Im Jahr 2007 hat die Gesundheitsministerkonferenz den Beschluss gefasst, alle zwei Jahre eine „Nationale Impfkonferenz“ einzuberufen. Die dritte Nationale Impfkonferenz (NIK) hat nun vom 15. bis zum 16. Mai 2013 in München stattgefunden. So ganz klar scheint noch nicht zu sein, worauf die Nationalen Impfkonferenzen hinauslaufen sollen. Das Programm ist irgendwo zwischen wissenschaftlichem Kongress und Aufklärungsveranstaltung angesiedelt, das Abschlusspodium war mit zwei Landesministern (Marcel Huber, Gesundheitsminister im Veranstalterland Bayern und Anita Tack, Gesundheitsministerin des Vorsitzlandes der Gesundheitsministerkonferenz Brandenburg), dem Präsidenten der Bundesärztekammer, dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts, der Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und einer Vertreterin des Bundesgesundheitsministeriums ausgesprochen hochrangig besetzt, aber es war eher eine Talkrunde, konkrete Absichtsbekundungen oder gar Beschlüsse gab es nicht. Immerhin: Die Umsetzung des „Nationalen Impfplans“, der im letzten Jahr veröffentlicht wurde, wird wohl künftig durch eine Geschäftsstelle unterstützt. Damit wird zwar noch kein “Ruck durch die Gesellschaft“ gehen, aber es ist ein richtiger Schritt, Koordination braucht eben auch Ressourcen.

Ich bin u.a. deswegen zur NIK gegangen, weil ich gespannt war auf das Auftreten der Impfkritiker. Sie haben sich, vielleicht weil sie sich auf „feindlichem Territorium“ wähnten, aber recht unauffällig verhalten und sich lediglich mit ein paar relativ sachlichen Einwänden zu Wort gemeldet. Einen davon will hier kurz aufgreifen, weil er methodisch interessant ist.

Impfkomplikationen: Koinzidenz oder Kausalität?
Ein Argument von Impfkritikern gegen das Impfen sind die – scheinbaren oder tatsächlichen – Impfkomplikationen. Wie jeder medizinische Eingriff kann natürlich auch das Impfen Nebenwirkungen haben, es gilt also auch hier, Nutzen und Risiken abzuwägen. Diese Abwägung fällt bei den heute von der „Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut“ empfohlenen Impfungen nach allem, was derzeit Stand des Wissens ist, bevölkerungsbezogen eindeutig positiv aus, was aber nicht ausschließt, dass es in sehr seltenen Einzelfällen auch ernste Komplikationen bzw. bleibende Impfschäden geben kann. Bei der Pockenimpfung waren ernste Impfschäden übrigens relativ „häufig“, man geht von 1 Sterbefall auf 1 Mio. Impfungen aus. Allerdings war die Pockeninfektion von ganz anderem Kaliber, die Pocken waren sowohl leicht übertragbar als auch von hoher Letalität (im Durchschnitt ca. 10 %), eine tödliche Kombination. Im 19. Jahrhundert gab es in manchen Jahren zehntausende Pockensterbefälle. Die Pocken sind seit 30 Jahren weltweit ausgerottet, ohne Impfung wäre das nicht gelungen. Aber das nur nebenbei.

Unstrittig ist, dass Impfkomplikationen in Deutschland nicht gut identifiziert werden. Das Meldeverfahren und die Meldepraxis sind unzureichend. Dennoch wurden im Jahr 2011 beim dafür zuständigen Paul Ehrlich-Institut 1.778 Einzelfallmeldungen von Verdachtsfällen mit 8.626 Reaktionen registriert. Über die Fälle wird jeweils in der ersten Ausgabe eines Jahres des “Bulletins Arzneimittelsicherheit“ berichtet.

Nun stellt sich die Frage, ob solche Verdachtsmeldungen nur zeitlich mit der Impfung koinzident sind oder ob es auch einen kausalen Zusammenhang gibt. Bei der großen Anzahl von Impfungen sind entsprechend der Auftretenshäufigkeit von gesundheitlichen Beschwerden diese Beschwerden natürlich auch in zeitlicher Nähe zu einer Impfung zu erwarten, ohne dass es einen kausalen Zusammenhang gibt. Die „echten“ Komplikationen müssen also aus diesem Hintergrundrauschen gesundheitlicher Beschwerden herausgefiltert werden. Das ist in der Regel nicht einfach, weil die häufigen Reaktionen, z.B. Fieber, Kopfschmerz oder Erbrechen, auch ohne Impfung häufig sind und viele Ursachen haben können und die seltenen ernsten Reaktionen oft Krankheiten betreffen, deren Genese grundsätzlich unklar ist. Vielfach geht die Prüfung des kausalen Zusammenhangs daher ergebnislos aus, ein Zusammenhang kann nicht bestätigt werden.

