Vor ein paar Tagen habe ich auf das Buch von Laura Spinney über die Spanische Grippe 1918 hingewiesen und auf den Untertitel des Buches: „Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte“.

Wir erleben gerade, wie das Coronavirus und die Reaktionen darauf die Gesellschaft verändern. Zumindest vorübergehend. Dabei geht es auch um das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Damit will ich nicht die antidemokratischen Reflexe mancher Leute ansprechen, die meinen, autoritäre Staaten wie China oder autoritäre Führer wie Trump würden gerade besonders erfolgreiche Politik machen. Hätte China anfangs nicht unterdrückt, was in der Provinz Hubei vorging, hätten wir vielleicht jetzt alle kein Problem, und Trumps bisher herausragendste Tat in der Geschichte war ebenfalls das Herunterspielen und Verharmlosen der Entwicklung im eigenen Land.

Darum geht es mir nicht. Das entschiedenere Eingreifen der Politik, das viele Menschen angesichts der Verbreitung des Virus gefordert haben, sei es mit Blick auf die angeblichen Erfolge drakonischer Maßnahmen in China, sei es mit Blick auf bewährte Strategien der Seuchenbekämpfung („social distancing“), findet gerade statt. Schulen werden geschlossen, die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt, die Geschäftstätigkeit vieler Betriebe auf Eis gelegt, von Fluggesellschaften über das Gastgewerbe bis hin zum Sport. Der Effekt ist eine Disruption der damit verbundenen kapillaren gesellschaftlicher Strukturen. Die Maßnahmen haben Folgewirkungen. Wenn Schulen schließen, müssen Eltern schauen, wie sie ihre Kinder alternativ betreuen können. Wenn sie zuhause bleiben, müssen ihre Arbeitgeber schauen, wie sich das organisieren lässt und wie sie insgesamt über die Runden kommen. Der Staat bietet zur Beschäftigungssicherung erweiterte Kurzarbeitsregelungen an. Die wiederum helfen den Selbständigen nicht, auch nicht den vielen Freelancern, die in manchen Branchen, z.B. dem Kulturbetrieb, eine große Rolle spielen, und auch nicht den Pseudo-Selbständigen, die die Wirtschaft in den letzten Jahren so gerne eingesetzt hat, um möglichst große Flexibilität mit geringen Sozialabgaben zu kombinieren.

Das Aufzählen ließe sich fortsetzen. Mit der Umsetzung einer konsequenten Seuchenbekämpfung wird, anders als wenn nur darüber diskutiert wird, konkret erfahrbar, welche Kollateralschäden damit verbunden sind. Die Frage ist: In welchem Umfang, bis in welche Verästelung der Nachwirkungen hinein, soll der Staat die Folgen auffangen? Kann er das überhaupt? „Whatever it takes“ hat die deutsche Politik den Satz Mario Draghis in der Eurokrise 2012 kopiert. Aber reicht es in diesem Fall, nur unbegrenzt Geld bereitzustellen? Oder müsste der Staat hier für eine wirksame Kompensation über ein Detail-Wissen über die Folgen seines Handelns verfügen, das Liberale wie beispielsweise Friedrich von Hayek ihm nie zugetraut haben: Aus einer Zentralplanungsperspektive erkennen, was normalerweise die Selbstorganisation der Märkte und des Alltagslebens zustande bringt? Wäre das nicht eine „Anmaßung des Wissens“, um eine Formel Hayeks zu gebrauchen? Müssen die Menschen also jetzt konsequenterweise damit leben, dass der Staat nicht alles ausgleichen kann, was Seuchenbekämpfungsmaßnahmen an gesellschaftlicher Disruption auslösen? Und sollten daher die, die zu anderen Zeiten mehr Staat und weniger Markt verlangen, noch einmal nachdenken?

Umgekehrt: Wenn die, die sonst möglichst wenig Staat wollten, die die öffentliche Infrastruktur einschließlich der Gesundheitsämter über Jahrzehnte geschliffen haben, jetzt fordern, eben dieser Staat müsse die Organisationsleistungen erbringen, die er angeblich nicht erbringen kann, erinnert das nicht an eine andere Galionsfigur des radikalen Liberalismus, Ayn Rand, die zeitlebens alle staatlichen Sozialleistungen abgelehnt hat, aber ihren Lungenkrebs „unter falschem Namen und auf Kosten der staatlichen Sozialversicherung“ operieren ließ?

