Das Deutsche Ärzteblatt meldet heute, dass Kinder aus sozial schwachen Familien kleiner sind als Kinder aus wohlhabenden Familien.

Die Meldung beruht auf einer Studie von Jörg Baten von der Universität Tübingen und Andreas Böhm, zum Zeitpunkt der Studie beim Landesgesundheitsamt Brandenburg, heute arbeitet er im Brandenburger Gesundheitsministerium (Baten J, Böhm A (2010): Trends of Children’s Height and Parental Unemployment: A Large-Scale Anthropometric Study on Eastern Germany, 1994-2006. German Economic Review 11-1: 1-24).

Historiker haben bei Untersuchungen zur sog. Akzeleration, also der Zunahme des Größenwachstums der Menschen von Generation zu Generation, schon länger auf den Zusammenhang von Wohlstand und Körpergröße hingewiesen. Zum Beispiel waren die Menschen im Mittelalter noch deutlich kleiner als heute. Als ein Faktor wird die Ernährung genannt.

Interessant ist, dass dieser Zusammenhang auch in historisch relativ kurzen Zeiträumen wirksam und nachweisbar ist. Baten und Böhm haben Daten der Brandenburger Einschulungskinder aus den Jahren 1994 bis 2006 untersucht und dabei die Körpergröße mit Sozialmerkmalen korreliert. Das Ausbildungsniveau der Mutter und die Arbeitslosigkeit haben demnach einen deutlichen Einfluss auf das Größenwachstum der Kinder, auch wenn andere Einflussfaktoren statistisch kontrolliert werden. Die Studie zeigt außerdem, dass die Schuleingangsuntersuchungen auch wissenschaftlich einiges zu bieten haben – wenn jemand etwas mit den Daten macht und sie nicht nur in die Schublade packt. Allein die Fallzahlen: Hier wurden Daten von über 250.000 Kindern ausgewertet, davon können viele Forscher sonst nur träumen.

Was die Studie vom Design her nicht leisten kann, ist eine kausale Erklärung des festgestellten Zusammenhangs. Da eine Mangelernährung von Kindern in Brandenburg in den Jahren 1994 bis 2006 eher unwahrscheinlich ist, fragt sich, welche biologischen Mechanismen übersetzen die schlechtere soziale Lage der Brandenburger Kinder in eine geringere Körpergröße? Stress behindert das Wachstum. Lässt etwa auch sozial bedingter Stress Kinder kleiner bleiben?

Kommentare (26)

  1. #1 roel
    3. Januar 2012
  2. #2 Joseph Kuhn
    3. Januar 2012

    @ roel: Danke, wie immer gut verlinkt 😉

  3. #3 roel
    3. Januar 2012

    @Joseph Kuhn: gern geschehen.

  4. #4 cygo
    4. Januar 2012

    Hab die Quelle nicht mehr parat, aber es gibt doch auch Studien, die besagen, dass größere Menschen (wie übrigends auch schönere) im Durchschnitt mehr verdienen als kleinere.
    Dass das dann andersherum wieder bei den Kindern vermögenderer (und wahrscheinlich dann auch größerer) Eltern zu sehen ist, wundert einen dann wenig.

  5. #5 Christian
    4. Januar 2012

    Da gibt’s ja auch Vergleiche zwischen u.a. Nord- und Südkoreanern.

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,332605,00.html

  6. #6 Joseph Kuhn
    4. Januar 2012

    @cygo: Ja, dazu gibt es eine ganze Reihe von Studien, international und national. In Deutschland haben z.B. Guido Heineck oder Olaf Hübler mit Daten des Sozioökonomischen Panels zu diesem Thema gearbeitet. Dabei stellt sich in der Analyse von Hübler der Zusammenhang zwischen Größe und Einkommen übrigens nicht als linear und nicht als geschlechterhomogen dar.

    Wenn die Körpergröße der Eltern das “missing link” darstellt (ein Merkmal, das in den Schuleingangsuntersuchungen nicht erhoben werden kann – eine Restriktion der Nutzung von Sekundärdaten), kämen ein Selektionseffekt und – ggf. zusätzlich – ein biologischer Effekt als Erklärungsmomente für die soziale Schichtung der Körpergröße der Kinder infrage. Die Autoren diskutieren das am Ende ihres Papiers selbst kurz mit Blick auf die Epigenetik.

    Die Brandenburger Daten zeigen allerdings nicht nur eine soziale Schichtung der Körpergröße der Kinder, sondern auch eine sehr kurzfristige zeitliche Dynamik zur Akzeleration. Ob der Arbeitsmarkt die Eltern so kurzfristig nach Körpergröße selektiert? Auf jeden Fall gilt: Die Körpergröße der Eltern wäre wichtig.

