Das Gesundheitswesen ist ein Lebensbereich, der nicht einfach nach Marktprinzipien zu organisieren ist, schon gar nicht nach den Prinzipien deregulierter Märkte. Wer krank wird, kann nicht erst die Angebote auf dem Markt sondieren und das passende auswählen. Wenn es um kranke Menschen geht, wird man die wohlmeinende Fürsorge nie ganz aufgeben können. Dazu gehört auch, dass kranke Menschen nicht mit dubiosen Therapien noch kränker gemacht werden dürfen. Wer meint, Patientensouveränität bedeute, dass im Krankheitsfall jeder auf sich selbst aufpassen soll, macht das Gesundheitswesen zum Haifischbecken, in dem die Kranken sicher nicht zu den Haien gehören. Im Gesundheitswesen ist die Grenzziehung zwischen nützlich und schädlich besonders wichtig und dass dies schon im Hippokratischen Eid angemahnt wird, der Wiege des ärztlichen Ethos, ist kein Zufall.
Im Großen und Ganzen funktioniert das auch, trotz aller Studienmanipulationen und Betrügereien der Pharmaindustrie, trotz mancher monetär motivierten Ärzte, trotz der Scharlatane der Alternativmedizin. Dieses „trotz“ ist aber darauf angewiesen, dass immer wieder Spreu und Weizen getrennt werden. Bei der Alternativmedizin ist die Politik dabei im Moment auf keinem klaren Kurs, hin- und hergerissen zwischen der Einsicht, dass kranke Menschen geschützt werden müssen, der Offenheit vieler Wähler für alternativmedizinische Angebote und dem Druck der Lobbyverbände, der immer stärker wird, je mehr sich die Alternativmedizin etabliert.
Da übernehmen Gesundheitsminister reihenweise Schirmherrschaften für Homöopathiekongresse und lassen die Kritik daran mit faulen Ausflüchten aus der Phrasendreschmaschine an sich abperlen. Auch wenn man nebenbei noch für Wissenschaft und Verbraucherschutz zuständig ist.
Da sagt der Barmer-Chef Straub in einem FOCUS-Interview ganz ungeniert, er gehöre zu den Mitbegründern des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin in Deutschland, aber es gebe „in der Bevölkerung eine hohe Präferenz für Homöopathie“ und er sei dafür, „dass wir in Verbindung mit der Schulmedizin diese Therapie über Ärzte mit einer Zusatzausbildung auch erbringen.“ Und fügt noch an: „Krankenkassen sind nicht dazu da, den Lebensstil der Versicherten zu verändern. Wir informieren kritisch, sind aber keine Erzieher.“ Das ist in jeder Hinsicht falsch, nicht nur, was die angeblich kritische Information durch die Barmer angeht. Herr Straub kennt natürlich auch § 1 SGB V, in dem genau der Punkt mit dem Lebensstil als Gesetzesauftrag formuliert ist: „Die Versicherten (…) sollen durch eine gesundheitsbewußte Lebensführung (…) dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken.“ Aber es klingt doch so schön nach Patientensouveränität, wenn man sagt, wir wollen die Patienten nicht erziehen.
Da gibt es eigenartige Vereine, die sich die Hilfe für umweltbedingte Erkrankte auf die Fahne geschrieben haben, aber die, die Hilfe brauchen, in einen obskurantistischen Irrgarten führen, in dem sie z.B. auf Stefan Lanka, Chemtrails und Erdstrahlenfühler treffen. Die Techniker-Krankenkasse unterstützt den Zirkus, die Politik ehrt die Protagonisten.
Und da gibt es offensichtlich nicht einmal eine Handhabe, den Heilpraktiker, der in Brüggen mit einem nicht zugelassenen Wirkstoff möglicherweise mehrere Menschen umgebracht hat, wenigstens für eine gewisse Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Paradoxerweise, obwohl sogar die frühere, alternativmedizinischen Angeboten gegenüber ungut offene Gesundheitsministerin Steffens das wollte, wie Hinnerk Feldwisch-Drentrup heute im STERN schreibt.
Wer es ernst meint mit dem berühmten Spruch Helmut Kohls, dass sich die Menschlichkeit einer Gesellschaft sich nicht zuletzt daran zeigt, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, sollte nicht so achselzuckend am Sumpf der Alternativmedizin vorübergehen. Die Politik ist gefragt, hier einen Rahmen zu setzen, der die Patienten schützt. Unterlassene Hilfeleistung ist keine gute Politik. Sprechen Sie im Restwahlkampf die Politiker an ihren Straßenständen einmal darauf an, vielleicht wird der eine oder andere doch nachdenklich.
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