Was also lehrt uns die Coronakrise über das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit – und zwar nicht ausgehend von ideologischen Debatten über angeblich effizientere autoritäre Regime, sondern ausgehend vom Lehrstoff der jetzt sichtbaren Auswirkungen von durchgreifenden Entscheidungen? Die nächsten Tage werden noch viel mehr Lehrstoff liefern.

Kommentare (18)

  1. #1 Tim
    16. März 2020

    In der Krise besinnen sich die Menschen und erwarten vom Staat, dass er seine Kernaufgaben erfüllt. Ob ihm das in der Corona-Krise gelingt, wird man erst nachher sagen können. Ich glaube aber, wir werden nachträglich ein massives Staatsversagen feststellen. Von unseren Gesundheitsbehörden hätte ich dasselbe frühe und systematische Vorgehen wie z.B. von Taiwan erwartet. Die Reaktionen deutscher Behörden kamen spät, unkoordiniert und planlos. Hat man aus der SARS-Krise nichts gelernt? Gibt es im Bundesgesundheitsministerium keine abgestuften Katastrophenpläne für solche Fälle, die man nur aktivieren und systematisch abarbeiten muss?

    Von einem modernen, leistungsfähigen Staat erwarte ich, dass er seine Kernaufgaben optimal erfüllt. Nicht mehr und nicht weniger. Zählen Milliardensubventionen für Unternehmen, der Betrieb von Opernhäusern und die Steuerfinanzierung extrem umweltschädlicher Autobahnen zu seinen Kernaufgaben? Sicher nicht.

    In Kürze wird auch die Euro-Krise wieder auf der Tagesordnung sein, da die Verschuldung von Staaten wie Frankreich, Spanien, Italien oder gar Griechenland natürlich immer noch viel zu hoch ist und diese Staaten keine massive Wirtschaftskrise verkraften können. Die Zeit seit der Euro-Krise I wurde extrem schlecht genutzt. Wir haben uns verhalten, als gäbe es immer nur Sonnenschein. Die Rache der Realität wird hart und nachhaltig sein. Darunter werden vor allem die Armen, Schwachen und Kranken leiden.

    Vielleicht sollten die europäischen Staaten nun einmal die Augen öffnen und schauen, wie man staatliche Leistung heute effizient organisieren kann. Taiwan wäre vielleicht kein schlechtes Anschauungsbeispiel.

  2. #2 shader
    16. März 2020

    Wenn die Gesundheit und das Leben über die Jahre immer wichtiger geworden ist, dann werden wir nicht umhinkommen, mehr Geld für unser Gesundheitssystem auszugeben, auch um Kapazitäten bereitzuhalten. Ich habe nie verstanden, warum es über Jahre bei den Krankenkassenbeiträgen hieß, nicht über x% zu gehen. Wenn die NATO fordern kann, 2% unseres Haushalts für Verteidigung auszugeben, dann kann man auch eine Steigerung bei der Gesundheit fordern.

    Ehrlich gesagt wünsche ich mir von den Politikern zu hören “wir schaffen das”. Es wird immer nur der eine Teil gesagt “die Lage ist ernst”. Mir fehlt hingegen “wenn wir alle anpacken, dann werden wir viele Menschenleben retten”. Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll.

    Ich staune gerade, wie “gelassen” meine Eltern mit der Situation umgehen. Gut, sie müssen nicht mehr arbeiten und haben wenig Probleme, ihre sozialen Kontakte einzuschränken. Sie haben auch eine Menge erlebt, den zweiten Weltkrieg, 40 Jahre DDR, die Wende. Aber diese Gelassenheit baut mich gerade ein bissel auf.

  3. #3 Tim
    16. März 2020

    @ shader

    Ich habe nie verstanden, warum es über Jahre bei den Krankenkassenbeiträgen hieß, nicht über x% zu gehen

    Das will mir auch nicht in den Kopf. In jeder Branche sind steigende Umsätze ein positives Zeichen, nur im Gesundheitsbereich zwingt der Staat den meisten Patienten einen Deckel auf. Daraus ergeben sich viele der Probleme, die wir in Praxen und Krankenhäusern erleben.

