Vor eineinhalb Jahren hatte ich hier auf Gesundheits-Check eine Veröffentlichung des Arztes Jens Wurster kommentiert. Jens Wurster behandelt in der Schweiz Krebspatient/innen homöopathisch und gilt der Homöopathieszene als Krebs-Guru. Selbst ansonsten halbwegs vernünftige Homöopathen weichen einem Gespräch über Wurster gerne aus, er genießt Narrenfreiheit im Binnenkonsens.
Die damals diskutierte Publikation bestand aus zwei höchst merkwürdigen Fallbeispielen und reichlich Apologetik gegenüber der Homöopathiekritik. Von der Diskussion über Limitationen, wie in wissenschaftlichen Artikeln unverzichtbar und üblich, keine Spur. Publikationsort war die „Zeitschrift für Onkologie“, die von Prof. Büssing, Witten/Herdecke, und Dr. Holzhauer, Bad Trissl und München, herausgegeben wird. Ich habe schon damals nicht verstanden, wie man einen solchen Artikel in einer Zeitschrift veröffentlichen kann, die wissenschaftlich ernst genommen werden möchte.
Norbert Aust, Edzard Ernst, Natalie Grams, Jutta Hübner, Norbert Schmacke, Bettina Schöne-Seifert hatten daraufhin einen kritischen Leserbrief zu diesem Artikel bei der gleichen Zeitschrift eingereicht, der auch abgedruckt wurde. Das Autorenteam hat Gewicht: Jutta Hübner ist Professorin für Komplementärmedizin in der Onkologie, Bettina Schöne-Seifert Professorin für Medizinethik, Norbert Schmacke, Professor in Bremen, hat sich einen Namen als Medizin- und Pharmakritiker gemacht, Edzard Ernst hatte eine Professur für Komplementärmedizin in Exeter und viel zu alternativmedizinischen Methoden geforscht, Natalie Grams war Homöopathin und weiß aus eigener Praxis, wovon sie spricht und Norbert Aust schaut als Fachmann für Qualitätsfragen in der industriellen Produktion mit einem ganz eigenen Blick auf die Herstellung homöopathischer Mittel und hat über die Jahre die Untiefen homöopathischer Studien wie kaum ein zweiter lesen gelernt. Ihre Kritik sollte man also nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der Leserbrief endete mit einer Frage an den wissenschaftlichen und wissenschaftsethischen Anspruch der Zeitschrift:
„Mit diesem Artikel wurde also kein wissenschaftlicher Beitrag zur Diskussion um die Homöopathie in der Onkologie publiziert, sondern lediglich ein Werbebeitrag. Die dargelegte Evidenz ist noch nicht einmal vorläufig. (…) Auf diese Weise wird schwerkranken Menschen suggeriert, eine auf im Sub-Milligramm-Bereich dosierten Verdunstungsrückständen von geschütteltem Wasser oder Alkohol auf Zucker basierende Therapie könne eine wirksame Hilfe darstellen. Es sei an Ihre Ethik und Konsequenz als Herausgeber appelliert, ob dies in Ihrer Zeitschrift so stehen bleiben kann.“
Die beiden Herausgeber haben dem einen Kommentar beigegeben:
„Als Herausgeberteam sehen wir es als unsere Aufgabe an, zu einem kritischen Diskurs auch kontroverser Themen beizutragen. Daher veröffentlichen wir gerne diesen Leserbrief. Eigentlich war es unser Ziel gewesen, zu dem Thema Homöopathie in der Onkologie im Sinne eines „Pro und Contra“ Experten für die Gegenposition einzuladen. Zwei derjenigen, die dann leider abgesagt haben, sind nun Unterzeichner des Leserbriefes. Wir hatten uns dennoch für die Veröffentlichung des Erfahrungsberichtes entschlossen, da wir unseren Lesern eine eigenständige, reflektierte Meinungsbildung zutrauen.“
Eine eigene Position wollten sie ganz offensichtlich nicht beziehen, obwohl das in dem Fall doch hätte leichtfallen sollen. Der Artikel von Wurster erfüllt nicht einmal formal die Mindestanforderungen an einen wissenschaftlichen Artikel. Aber wie gesagt, Jens Wurster genießt offenkundig Narrenfreiheit im Binnenkonsens.
Gut, man will sich als Herausgeber vielleicht nicht die Blöße geben, Mist gedruckt zu haben. Im Prinzip hätte es damit gut sein können, also halbwegs gut. Aber warum wurde in Heft 4/2018 der Zeitschrift eine Replik von Jens Wurster und Michael Frass auf den Leserbrief von Aust et al. veröffentlicht? Frass, das nur zur Erläuterung, hatte etwa zur gleichen Zeit wie Wurster einen Werbeartikel zur Homöopathie in der Zeitschrift für Palliativmedizin veröffentlicht, in der danach ebenfalls eine Kritik durch Hübner, Aust und Keinki abgedruckt wurde. Frass und Wurster hatten aus ihrer Sicht damit vermutlich eine Rechnung mit der Homöopathiekritik offen und die Zeitschrift für Onkologie war sich nicht zu fein, dafür die Bühne zu bieten.
Die Replik von Wurster/Frass ist denn auch vor allem ein Armutszeugnis für diese Zeitschrift. Es scheint dort keinerlei Qualitätsmaßstäbe zu geben. Wenn man schon durch den Leserbrief von Aust et al. auf die wissenschaftlich unhaltbaren Äußerungen von Jens Wurster hingewiesen wurde, hätte man doch die Replik der beiden Homöopathen wenigstens sorgfältig gegenlesen müssen, statt sie einfach abzudrucken.
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