Gesundheits-Check ist bekanntlich mein privater Blog. Ich vermeide es in der Regel, hier Vorgänge zur Sprache zu bringen, die die Frage aufwerfen, ob ich privat oder „dienstlich“ unterwegs bin und wie sich das eine zum anderen verhält. Aber diesmal will ich wieder einmal eine Ausnahme machen, weil mein Brötchengeber, das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, und die Bertelsmann Stiftung am vergangenen Montag gemeinsam einen Workshop veranstaltet haben, der genau das zum Thema hatte, was mich auch hier im Blog umtreibt: Wie bringt man eigentlich Evidenz an den Mann und die Frau? Darüber haben etwa 50 Leute aus der Wissenschaft und den Medien diskutiert, und Behördeninsassen, wie ich.
Ein Punkt, der mich persönlich dabei immer wieder beschäftigt: Wo ist die Grenze zwischen Informieren und Überreden? Kann es da überhaupt eine klare Grenze geben, oder hat nicht jede Information auch ein Format und damit ein rhetorisches Element, das man mehr oder weniger überzeugend gestalten kann – und das, wenn man es überzeugend macht, in Richtung „Überreden“ geht? Über das Stichwort „Nudging“ und die damit einhergehenden paternalistischen Aspekte hatten wir hier schon diskutiert, da stellt sich diese Frage ganz ähnlich. Macht Nudging es den Leuten nur einfacher, das zu tun, was sie bei ruhigem Nachdenken auch selbst tun würden oder werden sie in eine Richtung geschubst, die der Große Bruder für richtig hält?
Immer wieder kommt in diesen Diskussionen das Thema „story telling“ auf. Fallgeschichten erscheinen vielen Leuten überzeugender als eine statistische Analyse. Wenn man so will, eine alte biblische Weisheit, denn höhere Wahrheiten wurden dort in Form des Gleichnisses, als Geschichte erzählt. In Geschichten treten Menschen auf, sie handeln, sie haben Ziele, sie machen Erfahrungen und ihr Schicksal weckt unsere Anteilnahme. Das Leben besteht aus Geschichten, Geschichten vermitteln erlebte, lebbare Rollenmodelle. Eine wissenschaftlich-statistische Analyse kennt keine Ich-Form, sie abstrahiert von den persönlichen Verhältnissen der Menschen, um „objektiv“ zu sein. Aber im Alltag orientieren wir uns eben gerne an Erzählungen, Erfahrungen, Geschichten. Sie sind authentisch, und sie machen uns betroffen – und damit auch befangen? Ich glaube, dass das „story telling“ in der Gesundheitsinformation durchaus seinen Platz hat, aber nur als rhetorisches Mittel, nicht als Beleg. Auch wenn die biblischen Gleichnisse vielleicht aus der Mode sind, das Prinzip nicht: In den sozialen Netzwerken, darauf hat uns einer der Referenten des Workshops hingewiesen, zählt praktisch nur die Münze der persönlichen Authentizität. Die ist aber oft genug Falschgeld.
Mein Zwischenfazit: Die „Wirksamkeit“ von Information in dem Sinne, dass sie beim Empfänger bewirkt, was der Absender beabsichtigt, darf nicht das allein entscheidende Merkmal der Qualität von Kommunikation sein, wenn es um gesundheitliche Aufklärung geht. Die Autonomie der Menschen ist ein hohes Gut, das Ziel sollte daher immer die „informierte Entscheidung“ sein, auch wenn dies gelegentlich ein Nein dazu ist, was die Evidenz sagt (zumindest so lange damit nicht andere geschädigt werden).
Auch dieser Workshop hat die Frage, wie man Evidenz zum Sprechen bringt, erwartungsgemäß nicht definitiv beantworten können, aber immerhin ging ich mit mehr Fragen wieder nach Hause als ich vorher dazu im Kopf hatte. Das ist ja auch schon was.
Eine (ganz kurze) Nachlese zum Workshop gibt es hier auf der Internetseite des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, und hier eine kleine Twitterei unter den Beteiligten, und last but not least zum Weiterlesen noch ein Link zu einem Artikel über das story telling.
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