    In diesem Chat werden es die meisten nicht gern hören, aber mehr Entscheidungsfreiheit für die Patienten muss Teil der Lösung sein. Statt mehr zentral vorzugeben, müssen auch die Krankenkassen mehr Entscheidungsbefugnisse erhalten. Wir brauchen einfach mehr Experimente im Gesundheitssystem. Unser heutiges System ist weitgehend in Beton gegossen.

  4. #4 libertador
    16. März 2020

    In Krisen sieht man wie wichtig gute Organisation und Verwaltung sind. Dafür kann die jetzige Krise eine Lehre sein, damit alle Akteure darauf besser vorbereitet sind. In Planspielen lässt sich das zwar für spezialisierte Menschen durchspielen, aber die erreicht nicht alle Beteiligten und in der jeweiligen Situation ergeben sich Besonderheiten auf die reagiert werden muss. Natürlich kann man jetzt sagen, die europäischen Staaten hätten sich besser vorbereiten müssen (stimmt auch in Teilen), aber es ist verdammt schwer etwas zu planen, dass bisher nicht aufgetreten ist. Sowohl inhaltlich (was ist alles wichtig) als auch politisch (warum ist das wichtig).

    In meinem Umfeld kann ich zum Beispiel von den Schulen berichten:

    Am Freitag Mittag als viele Schüler schon weg waren, wurde beschlossen die Schulen hier ab Montag zu schließen, die Beschulung aber fortzusetzen. Über das Wochenende kamen immer wieder andere Anordnungen bezüglich der Möglichkeit für Prüfungen, Fortbildungen und so weiter.
    Dies zeigt die Krux, dass Entscheidungen manchmal hinausgezögert werden, dann aber ab sofort gelten, ohne einzuplanen, dass man sich darauf vorbereiten muss. Zum Beispiel muss der Zugang der Schüler zum elektronischen Unterrichtssystem sichergestellt werden, wenn dies nicht regelmäßig genutzt wird, und diese Systeme sind nicht darauf ausgelegt, dass alle Schüler auf einmal darauf zugreifen. Die Lehrer sind daneben in der plötzlichen Rolle ihren Unterricht umgestalten zu müssen und das für alle Klassen. Das positive ist auch hier, dass hier alle neues lernen können und so in Zukunft flexibler sein können, wenn alles jetzt umgesetzt wird.

  5. #5 zimtspinne
    16. März 2020

    @ Tim

    .. und was meinst du da jetzt genau mit mehr Entscheidungsfreiheit für die Patienten?
    Das ist ja sehr allgemein gehalten und ich kann mir alles und nichts darunter vorstellen.

    Außerdem geben viele Leute schon in völlig privaten Entscheidungen unheimlich viel Geld für Lebensverlängerung bei möglichst viel Restgesundheit aus.
    Von Ernährung (alles Bio oder was) über Nahrungsergänzungsmittel bis alles, was so unter Lebensstiloptimierung fällt.
    Wenn man dann doch als solche Person mal krank ist, erwartet man natürlich die besten Therapieoptionen und nicht mittelmäßige bis schlechte oder gar keine (Brillen! Zahnersatz! Stecken ja auch gewissermaßen Krankheiten/Altersverschleiß dahinter).

    Und ja, ich gebe auch zu, manchmal macht es mich auch sauer, wenn einerseits da Menschen sind, die aus eigenem Antrieb und Motivation was tun, und dann sind da haufenweise Menschen, die wegen absoluter Schluderei schon mit Anfang 30 Bluthochdruck, Altersdiabetes und sonstwas haben, was zum Großteil ganz sicher an ihrem Lebensstil liegt.
    Es darf natürlich jeder so mit seinen Lebensjahren und Grundkapital an Gesundheit umgehen, wie er will. Solange er nicht andere damit schädigt (Passivrauch/Tertiärrauch).
    Nur sollte eben gesundheitsaposteliges Verhalten auch irgendwie stärker oder überhaupt belohnt werden.
    Da kriegen viele (user unknown 😉 ) natürlich dann gleich wieder Schnappatmung, ist ja aber in anderen Bereichen des Lebens auch so.

