorgeschichte, den Adenauer-Erlass, lesenswert.

    Die Brandmauer von CDU/CSU gegen links war schon immer “vorbildlich”, hier gibt es seit den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts eine echte Kontinuität.

    Eine Auseinandersetzung von CDU/CSU mit der McCarthy-Ära ist mir bisher nicht begegnet, vielleicht kann hier ja jemand noch etwas Quellenmaterial beisteuern. Nach meiner Einschätzung ist das Gedankengut von Charlie Kirk zwar nicht offizielle Parteidoktrin von CDU/CSU, aber es ist auch nicht nicht so weit von der Meinung von Stammtischgesprächen außerhalb der offiziellen Berichterstattung entfernt, so dass es in der Summe wesentlicher Teile von CDU/CSU als nicht fremd wahrgenommen wird. (Sorry für diesen Schachtelsatz, aber die Abwehrreaktionen gegen rechtskonservatives Gedankengut sind in CDU und CSU bestenfalls halbherzig.)

    Was dies für die Stabilität der Brandmauer gegen die AfD bedeutet, kann sich jeder selbst ausrechnen.

  12. #17 Staphylococcus rex
    26. September 2025

    Einen kleinen Aspekt möchte ich etwas tiefer beleuchten: Bei einem Berufspolitiker weiß man nie, reflektiert seine Aussage seine eigene Meinung oder nur das, was wir als Zuhörer erfahren sollen? Ich würde dies auch nicht als offene Lüge bezeichnen, die Interaktion mit der Öffentlichkeit gehört zum Berufsbild, kleine Fehler dort haben u.U. gravierende Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn.

    Gleichzeitig ist das parallele Vorhalten zweier unterschiedlicher “Wahrheiten” eine erhebliche kognitive Leistung, die zudem fehleranfällig ist. Nach meiner Einschätzung haben deshalb Berufspolitiker (und andere Berufsgruppen im Rampenlicht der Öffentlichkeit) ein “privates Ich” und zusätzlich ein “öffentliches Ich”. Das “öffentliche Ich” kann man sich als neuronales Netzwerk vorstellen, welches auf häufige Fragen einen Satz aufeinander abgestimmter Antworten liefert und somit den kognitiven Aufwand und das Fehlerrisiko beim Erzählen “alternativer Wahrheiten” senkt.

    Das “öffentliche Ich” ist aber nur ein Unterprogramm, das Wertesystem und auch die Vorurteile sind weiterhin an das “private Ich” gekoppelt. Deshalb sind aus meiner Sicht die Abwehrreaktionen gegenüber fremdem Gedankengut so aussagekräftig. Selbst wenn es der betroffenen Person auffällt, dass die intuitive Abwehrreaktion (ja/nein/Stärke der Reaktion) im Widerspruch zum “offiziellen Ich” steht, braucht es dafür eine Denkpause, zudem sind Emotionen dabei betroffen und das Feintuning von verbaler und nonverbaler Kommunikation setzt erhebliche kognitive Fähigkeiten voraus.

    Jens Spahn ist ein Opportunist und ein Raffzahn, er ist zudem die Summe seiner Vorurteile, ich würde ihn weder als komplexe Persönlichkeit noch als Freigeist einschätzen. Deshalb ist bei ihm aus meiner Sicht der Grad der Abwehrreaktion gegenüber fremdem Gedankengut eine belastbare Informationsquelle.

    Man kann dem entgegenhalten, dass auch derartige Abwehrreaktionen trainierbar sind. Aber wenn das “offizielle Ich” irgendwann so komplex wird wie vorher das “private Ich”, dann stellt sich die Frage, welcher Aspekt der Persönlichkeit ist dann dominant? Es gibt den Spruch “Das Amt prägt die Person”. Die neuronalen Netze, welche die Persönlichkeit reflektieren, sind keine einfachen Programme, die man nach Belieben ein- und ausschalten kann.

  13. #18 Uli Schoppe
    26. September 2025

    @libre
    Salzburg
    22. September 2025

    Wie sagte seine Witwe erstaunlich klug und einsichtig: “Ich vergebe seinem Mörder.”

    Ja war eine tolle Inszenierung, nicht?
    Sie hat die Die mediale Aufmerksamkeit genutzt. Die Auswahl der rhetorischen Mittel (bspw. religiöse und emotionale Elemente) sind typisch für kalkulierte Kommunikationsstrategien in hochpolitischen Kontexten.
    Also typisch MAGA / Rechtsaussen.
    Weniger hätte ich von einer Theologiestudentin auch nicht erwartet.
    Geschickte ombination aus öffentlicher Vergebung und gleichzeitigem Ankündigen, das politische Erbe ihres Mannes weiterzuführen. Da können wir ja dankbar sein das das Wirken des Fascho Häschens fortgeführt wird.
    Das widerspricht einfach einer rein emotionalen und persönlichen Trauerrede. Es zielt auf eine bestimmte öffentliche Wahrnehmung ab.
    Typisch rechts. Nicht mal in einem solchen Moment genug Anstand um mal die religiösen und politischen Ziele raus zu lassen.
    Rant aus…

  14. #19 hto
    wo Schizophrenie ...
    28. September 2025

    “Heimliche Sympathien” – Vielleicht weiß Spahn ja, dass Trump zu Putin gesagt hat: “Mein Freund, was machst Du da? Das haben wir doch garnicht nötig, selbst die Ukrainer werden, wie schon viele merken, dass Europa und “Demokratie” nicht der Traum ist und wählen dann deshalb Leute wie uns.” 🙂

  15. #20 hto
    29. September 2025

    “Klar- und Wahrheit” – Wenn die Ultrarechten an die Macht kommen, ändert sich doch quasi nichts, bis auf die Tatsache, daß die “Freiheit” des “freiheitlichen” Wettbewerbs nun sehr viel mehr Klarheit zur “Freiheit” in Sachen unternehmerische Abwägungen bekommt, wobei der “brave” Bürger sehr viel mehr “Eigenverantwortung, Autonomie und Flexibilität” (entsprechend dem “freiheitlichen” Wettbewerb) ausleben kann!? 🙂

    • #21 Joseph Kuhn
      29. September 2025

      @ hto:

      “Wenn die Ultrarechten an die Macht kommen, ändert sich doch quasi nichts”

      Die streichen Ihnen die Sozialhilfe und stecken Sie ins Umerziehungslager.

  16. #22 hto
    30. September 2025

    @Kuhn: “Die streichen Ihnen die Sozialhilfe und stecken Sie ins Umerziehungslager.”

    Mit solch einem Satz, kommt die Frage auf: Steckt dahinter ein Zyniker, ein anteiliger Ausbeuter mit den wettbewerbsbedingt-systemrationalen Drohungen und Erpressungen, oder einfach nur Dumm-Verkommenheit eines Wasserträgers???

    • #23 Joseph Kuhn
      30. September 2025

      @ hto:

      Die wie immer recht unfreundliche Einseitigkeit Ihrer Alternativen spricht nicht für gründliches Nachdenken.