  7. #7 Chris
    4. Januar 2012

    ist eine kausale Erklärung des festgestellten Zusammenhangs

    Das ist jetzt aber etwas unglücklich formuliert. Sie haben ja eben keinen Zusammenhang festgestellt, sonder nur eine Korrelation. Ist zwar ein wenig Erbsenzählerei, aber das ist mE ein weit verbreitetes Problem, ich sage nur Storche und Kinder.

    Sie suchen ja nach einer Kausalität, einem Zusammenhang.

  8. #8 roel
    4. Januar 2012

    @Chris der Satz heißt in Gänze: “Was die Studie vom Design her nicht leisten kann, ist eine kausale Erklärung des festgestellten Zusammenhangs.”

  9. #9 Andrea N.D.
    4. Januar 2012

    @Joseph Kuhn:
    “The main finding of this study is that, somewhat contrary to our expectations, unemployment
    mattered for the height of young children in Eastern Germany, 1994-2006. Our result that
    parental unemployment renders children between one and two centimeters shorter, even after
    controlling for a number of other potential determinants, has substantial economic, political
    and social implications.”

    Ich frage mich, wie “Kausalität” definiert wird (“that parental unemployment renders children between one and two cenitmeters shorter”). Zunächst wird ein Zusammenhang zwischen Größe und Ernährung/Gesundheitspflege angenommen. Dann wird die Ernährung ausgeschlossen – offensichtlich wurde u.a. das nicht berücksichtigt:
    https://www.buendnis-gesund-aufwachsen.de/fileadmin/redaktion/dokumente/AG_BESt/Protokolle_AG_BESt/09-05-19_protokoll/Anlage_2.pdf

    Bei der Konzentration auf die Gesundheitspflege wird eine weitere Behauptung postuliert, nämlich, dass Gesundheitspflege und Wohlstand/Arbeitslosigkeit korrelieren. Ich nehme an, dass diese Annahme mit Zahlen untermauert werden kann; allerdings ist in Deutschland jedes Kind krankenversichert, also müsste auch das zumindest belegt werden.

    Durch diese Zwischenschritte kommen wir zu der Behauptung “unemployment mattered for the height of young children”. Wenn wir die Ernährung nicht ausschließen, was mir sehr viel plausibler scheint und dazu eine konsequenter verfolgte Gesundheitspflege bei “Wohlständigen” annehmen (die belegt werden müsste), dann bleibt immer noch die Annahme Height – Unemployment, die also bei der ärmeren Bevölkerung automatisch “Unemployment” annimmt. Dies ist aber nicht so selbstverständlich, wie es aussieht: Arbeitslose müssen nicht zwingend arm sein (und deshalb der Gesundheitspflege ihrer Kinder nicht nachkommen) noch müssen in Arbeit stehende Eltern nicht arm sein und/oder (deshalb?) der Gesundheitspflege ihrer Kinder nicht/doch nachkommen.

    Vielleicht “ticken” aber die Eltern in Brandenburg auch anders als in Stuttgart – sind hier generationenübergreifende Aspekte in Pädagogik, Gesundheitsfürsorge etc. berücksichtigt worden? Ist berücksichtigt worden, welche Einflüsse das frühere Gesundheitssystem hatte?

    Festzustellen, hier sind die Kinder kleiner, hier ist die Arbeitslosigkeit hoch (i.G. zu Stuttgart) scheint mir zu stringent konstruiert. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren. Mir fällt spontan ein, dass die Malnutrition, die ggf. in Adipositas mündet, doch ein schwerschwiegenderes Problem zu sein scheint als 1-2 cm fehlende Körpergröße.

  10. #10 Dagda
    4. Januar 2012

    @ Andrea N.D.

    Bei der Konzentration auf die Gesundheitspflege wird eine weitere Behauptung postuliert, nämlich, dass Gesundheitspflege und Wohlstand/Arbeitslosigkeit korrelieren. Ich nehme an, dass diese Annahme mit Zahlen untermauert werden kann; allerdings ist in Deutschland jedes Kind krankenversichert, also müsste auch das zumindest belegt werden.

    Hm vermutlich kann Joseph Kuhn mehr dazu sagen, aber es gibt einerseits gute Daten dazu das soziale Schicht und Lebenserwartung/Morbidität zusammenhängen (Artikel der WHO,Das sagt die GBE dazu. ) andererseits gibt es ja das sogenannte Präventionsparadox, das also Menschen(hier die Armen) die von einer bestimmten Maßnahme besonders profitieren würden häufig nicht gut von der Maßnahme erfasst werden,meistens weil sie schlicht nicht teilnehmen.