  6. #6 Tim
    16. März 2020

    @ zimtspinne

    .. und was meinst du da jetzt genau mit mehr Entscheidungsfreiheit für die Patienten?

    Momentan haben die meisten Leute praktisch gar keine Entscheidungsmöglichkeit. Sie müssen Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sein, und deren Leistungen sind zu fast 100 % gesetzlich festgelegt. Wenn man das aufbricht, ist schon viel gewonnen.

    Wenn Du mich nach einer Wunschvorstellung für möglichst viel Bewegung und A/B-Tests im Gesundheitsmarkt fragst, dann hätte ich folgende: Der Unterschied zwischen PKV und GKV wird aufgehoben. Zukünftige Krankenversicherungen haben viel mehr Spielraum bei ihren Leistungen, ihren Tarifen und auch der Art ihrer Leistungserbringung. Warum z.B. nicht auch Versicherungen zulassen, die selbst Praxen und/oder Kliniken betreiben? Oder eine Versicherung, die bei normalen Erkältungen grundsätzlich keine Behandlungskosten übernimmt? Man kann sich da viel überlegen, und in einem freieren System werden wir schnell viele konkurrierende Ideen sehen.

    Wir möchten natürlich, dass sich alle Menschen versichern können, darum könnten Gebietskörperschaften vielleicht Rahmenverträge mit Versicherungen aushandeln, die dann alle ihre Bürger nutzen können. Auf diese Weise kann man die Vorzüge eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs mit sozialstaatlichen Ansprüchen kombinieren.

    Sowas in der Art.

  7. #7 zimtspinne
    16. März 2020

    “die bei normalen Erkältungen grundsätzlich keine Behandlungskosten übernimmt”

    Da bekomme ich ja schon Bauchschmerzen.
    Wie schnell wird aus einer harmlosen Erkältung eine Lungenentzündung oder es gibt Folgeerkrkankungen, gerade auch, wenn ein an sich harmloser grippaler Infekt nicht richtig auskuriert wird….
    Wer übernimmt das dann?
    Ich selbst, weil selbst schuld, wenn ich mich nicht richtig auskuriere und daraufhin eine Herzmuskelentzündung bekomme?
    Vielleicht warte ich auch noch länger als eh schon mit dem Arztbesuch, weil ich hoffe, das schafft mein Immunsystem schon selbst…. und dann dauert die Geschichte vielleicht entsprechend länger, ich bin länger krankgeschrieben und das darf dann der AG finanzieren?
    Mal angenommen, ich bin gerade knapp bei Kasse oder brauche das Geld anderweitig (oder glaube, es andereweitig zu brauchen), will also die Kosten für Medikamente drücken oder mir ganz sparen und … siehe oben.
    Wer natürlich fast nie die üblichen Infektionen bekommt, für den wäre das attraktiv, wenn es mit entsprechenden Vorteilen gekoppelt wäre. Blöd nur, wenn sich die Sache ändert und diese Person plötzlich viel anfälliger wird, warum auch immer.

    Man könnte erstmal anfangen, ganz woanders zu sparen, wo wirklich überflüssig viel Geld zum Fenster rausgeworfen wird, weil die Strukturen es zulassen oder gar verlangen.
    Dabei sind einige sehr heise Eisen, aber auch die könnte man mal langsam anpacken.

  8. #8 RainerO
    16. März 2020

    @ Tim
    Diese Ideen führen zu teuren Luxusversicherungen für Besserverdiener und Brot-und-Butter-Basisversicherungen für den Rest, der dann noch weniger Leistungen wie jetzt bekommt, weil die Beiträge der Reichen wegfallen.
    Wie “gut” so etwas funktioniert, sieht man ja in den USA.

  9. #9 Titus von Unhold
    16. März 2020

    “Die Reaktionen deutscher Behörden kamen spät, unkoordiniert und planlos.”