Der Rückgang von Infektionskrankheiten: Koinzidenz oder Kausalität?
Diese Probleme hat ein Impfgegner auf der Konferenz eingeräumt und klug gekontert: Die Möglichkeit der bloßen zeitlichen Koinzidenz müsse man doch genauso in Rechnung stellen, wenn man den Rückgang von Infektionen mit der Einführung einer Impfung in Zusammenhang bringt. Die folgende Grafik zeigt den Verlauf der Kinderlähmungsfälle nach dem Krieg in Westdeutschland. Man sieht, wie mit der Einführung der Massenimpfungen 1962 die Infektionszahlen dramatisch zurückgingen. In den 1980er Jahren gab es nur noch vereinzelte Fälle, seit über 20 Jahren gibt es in Deutschland gar keine Fälle mehr. Auch die Kinderlähmung ist alles andere als eine harmlose Kinderkrankheit, in den 1950er Jahren starben jährlich noch mehrere hundert Menschen daran.

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Kommentare (18)

  1. #1 michael
    17. Mai 2013

    Zur Graphik (wenn sie den richtig beschriftet ist) : Warum geht durch die Masernimpfung die Kinderlähmung zurück?

  2. #2 Joseph Kuhn
    17. Mai 2013

    @ michael: Bitte beim Optiker die Sehstärke prüfen lassen. Da steht “Massenimpfung”, nicht “Masernimpfung”.

    Die Masernimpfung wurde übrigens 1973 eingeführt. Mit den Erkrankungszahlen ist das bei den Masern aber so eine Sache. Weil früher praktisch jeder die Masern bekam, gab es keine Meldepflicht, die gibt es erst seit 2001. Todesfälle waren seit 1962 meldepflichtig.

  3. #3 Curious.Sol
    17. Mai 2013

    @michael: “Massen…”

  4. #4 rolak
    17. Mai 2013

    Nationale Impfkonferenz (NIK)

    Da es schon um Fehlzuordnungen geht: Bei allem wie ‘NIK’ Klingenden rattert seit x Jahren ein und dieselbe Filmsequenz ab. Immer Streichhölzer dabei haben – noch so ein Ding, was wie Wählscheiben am Telefon längst vergessen ist…

    btt: Sollte das ein ernsthafter Versuch der AntiVaxer sein, so etwas in der Art wie ernsthaft zu diskutieren? Oder doch eher geschickte Perfidie?

  5. #5 Joseph Kuhn
    17. Mai 2013

    @ rolak:

    “Sollte das ein ernsthafter Versuch der AntiVaxer sein, so etwas in der Art wie ernsthaft zu diskutieren?”

    Ich hatte mit der Person, die den zitierten Einwand brachte, in der Pause kurz gesprochen. Oder besser gesagt, ich habe es versucht, bin aber nicht zu Wort gekommen. Was auch aufschlussreich war.

  6. #6 Hanno
    18. Mai 2013

    Im letzten Abschnitt soll das vermutlich HPV und nicht HBV heißen, oder?

    • #7 Joseph Kuhn
      18. Mai 2013

      @ Hanno: Ja natürlich, danke für den Hinweis, hab’s korrigiert.

  7. […] Impfkonferenz 2013, Gesundheits-Check am 17. Mai […]

  8. #9 Bettina Wurche
    18. Mai 2013

    Danke für den Beitrag:
    Impfverweigerung und Streit ums Impfen nimmt leider bei uns mittlerweile quasireligiöse Züge an.
    Dass das NIK-Treffen keine dolle Werbung fürs Impfen ist, wundert mich nicht. Viele Menschen können Faktenwissen nicht einordnen, verstehen und für sich selbst umsetzen.

    Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hatte darum zur Motivierung zur Masernimpfung auf die naartive Informationsvermittlung gesetzt und einen Film gedreht:
    https://newsmagazin.puls.med.uni-frankfurt.de/wp/?p=4067
    Ich halte das für eine sehr gute Idee. Es ist natürlich eine Form von Propagande, aber in diesem Fall meiner Ansicht nach wirklich gerechtfertigt.

    Übrigens impfen Ameisen auch – und zwar andere Ameisen.
    https://newsmagazin.puls.med.uni-frankfurt.de/wp/?p=4675

  9. #10 WolfgangM
    21. Mai 2013

    In einer mir bekannten Epilepsie Ambulanz werdn 4 Kinder therapiert, denen ein staatlich anerkannter Impfschaden zuerkannt wurde. Erst später wurden diese Kinder auf genetisch vererbte Ionenkanaldefekte getestet, die eben eine Epilepsie verursachen.
    Zusätzlich kenne ich einige andere auch staatlich anerkannte Impfschäden, denen schlampige ärztliche Begutachtung zu Grunde lag. In einem Fall war es attestierte Blindheit (Nervus opticus atrophie) durch eine Hep B Impfung. Der Gutachter hatte einen grenzwertig positiven Herpes IgM Wert übersehen, der macht eine Opticus Neuritis. Diese kann langwierig sein ist, aber nicht unbedingt irreversibel. Ergebnis: Der Betroffene wurde wegen Blindheit verursacht durch die Impfung entschädigt und machte ein paar Jahre später seinen Führerschein auf Anhieb und ohne Sehbehelf. Schön !