  11. #11 Andreas Böhm
    4. Januar 2012

    Als Zweitautor der Studie freue ich mich über die Diskussionsbeiträge. Danke für die Anregungen zum weiteren Nachdenken.
    Was Kausalität angeht: ich fühle mich immer wieder ertappt, kausal zu denken bzw. die Ergebnisse und Studiendaten so zu verstehen. Tatsächlich erlauben unsere Daten keine Kausalinterpretation. Ärmere (arbeitslose, weniger gebildete etc.) Eltern haben kleinere Kinder. Die erste naheliegende Kausalität ist: die Kinder sind klein, weil die Eltern ärmer sind. Der Umkehrschluss immerhin ist hier nicht sinnvoll, worauf Joseph Kuhn mich hingewiesen hat: die Eltern sind ärmer, weil die Kinder kleiner sind. Aber es gibt noch genügend offene Fragen. Mich interessieren die Vermittlungsprozesse auf der Mikroebene. Was macht ungünstige Lebenslagen (Arbeitslosigkeit, schlechte Bildung) aus, dass schließlich die Entwicklung der Kinder beeinträchtigt wird, bis hin zur geringeren Körpergröße.

    @Andrea N.D.: Was meinen Sie mit Ihrem Link auf die Folien aus dem Brandenburger Bündnis Gesund Aufwachsen?

    Nebenher: das ist mein erster Blogbeitrag hier. Ich hoffe, ich habe nichts falsch oder alles richtig gemacht.

  12. #12 coilan
    4. Januar 2012

    Hm, das ist ja kein neues Ergebnis. Habe schon vor Urzeiten von Studien gehört, welche einen Zusammenhang der Körpergröße mit dem sozialen Status eines Individuums innerhalb der Gesellschaft belegen. Hat also nichts mit “Mangelernährung” oder so zu tun, sondern eher mit Epigenetik. Ist ja nicht schwer sich vorzustellen, dass es sich in Zuständen der Unterdrückung nicht so leicht groß werden lässt. Einkommen ist dabei nur einer von vielen regulierenden Faktoren, – Status hat ja nicht immer nur mit Geld zu tun.

    Denn erstaunlicherweise gibt es diese statusabhängigen Größenunterschiede sowohl innerhalb eines Geschlechts (Größenunterschiede zwischen -männlichen- Bauern und -männlichen- Adelsleuten z.B. waren in frühreren, ständisch geprägten Zeiten sehr auffällig) also auch zwischen den Geschlechtern! Je größer die Status-Kluft zwischen Männern und Frauen in einer Gesellschaft ist, desto auffälliger ist auch der Größenunterschied. Frauen der verschiedenen Stände haben sich auch damals größenmäßig nicht so sehr unterschieden, wie es bei den Männern der Fall war: Ihr Status war generell viel geringer.

    Man kann den Größenunterschied zwischen Männern und Frauen demnach durchaus als einen Indikator für den Geschlechter-Egalitarismus bzw. die Stellung der Frau in der betreffenden Gesellschaft sehen. Es gibt z.B. Gesellschaften, bei denen Männer und Frauen ungefähr gleich groß sind und auch immer noch einige wenige, bei denen Frauen im Schnitt größer sind. Nicht nötig zu sagen, dass sie in den letzten besonders hoch angesehen sind.

    Aber leider… kann ich für all das keine Belege anführen. Habe es, wie gesagt, vor langer langer Zeit mal gelesen und mir behalten, weil es doch so spannend ist.

  13. #13 Andrea N.D.
    4. Januar 2012

    @Dagda:
    Klar, einige WHO-Veröffentlichungen habe ich gelesen. Aber hier wird eine Kausalität (?) zwischen arm und arbeitslos einerseits und arbeitslos und Gesundheitspflege-/fürsorge andererseits behauptet. Lebenserwartung ist noch einmal ein anderes Pflaster, vor allem, weil es hier um Kinder geht und die haben meistens noch keine 40py auf dem Buckel. Mir sind hier die vereinfacht dargestellten Korrelationen einfach nicht einleuchtend: Arbeitsstatus – Körpergröße. Dass niedriger sozialer Status Gesundheit schwächt, möchte ich überhaupt nicht bestreiten.

    Ein Beispiel, wie das Thema vermutlich angegangen wurde, ist die Rate der wahrgenommenen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder. Dazu müsste aber zuerst nachgewiesen werden, dass Vorsorgeuntersuchungen tatsächlich die Gesundheit verbessern, etc. Dazu sind Langzeitstudien notwendig, die ich noch nicht gefunden habe. Mir scheint das Thema einfach zu komplex, um einen Zusammenhang oder sogar eine Kausalität (“renders shorter”) Arbeitsstatus – Körpergröße zu behaupten.