    Ich bin seit 17 Jahren in der Feuerwehr, davon seit sechs Jahren im Stab auf Kreisebene. Das Handeln der beteiligten Behörden war bisher absolut akurat und sogar weit früher als die Pandemiepläne es eigentlich vorsehen würden. Bestimmte Entscheidungen hängen jedoch von den Wahlbeamten an der Behördenspitze ab – und die hören auf Epidemiologen, Hygieniker und Virologen. Und allen muss man zu gute halten: Sie machen das gerade zum ersten mal mit.

  10. #10 RainerO
    16. März 2020

    @ Tim
    Ach ja, bevor ich es vergesse:

    Die Reaktionen deutscher Behörden kamen spät, unkoordiniert und planlos.

    Entferne er sich zum Zwecke des Ausscheidens fester Verdauungsreste! *)

    *) Übersetzung aus dem Wienerischen

  11. #11 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2020/03/16/verbrauchertipps-corona-17/
    17. März 2020

    Ja, super Idee, bei einfacher Erkältung geht man, weil man nicht entsprechend krankenversichert ist, nicht zum Arzt, sondern weiter zur Arbeit. Da steckt man dann einen Teil der Kollegen an – vielleicht sind die ja versichert.
    Oder es ist was ernstes wie Corona, aber kann man sich gar nicht leisten, sich testen zu lassen und spekuliert auf “vielleicht doch nur ‘ne Erkältung” oder “vielleicht bei mir ein harmloser Verlauf”.

    Oder das ist alles in der Basisversorgung drin, dann landen wir da, wo wir schon sind, überall das gleiche Angebot, außer dass die einen noch Homöopathie zahlen, weil das eine zahlungsfreudige Klientel ist, die auch sonst jeden Scheiß mitmacht, der irgendwelche Heilsversprechen macht, darunter sogar ein, zwei sinnvollen Ratschlägen zu folgen, wie Vitamine futtern und Sport treiben.

  12. #12 Joseph Kuhn
    17. März 2020

    @ Tim:

    Man kann sich zur Reform der Krankenversicherung vieles überlegen und das Nebeneinander von GKV und PKV als Vollversicherungsangebote, was weltweit ziemlich einmalig ist, ist sicher nicht besonders klug – aber das ist ein politisches Minenfeld.

    Ansonsten kann man auch jetzt schon bei den Versicherungsleistungen differenzieren, die GKV sichert ja im Prinzip “nur” das ab, was medizinisch notwendig ist (dass man darüber streiten kann, was dazu zählt, ist eine wieder andere Geschichte). Niemand wird daran gehindert, Zusatzversicherungen für weitere Leistungen abzuschließen und viele tun das auch. Im Bereich der Homöopathie wurden in der GKV Wahltarife übrigens vor nicht allzu langer Zeit abgeschafft, weil sie nicht in Anspruch genommen wurden (die Homöopathen wollten die Homöopathie lieber als Satzungsleistung, d.h. von allen finanziert).

    Auf die Problematik, wenn man die Krankenversicherungspflicht ganz aufhebt oder das medizinisch Notwendige nicht mehr damit abgedeckt, hat user unknown am Beispiel der Erkältungskrankheiten schon hingewiesen. Es zeigt sehr schön, dass es auch ökonomisch Sinn macht, das medizinisch Notwendige kollektiv abzusichern, weil die Folgen sonst der Gemeinschaft auf anderem Wege zur Last fallen.

  13. #13 Tim
    17. März 2020

    @ alle

    Wie ich schon schrieb, wäre es problemlos möglich, dass Gebietskörperschaften Rahmenverträge für ihre Bürger bei Versicherungen abschließen. Es ist doch völlig klar, dass wir nicht wieder ein Zwei-Klassen-System haben möchten.

    Im Gesundheitssystem gilt aber noch stärker als in anderen Bereichen die normative Kraft des Faktischen. Alles, was neu ist, ist erst mal schlecht. Bei jeder Idee findet man schnell einen Pferdefuß, also lieber nicht ausprobieren! Und auch andere nicht ausprobieren lassen!