    Fazit: selbst staatlich anerkannte Impfschäden entsprechen oft nicht der medizinischen Realität. Noch schöner!

  10. #11 Joseph Kuhn
    21. Mai 2013

    @ WolfgangM:

    “Schön !”

    Naja, schön sind so Sachen nun nicht unbedingt. Die Betroffenen sind verunsichert, haben Angst und suchen nach einer Erklärung, das ist nur zu verständlich. Und wenn ab und zu ein Impfschaden anerkannt wird, der eigentlich keiner ist, geht die Welt daran auch nicht zugrunde. Ärgerlich finde ich nicht, wenn Betroffene in so einer Situation eine zeitlich “passende” Impfung verantwortlich machen und ihr (in diesem Fall vermeintliches) Recht durchsetzen, sondern wenn organisierte Impfgegner mit falschen Argumenten gezielt Ängste mobilisieren.

  11. #12 WolfgangM
    21. Mai 2013

    @Josef,

    mit schön meinte ich im ersten Fall, dass ein per ärztlichem Gutachten als irreversibel blind erklärter junger Mann nun wieder sehen kann.
    Und als noch schöner, dass Menschen die irrtümlich (oder auch mit Absicht-auch solche Fälle gibt es) als Impfschaden diagnostiziert werden, nun eine korrekte Diagnose als “Ionenkanaldefizienz ” erhalten und damit die Chance haben pro futuro mit Arzneispezialitäten, die die Auswirkungen des genetischen Defekts neutralisieren weit spezifischer behandelt werden können als heute.
    Es ist schon richtig, dass die Welt nicht untergeht wenn mal ein Impfschaden irrtümlich anerkannt wird- aber es ist schon schwerst “unschön” wie schlampig manche Gutachter ihre wichtige Aufgabe wahrnehmen. Da muss Qualitätssicherung her.

  12. #13 DerBesserwisser
    3. Juni 2013

    Der Kommentar seitens Veritas&Sanitas war tatsächlich sehr gut: “Warum zählt zeitliche Koinzidenz nicht bei ‘Impfschäden’, wohl aber beim Beleg der Wirksamkeit von Impfungen?”
    Die Antwort seitens der Präsentatorin (?Präsidentin BzGA?) war leider nicht so gut, eher ratlos. Zeitliche Korrelationen sind eben nur Korrelationen. Punkt. Der Verweis auf eine simple Analyse der Impfeffektivität durch einen Vergleich der erkrankten Geimpften mit den erkrankten Ungeimpften hätte die weltanschaulich motivierten Wahrheitssucher besser befriedigt.
    Diese Zahlen gibt es für die 70er zwar mangels ordentlicher GBE und Infektionssurveillance nicht, wohl aber für alle neueren Impfungen.
    Und 11.5 Jahre nach Einführung des IfSG gibt es in den alten Bundesländern sogar eine Surveillance der impfpräventablen und STIKO-empfohlenen Kandidaten Pertussis, Mumps, Varizellen und Röteln (nicht nur konnatal). Fehlen nur noch die Pneumokokken.
    Es bleibt zu hoffen, dass GBE und die Ausbildung von Infektionsepidemiologen nicht der Schuldenbremse zum Opfer fallen.

  13. #14 Joseph Kuhn
    3. Juni 2013

    @ DerBesserwisser: Der impfkritische Verein heißt Libertas & Sanitas e.V., das mit der veritas sind die Hüter des Weinbergs.

  14. […] Impfkonferenz 2013, Gesundheits-Check am 17. Mai […]

  15. #16 Harald
    @ lasik-dubai.ae
    20. Juni 2013

    “So eindrucksvoll die Grafik ist, der Zusammenhang zwischen der Einführung der Impfung und dem Rückgang der Infektionen könnte durchaus eine bloß zeitliche Koinzidenz sein.”

    Für mich ist das statistisch, zumindest mit diesen Daten, leider auch nicht unbedingt belegbar. Gibt es denn noch weitere Studien zu dem Thema

  16. #17 Joseph Kuhn
    20. Juni 2013

    “Gibt es denn noch weitere Studien zu dem Thema”

    Ja.

  17. […] Westdeutschland insgesamt sieht es ganz genauso aus, die Grafik dazu war schon vor einiger Zeit im Beitrag zur Nationalen Impfkonferenz 2013 zu sehen. Ob sich der eine oder andere Impfskeptiker bei solchen Bildern vielleicht mal doch fragt, […]