Stefan Lanka ist ein promovierter Biologe, der die Existenz des Masernvirus und den Sinn der Masernimpfung bestreitet. Für Masernerkrankungen macht er statt des Virus z.B. Trennungstraumata verantwortlich. Anders als viele esoterisch vernebelte Impfgegner spielt er dabei nicht die antiwissenschaftliche Melodie, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gebe, als sich unsere Schulweisheit träumen lasse, sondern er ist der festen Überzeugung, streng wissenschaftlich zu argumentieren. „Wissenschaftlichkeit“ ist bei ihm allerdings zu einem bloßen Talismann degeneriert, mit dem er sozusagen magisch die Wahrheit seiner Sicht der Dinge beschwört. Der offene wissenschaftliche Prozess, bei dem Befunde zu einer Fragestellung gesammelt und abgewogen werden – und der bei Bewährung einer Erklärung zu einem (manchmal vorläufigen) Ende kommt, ist seine Sache nicht.
Jetzt springt ihm Harald Walach zur Seite. Natürlich wolle er, Walach, nicht bestreiten, dass die Masernimpfung sinnvoll ist, aber …
Tja, was will er eigentlich? Auf die triviale Tatsache hinweisen, dass empirische Wissenschaft nicht zu einem letzten Ende kommt und auch gut belegte Erkenntnisse infrage gestellt werden können? Dazu bräuchte es nicht so viele Worte, wie sie Walach zur Verteidigung Lankas aufbringt. Und dazu müsste er auch nicht ausgerechnet das Beispiel Lanka bemühen. Vermutlich will er damit indirekt seine eigenen „unkonventionellen“ Ansichten legitimieren, er stilisiert sich ja seit einiger Zeit zur Speerspitze der Aufklärung, die sich vom langweiligen Mainstream abhebt. Im Detail will ich mich mit seinem Text nicht beschäftigen, das ist SIWOTI. Aber einen – für seine Argumentationsstruktur zentralen – Satz daraus möchte ich doch hier einmal zur Diskussion stellen. Dass es das Masernvirus gebe und dass es die Masernerkrankung verursache, sei zwar wissenschaftlicher Konsens, so Walach, aber das zähle wissenschaftlich letztlich nicht:
„Nun ist Mehrheitsmeinung, gerade in der Wissenschaft, kein ausreichend guter Ratgeber, auch wenn sie uns Menschen als sozialen Wesen, und auch Wissenschaftler sind soziale Wesen, näher liegt als individuell isolierte Analyse. Historische Beispiele könnten zur Genüge angeführt werden, dass und wie Mehrheitsmeinungen falsch liegen.“
Keine Frage. Ständig werden in der Wissenschaft Mehrheitsmeinungen revidiert, vom Nutzen der Schonhaltung bei Rückenschmerzen bis hin zum Eisengehalt des Spinats, sonst gäbe es keinen wissenschaftlichen Fortschritt. Mehrheit verbürgt nicht Wahrheit. Aber was folgt daraus, oder besser gefragt, was folgt daraus nicht: Garantiert nicht, dass daher jede abweichende Meinung genauso „wissenschaftlich“ ist wie die Mehrheitsmeinung. Nur weil sich immer wieder auch Außenseiterpositionen gegen lange behütete herrschende Lehrmeinungen durchsetzen, ist nicht jede Außenseiterposition nobelpreisverdächtig. Weitaus häufiger hat man es, gerade wenn es um querulatorisch vertretene Positionen geht, schlicht mit Unfug zu tun. Daher ist hier meine Version des Walachschen Diktums:
„Nun ist eine prägnante abweichende Meinung, gerade in der Wissenschaft, kein ausreichend guter Ratgeber, auch wenn sie uns Menschen als sozialen Wesen, und auch Wissenschaftler sind soziale Wesen, näher liegt als der komplexe und oft unverständliche Forschungsprozess. Historische Beispiele könnten zur Genüge angeführt werden, dass und wie solche Meinungen falsch liegen.“
Mehrheit verbürgt nicht Wahrheit, aber erst recht steht Mehrheit nicht einfach für mehrheitlichen Irrtum. Wissenschaftlicher Konsens ist in den weitaus meisten Fällen das Ergebnis langjähriger Forschungsarbeit, vieler Daten, intensiver wissenschaftlicher Debatten und wiederholter Korrekturen an den ursprünglichen Hypothesen. Genau das Gegenteil von Lankas Talisman-Wissenschaftlichkeit.
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