    Zudem haben Marktwirtschaft und Wettbewerbsdenken es allgemein schwer, ganz besonders aber im Gesundheitswesen. Dabei kommt es doch darauf an, sich die positiven Wirkungen eines gesunden Wettbewerbs zunutze zu machen. Mit vernünftigen Rahmenbedingungen gelingt das. Wenn allerdings irgend jemand irgendwo “Marktwirtschaft” schreibt, lesen alle gleich “Turbokapitalismus”. Das macht es sehr schwer, über diese Themen vernünftig zu debattieren.

    Das Gesundheitssystem ist eben Deutschland en miniature.

  14. #14 Tim
    17. März 2020

    @ Titus von Unhold

    Und allen muss man zu gute halten: Sie machen das gerade zum ersten mal mit.

    Das tun wir alle. Und ich finde, die Öffentlichkeit verdient ein Lob. Die Bürger sind viel weniger panisch, als ich bei unserer sonst etwas hysterischen Gesellschaft erwartet hätte.

    Hätten wir aber vor 6 Wochen schneller und strenger reagiert, würden wir jetzt aber viel besser dastehen. Von Experten erwarte ich, dass sie gerade bei einem solchen Thema vorausschauender handeln.

    Dass die Weltwirtschaft vernetzt ist und es sehr viele enge Kontakte zu China gibt, hätte ja nun wirklich niemanden überraschen dürfen. Dass es Flugzeuge gibt, auch nicht. Dass sich ein neues Virus verbreitet, auch nicht. Wenn man sich so manche RKI-Verlautbarung von vor 2 Wochen anschaut, kann man schon ins Grübeln kommen, wie gut die Risikoeinschätzung dieser Leute eigentlich ist.

    Dies wird bei einigen Leuten wieder dazu führen, dass sie das Vertrauen in die Wissenschaft und die Wissenschaftler verlieren.

  15. #15 ralph
    19. März 2020

    “Hätten wir aber vor 6 Wochen schneller und strenger reagiert, würden wir jetzt aber viel besser dastehen.”

    Nur theoretisch. Praktisch bezweifle ich das. Warum?
    In Ländern wie Taiwan, Südkorea und Vietnam hatte die Bevölkerung leider einschlägige Seuchenerfahrung aus den letzten Jahrzehnten und war für dieses Problem hoch sensibilisiert. Dort fallen drastische, den Alltag einschneidende Massnahmen auf ein breites Verständnis in der Bevölkerung. Und ohne das, ist jede Vorschrift, die als Gängelung und übertrieben empfunden wird, eine sehr stumpfe Waffe.

  16. #16 ralph
    19. März 2020

    In Südkorea verwendete man ganz selbstverständlich Big Data, um eine bereits kritische Verbreitung doch noch abzubremsen. Jede Person, welche sich durch ausgewertete Bewegunsdaten oder Flugreisenchecks in einer kritischen Region aufgehalten hatte, wurde umgehend benachrichtigt und zu Test und freiwilliger Isolation aufgefordert. In Krisenzeiten bewährt sich pragmatisches Denken und Handeln, die Grundsatzdiskussionen werden erstmal verschoben.

  17. #17 Tim
    19. März 2020

    @ ralph

    In Ländern wie Taiwan, Südkorea und Vietnam hatte die Bevölkerung leider einschlägige Seuchenerfahrung aus den letzten Jahrzehnten und war für dieses Problem hoch sensibilisiert.

    Ich erwarte nicht, dass die deutsche Bevölkerung nach SARS & Co. dafür übermäßig sensibilisiert ist. Ich erwarte, dass die entsprechenden Behörden dafür sensibilisiert sind und vorausschauend handeln.

  18. #18 shader
    19. März 2020

    “Ich erwarte nicht, dass die deutsche Bevölkerung nach SARS & Co. dafür übermäßig sensibilisiert ist. Ich erwarte, dass die entsprechenden Behörden dafür sensibilisiert sind und vorausschauend handeln.”

    In Südkorea usw. ist beides vorhanden, Bewusstsein für die Behörden und Bewusstsein für die Bevölkerung. Dieses Bewusstsein war auch in Deutschland im 20.Jahrhundert vorhanden. Beispiel Typhus, spanische Grippe, Hongkong-Grippe, HIV. Aber das ist schon länger her.