Vor kurzem hatten wir hier über ein abstract der Münchner Homöopathin Sigrid Kruse diskutiert, in dem es über angebliche Therapieerfolge mit Homöopathie beim Prader-Willi-Syndrom ging. Jetzt bin ich über einen Artikel von Jens Wurster gestolpert, der in ähnlicher Weise eher als Werbetext denn als wissenschaftlicher Beitrag einzustufen ist. Wurster war hier auf Gesundheits-Check schon mehrfach Thema. Sein neuer Artikel trägt den Titel „Zusatznutzen der Homöopathie in der Onkologie“ und ist in der „Deutschen Zeitschrift für Onkologie“ erschienen. Die Zeitschrift sieht sich nach eigener Aussage als “Fachorgan für komplementäre Onkologie”.* Auch hier erweckt das abstract bei flüchtiger Lektüre den Eindruck, es ginge um eine wissenschaftlich belastbare Studie:
„Weltweit werden onkologische Patienten mithilfe der Homöopathie begleitet, um die Nebenwirkungen der konventionellen Therapien wie Chemotherapien oder Bestrahlungen zu reduzieren. Es zeigt sich, dass Tumorpatienten, die zusätzlich homöopathisch behandelt werden, eine bessere Lebensqualität und ein längeres Gesamtüberleben aufweisen. Studien zur Tumorzellforschung zeigen die Wirkungen homöopathischer Hochpotenzen auf Tumorzelllinien. Tumorhemmende Effekte homöopathischer Mittel werden in vitro wie in vivo nachgewiesen. Komplementärmedizinische Forschungsprojekte (CAMbrella) und Forschungen zu personalisierten Immuntherapien und additiver Homöopathie öffnen den Weg für eine zukünftige integrative Onkologie.“
Dem ist aber nicht so. Wurster stellt zunächst zwei Fallbeispiele vor. Beide Patienten wurden sowohl konventionell als auch homöopathisch behandelt. Wurster präsentiert die Fälle im Stil von Wunderheilungsgeschichten. Beim ersten Patienten, er hatte ein Nasopharynxkarzinom, habe der behandelte Strahlentherapeut gesagt, “er habe so eine schnelle Verbesserung bisher noch nie erlebt.“ (S. 86). Dann wird es dramatisch: „Unter Weiterführung der Therapie mit Conium Q4 kam eines Morgens eine fleischähnliche tumoröse Masse aus seinem Mund. (…) Dies scheint möglicherweise der Primärtumor gewesen zu sein, denn die nachfolgenden PET-Untersuchungen zeigten nun kein aktives Tumorgeschehen mehr.“ (S. 86).
Beim zweiten Fall, einer Patientin mit Plasmocytom, schreite die Krankheit zwar weiter voran, aber die Patientin sei beschwerdefrei, jogge und habe angefangen zu rudern (S. 88). Wurster schreibt, es gäbe „beim fortgeschrittenen Plasmocytom praktisch keine 5-Jahres-Überlebensrate“, deswegen sei das Überleben (er berichtet von über 10 Jahren) „umso erstaunlicher (S. 88). Das RKI gibt im Bericht „Krebs in Deutschland für 2013/2014 die relative 5-Jahres-Überlebensrate (allerdings stadienunabhängig) mit knapp 50 % an und schreibt: „Die Krankheit kann in manchen Fällen jedoch auch relativ lange symptomarm verlaufen, unter Therapie sind vorübergehende Remissionen möglich.“
Mit solchen Fallbeispielen ist einfach nichts anzufangen. Selbst wenn die Verlaufsbeschreibung so stimmt, lässt sich daraus über den Effekt der homöopathischen Behandlung nichts ableiten. Wurster macht nicht ansatzweise den Versuch, seine Interpretation kritisch zu hinterfragen, wie es im Diskussionsteil eines seriösen Artikels geboten wäre. Vielmehr spricht er nach den beiden Fallbespielen wie in einer Stammtischplauderei Einwände von Homöopathiekritikern an, verweist auf Beispiele, in denen inzwischen in Kliniken Tumorpatienten homöopathisch behandelt werden, auch Sigrid Kruse an der LMU München wird erwähnt (S. 89), wirbt für Krebsprävention durch Homöopathie (S. 89), kommt auf die berüchtigten Banerji-Protokolle zu sprechen, die den Effekt von homöopathischen Hochpotenzen an Tumorzelllinien zeigen würden (s. 90) und berichtet nebenbei noch einen Fall eines fortgeschrittenen Bauchfellmesothelioms, den er „nur mit Hilfe der Homöopathie heilen konnte“ (S. 90): „Die Patientin ist Dank der Homöopathie nun völlig gesund und hat inzwischen zwei gesunde Kinder“ (S. 90). Als Referenz wird https://www.https.com//www.dzvhae.de/homoeopathie-/-1-191.html angegeben, klickt man die URL an, kommt eine 404-Fehlermeldung. Sicherheitshalber betont er auf der gleichen Seite, dass man natürlich nur „eine begleitende homöopathische Therapie“ empfehle – es sei denn, die schulmedizinischen Möglichkeiten seien ausgeschöpft.
Ob Wurster selbst glaubt, was er schreibt, weiß ich nicht, vermutlich ja, aber das macht die Dinge nicht besser und aus seinem Artikel keinen wissenschaftlich akzeptablen Beitrag. Es wird trotzdem sicher nicht lange dauern, bis dieser Artikel als Referenz in anderen Artikeln zitiert wird. Die homöopathische Evidenz ist schließlich gegeben. Für Patienten, die verzweifelt nach Hilfe suchen, sind solche Texte Erlösungsversprechen, für leichtgläubige Therapeuten bieten sie Gewissenserleichterung oder Ermutigung durch scheinbare wissenschaftliche Bestätigung – zielgruppenspezifische Werbung par excellence.
—————–
* Edit 14.7.2018: Den ursprünglichen Satz zur Zeitschrift habe ich durch die Selbstaussage des Verlags ersetzt.
Kommentare (12)