Gerade sind die Geschichten mit der PR-Wissenschaft der EUGT, den Affenversuchen in den USA sowie der Stickoxidstudie in Aachen hochgekocht, einschließlich der Frage, wie blauäugig die Aachener Forscher gegenüber den heimlichen und unheimlichen Absichten der EUGT wohl waren. Oder auch nicht. Da dürfte sich mancher verwundert die Augen reiben, wenn in vier Wochen in München bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, also der wissenschaftlichen Fachgesellschaft der Arbeits- und Umweltmediziner, ein Forum der AG Umweltmedizin prominent aus dem Umfeld eben dieser EUGT bestückt wird:
Aus dem Programm für Mittwoch, 7.3.2018:
09:00 Fragen an die Zukunft der Mobilität aus umweltmedizinischer Sicht (K. Schmid)
09:15 Stickstoffdioxid – Indikator für Luftqualität oder Gesundheit? (M. Spallek, P. Wiedemann)
09:30 NOx-Risikokommunikation. Klärung eines Vexierbildes. (P. Wiedemann, M. Spallek)
09:45 Perspektiven der weiteren Reduktion gesundheitsrelevanter Dieselabgase (J. Bünger)
10:15 Perspektiven für eine Reduzierung gesundheitsrelevanter Schadstoff-Emissionen im Straßenverkehr (A. Friedrich)
10:45 Diskussion
11:00 Sitzungsende
Im Vortrag „NOx-Risikokommunikation. Klärung eines Vexierbildes“ geht es dem abstract zufolge um die Bewertung von acht Studien zu vorzeitigen Sterbefällen infolge von Stickoxidbelastungen. Herr Spallek war Geschäftsführer der EUGT, er war auch leitender Werksarzt bei Volkswagen Nutzfahrzeuge und ist jetzt beim Institut für Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uni Frankfurt. Herr Wiedemann hat eine Professur an der GoeSchool of Psychology, University of Wollongong in Australien und arbeitet zum Thema Risikokommunikation.
Die Referenten sind mit der öffentlichen Diskussion zum Thema Dieselabgase unzufrieden, explizit wird im abstract auch die Arbeit des deutschen Science Media Centers genannt (das als „Media Science Center“ bezeichnet wird, auch eine interpretierbare Variante). Das Vortragsabstract ist für eine wissenschaftliche Fachtagung vom Stil her „gewöhnungsbedürftig“, für die Schlussfolgerung müsste man wohl noch ein anderes Adjektiv finden:
„‘Vorzeitige Todesfälle‘ durch NOx-Emissionen sind nur ein theoretisches Konstrukt und ohne praktische oder reale Bedeutung für das Individuum. Die Risikokommunikation zu verkehrsbedingten NOx-Immissionen in der Umwelt erfordert besondere Aufmerksamkeit bei der Datendarstellung. Inhaltliche Behauptungen einer Vermeidung von Todesfällen durch Vermeiden erhöhter NOx-Emissionen halten kritischer wissenschaftlicher Reflexion nicht stand. Der Fehler eines Modellplatonismus ist zu vermeiden und es ist konkret zwischen Realitätsbezug, Informationsgehalt und Wahrheit zu unterscheiden.“
Über die Bedeutung des Satzes, es sei „zwischen Realitätsbezug, Informationsgehalt und Wahrheit zu unterscheiden“, werde ich am Wochenende meditieren. Den Angriff auf die „vorzeitigen Sterbefälle“ dagegen verstehe ich auch so. Die Denunziation epidemiologischer Effektschätzungen als bloß „theoretisches Konstrukt“ hat in den Verharmlosungsdebatten um Risikofaktoren eine lange Tradition. Sie unterstützt individuelle Verdrängungs- und Distanzierungsprozesse nach dem Motto, das hat mit mir nichts zu tun, da haben ein paar Wissenschaftler etwas ausgerechnet, aber keine echten Toten gezählt und am besten glaubt man sowieso nur der Statistik, die man selbst gefälscht hat. So wird Wissenschaft zerstört.
Ich will nicht missverstanden werden: Eine kritische Diskussion zur Belastbarkeit von Studien, die vorzeitige Sterbefälle durch Dieselabgase oder speziell durch NOx auf Bevölkerungsebene abschätzen, ist notwendig. In die Modellrechnungen gehen viele Unsicherheiten ein, die man identifizieren und bewerten sollte. Ebenso wie man die Aussagekraft von „vorzeitigen Sterbefällen“ und anderen Konstrukten in diesem Zusammenhang kritisch reflektieren darf und soll. Aber die Schlussfolgerungen der beiden Referenten klingen nach den aktuellen Debatten doch zu sehr nach abgestandener Luft aus der PR-Stube EUGT. Eine Altlast.
——————————
Update 3.2.2018
Panta rhei. Das Forum der AG Umweltmedizin sieht heute so aus – EUGT-entlastet:
09:00 Fragen an die Zukunft der Mobilität aus umweltmedizinischer Sicht (K. Schmid)
09:15 Forschungsethik und Forschungsdesigns: Was können wir aus der Debatte um Forschungsvorhaben zu Schadstoff-Emissionen am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr lernen? (H. Drexler)
09:30 Die Aachener NO2-Studie: Anlass, Durchführung und Forschungsergebnisse (T. Kraus)
09:45 Perspektiven der weiteren Reduktion gesundheitsrelevanter Dieselabgase (J. Bünger)
10:15 Perspektiven für eine Reduzierung gesundheitsrelevanter Schadstoff-Emissionen im Straßenverkehr (A. Friedrich)
10:45 Diskussion
11:00 Sitzungsende
—————————–
Update 5.3.2018
Panta rhei. Im Forum der AG Umweltmedizin gab es noch eine Änderung:
09:00 Fragen an die Zukunft der Mobilität aus umweltmedizinischer Sicht (K. Schmid)
09:15 Forschungsethik und Forschungsdesigns: Was können wir aus der Debatte um Forschungsvorhaben zu Schadstoff-Emissionen am Arbeitsplatz und im Straßenverkehr lernen? (H. Drexler)
09:30 Die Aachener NO2-Studie: Anlass, Durchführung und Forschungsergebnisse (T. Kraus)
09:45 Perspektiven der weiteren Reduktion gesundheitsrelevanter Dieselabgase (J. Bünger)
10:15 Gesundheitliche Risiken von Stickstoffdioxid im Vergleich zu Feinstaub und anderen verkehrsabhängigen Luftschadstoffen (H.-E. Wichmann)
10:45 Diskussion
11:00 Sitzungsende
Kommentare (46)