Zurzeit liest man viel über den Umgang mit Fakten, traditionellen wie alternativen Fakten. Der Diskurs über die Fakten hat die Diskurse über Propaganda, Ideologie, „falsches Bewusstsein“ und postmodernen Relativismus erst einmal abgelöst. Im Newsletter des Jounalistenkollektivs Correktiv wird heute auf den Artikel „The problem with facts“ von Tim Harford in den Financial Times hingewiesen, sehr lesenswert. Darin kommen viele der bekannten sozialpsychologischen Befunde über unsere Fähigkeiten, Fakten aus dem Weg zu gehen, zur Sprache, vom „motivated reasoning“ (darunter fällt z.B. auch der confirmation bias), das zuweilen durch Fakten nur besser „trainiert“ wird, bis hin zu der in letzter Zeit häufig erwähnten Verankerung falscher Meldungen im Kopf durch Wiederholung im Zuge von Widerlegungen.
Interessant fand ich einen Hinweis des Medizinhistorikers Robert Proctor auf die Strategien der Tabakindustrie und möglichen Bezügen zu Trumps Kommunikationsformen. Der Tabakindustrie war nicht nur daran gelegen, Berichte über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens mit Zweifeln zu infizieren („Doubt is our product“), sondern auch daran, sie zu trivialisieren und durch immer neue Entdeckungen in anderen Bereichen aus dem öffentlichen Interesse zu verdrängen: „The tobacco industry was the leading funder of research into genetics, viruses, immunology, air pollution (…). It was a massive ‘distraction research’ project.“ Robert Proctor sieht Trivialisierungsstrategien regelrecht als Gegenpol zum Terrorismus „the opposite of terrorism: trivialism“.
Abstumpfung durch Ablenkung, verbunden damit, dass man irgendwann nichts mehr über bekannte Probleme hören will, egal wie wichtig sie sind. Dann läuft das Faktenchecken ins Leere, wie es Proctor mit Blick auf Trump formuliert: „Fact checkers can become Trump’s poodle, running around like an errand boy checking someone else’s facts.“ Ich glaube auch, dass wir nach diesem Schema vieles hinnehmen, was uns nicht härter macht, sondern umbringt, oder zumindest nicht gut tut. Tim Harford sieht genau hier aber auch eines der Gegenmittel: Wer wissenschaftlich neugierig ist, stelle auch Fakten öfter mal über das motivated reasoning, schreibt er am Ende seines Artikels. Das ist natürlich etwas tautologisch, aber ein paar talentierte „Neugierverkäufer“ wie Carl Sagan oder Hans Rosling könnten in diesen Zeiten sicher nicht schaden. Dann hätte es vielleicht auch Trump nicht so leicht, unliebsamen Wissenschaftsbereichen wie z.B. der Gesundheitsforschung oder der Umweltforschung im Handstreich die Mittel zu kürzen, wie er es gerade tut.
Dass wir so oder so lernen werden, besser mit der „Neuen Ignoranz“ umzugehen, da bin ich recht zuversichtlich. Allerdings fürchte ich, dass diejenigen, die uns lieber fügsam haben wollen und sich freuen, wenn sich unsere Kritik in pseudoskeptischen Echokammern und ideologischen Sackgassen verläuft, ebenso dazu lernen werden. Wer von unguten Verhältnissen profitiert, will schließlich eher nicht, dass darüber vernünftig und faktenorientiert gesprochen wird.
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