Vor ein paar Tagen ging eine Studie des Berliner IGES-Instituts durch die Medien, die im Auftrag der Hans Böckler-Stiftung erstellt wurde. In der Studie geht es um die Auswirkungen einer Bürgerversicherung auf die Versicherten, den Versicherungsmarkt und die Beschäftigten der privaten Krankenversicherung (PKV). Ein in den Medien vielzitiertes Ergebnis war, dass eine Bürgerversicherung zum Verlust von zehntausenden Beschäftigten bei der PKV führt.
Ausgangspunkt der Argumentation ist die Feststellung von IGES, dass es im Jahr 2014 in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) 135.950 Beschäftigte gab und in der PKV 42.500. Damit, so IGES, „kamen in der GKV durchschnittlich 520 Versicherte auf einen Beschäftigten, in der PKV waren es mit 208 noch nicht einmal halb so viele.“ Außerdem kämen in der PKV noch 25.500 Beschäftigte in Versicherungsagenturen hinzu, so dass über die PKV insgesamt 68.000 Personen beschäftigt seien.
Die genannten Zahlen sind korrekt. Ergänzt seien noch die Versichertenzahlen im Jahr 2014: In der PKV waren es dem Zahlenbericht der Privaten Krankenversicherung 2014 zufolge 8.834.400 Vollversicherte in der Krankenversicherung, für die GKV weist die KG1-Statistik des Bundesgesundheitsministeriums 70.323.785 Versicherte aus. Bezogen auf die oben genannten Beschäftigtenzahlen ergeben sich daraus die von IGES berechneten Quotienten (bei der GKV nicht ganz, da komme ich auf 517, aber das ist unwesentlich).
Die Frage, die sich mir stellt: Ist auch der von IGES angestellte Vergleich korrekt? Die Tätigkeitsfelder beider Versicherungsarten unterscheiden sich erheblich. Zum einen nimmt die GKV Tätigkeiten wahr, die bei der PKV nicht anfallen, z.B. was die Vertragsbeziehungen mit den kassenärztlichen Vereinigungen, den Krankenhäusern oder der Pharmaindustrie angeht. Darauf weist der Gesundheitsökonom Hartmut Reiners in seinem Makroskop-Kommentar zur IGES-Studie „Bürgerversicherung – ein Jobkiller?“ hin. Auf der anderen Seite betreuen die Beschäftigten der PKV auch eine große Zahl von Zusatzversicherungen. 2014 waren es über 24 Millionen. Würde man diese Verträge wie Versicherte zählen, läge der Quotient Versicherungen/Beschäftigte bei der PKV, ausgehend von den 42.000 direkt dort Beschäftigten, bei 790. Ist die PKV also doch nicht so ineffizient? Legt man aber die 68.000 Beschäftigten zugrunde, schrumpft der Quotient mit 488 wieder unter die Relation bei der GKV. Aber als Basis für einen Effizienzvergleich ist das natürlich sowieso Unsinn, weil die Zusatzversicherungen vom Aufwand her nicht mit Vollversicherungen vergleichbar sind.
Noch nicht genug verwirrt? Man könnte alternativ ja vielleicht auch einmal die Beitragseinnahmen, die verwaltet werden müssen, als Basis nehmen. Die lagen 2014 bei der PKV für alle Verträge zusammen bei 36,3 Mrd. Euro, bei der GKV bei 204,4 Mrd. Euro. Demnach entfallen bei der PKV auf einen Beschäftigten ca. 380.000 Euro (bezogen auf 68.000 Beschäftigte) bzw. ca. 530.000 Euro (bezogen auf 42.500 Beschäftigte) – und bei der GKV sind es ca. 1,5 Mio. Euro. Noch mehr Äpfel und Birnen im Korb?
Wie dem auch sei, die PKV ist und bleibt ein seltsames Wesen. Sie heißt „privat“, aber sie kennt anders als die GKV keinen Wettbewerb nach Vertragsabschluss, die Hälfte ihrer Versicherten sind außerdem Beamte, die keine andere Wahl haben, und die Beiträge entfalten bei einigen Gesellschaften eine dramatische Dynamik. Ein gutes Geschäftsmodell sieht anders aus. Insofern erinnern mich die Medienreaktionen auf die IGES-Studie ein wenig an die strukturkonservativen Arbeitsplatz-Argumente, die man auch von anderen Wirtschaftsbereichen kennt, wenn sonst nicht mehr viel für ihren Erhalt spricht. Aktuell hat das gerade der SPD-Chef in der Debatte um die Elektro-Autos vorgeführt, weil für deren Produktion weniger Beschäftigte gebraucht werden als z.B. für Dieselfahrzeuge. Ein Glück, dass wenigstens die Pferdekutschen schon abgeschafft sind. Aber vielleicht ist das ja auch nur ein Vergleich von Äpfeln und Birnen.
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