    Und auch den gezogenen Schluss “has substantial economic, political
    and social implications.” möchte ich in Frage stellen. Muss unsere Folgerung wirklich sein, Kinder größer oder gleich groß zu machen? Oder legen die Studienbetreiber in diesen Schluss ihre Vorannahmen wieder hinein? Muss eine geringere Körpergröße wirklich eine schlechtere Ausgangslage für das Heranwachsen von Kindern sein oder ist die gesamte Studie nicht ein einziger Zirkel, indem die geringere Körpergröße wieder am sozialen Status festgemacht wird? Dass eine Umgebung, in der ggf. Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Gewalttätigkeit herrschen nicht förderlich für das Gedeihen von Kindern sein kann, ist doch wirklich keine bahnbrechende Erkenntnis?

  14. #14 Andrea N.D.
    4. Januar 2012

    @Andreas:
    Vielen Dank für die Antwort und danke auch für das Einstellen des Beitrags; er ist hochinteressant.

    “Der Umkehrschluss immerhin ist hier nicht sinnvoll, worauf Joseph Kuhn mich hingewiesen hat: die Eltern sind ärmer, weil die Kinder kleiner sind.”
    Ich denke, das war ein Knackpunkt, mit dem ich gekämpft habe. Und daran anschließen würde ich zwei Dinge: erstens ist die Studie nicht tautologisch, wenn sie von arbeitslos auf klein schließt? Schließlich ist es ja nichts Neues, dass Kinder in einer gewalttätigen, hoffnungslosen Umgebung mit hoher Arbeitslosenquote vermutlich nicht so gut gedeihen.
    Und zweitens: Warum ist Größe eigentlich erstrebenswert (zumal es sich ja nur um 1 oder 2 cm handelt)? Ist die Korrelation geringere Größe – Gesundheit haltbar?

    Bei der Mikroebene finde ich beispielsweise noch interessant, inwiefern Vorsorgeuntersuchungen herangezogen werden. Wenn ja, wurde vorab erwiesen, dass diese die Gesundheit der Kinder verbessern? Oder dass deren Nichtdurchführung tatsächlich die Gesundheit verschlechtern?
    Oder wie ist das mit den gleichen Kindern und Adipositas? Ich dachte, ich hätte aus dem Link herausgelesen, dass auch Kinder unterernährt/mangelernährt sind (weswegen ich die Ernährung nicht komplett vorab ausgeschlossen hätte); ich kann mich aber auch irren.

    @Dagda:
    Lebenserwartung spielt meines Erachtens hier noch keine Rolle, da die Kinder ja keine Zeit hatten, ihre Gesundheit durch beispielsweise 40 py zu ruinieren.

  15. #15 BreitSide
    4. Januar 2012

    @Abdreas:

    Der Umkehrschluss immerhin ist hier nicht sinnvoll, worauf Joseph Kuhn mich hingewiesen hat: die Eltern sind ärmer, weil die Kinder kleiner sind.

    Ich hätte hier einen anderen Umkehrschluss gezogen: Die Eltern sind ärmer, weil sie kleiner sind. Dieser manchmal als “Napoleon-Komplex” benannte Zusammenhang (auch wenn Josef einwarf, dass die Korrelation nicht linear ist) scheint mir trotzdem gut begründet (auch aus eigener anekdotischer Erfahrung). Wiewohl Napoleon mW sogar länger war als der Durchschnitt seiner Soldaten.

    Und dann habe ich gleich 2 Faktoren bzw Mechanismen:
    – kleinere Eltern gebären iA kleinere Kinder,
    – Kinder ärmerer (weil kleinerer) Eltern wachsen nicht so schnell.

    Interessant wäre der Vergleich zu Geburtsgröße und -gewicht. Könnte man nicht so Genetik und Epigenetik besser trennen? Abgesehen davon, dass größere/wohlhabendere Eltern eher in teureren(=besseren?) Kliniken gebären.

    Hab übrigens irgendwo gelesen, dass in D zwar die allgemeine Körperhöhe noch steigt, in den USA aber schon im Sinken begriffen ist. Ob das wohl an schwindendem Wohlstand, Verfettung oder den wachsenden Anteil – allgemein kleinerer – Mejicanos liegt? Auf jdedn Fall ein sehr interessantes Thema.

  16. #16 Joseph Kuhn
    4. Januar 2012

    @ Chris: Damit alle Erbsen gezählt sind: Der Begriff “Zusammenhang” wird in der Epidemiologie neutral verwendet, man kann von korrelativen Zusammenhängen ebenso sprechen wie von kausalen Zusammenhängen. Mit den Störchen und den Geburten ist das übrigens so eine Sache, hierzu sei – nicht ganz ernsthaft – auf unser kleines Buch “Gesundheitsdaten verstehen”, S. 19 verwiesen: New Evidence for the Theory of the Stork.

    @ Andrea N.D.: Ob Körpergröße und Gesundheit an sich zusammenhängen, müsste man recherchieren, ich weiß es nicht. Und ob Größe erstrebenswert ist, darüber kann man lange diskutieren. Für Basketball-Spieler ja, für Rennwagenfahrer nein.

    Interessant an der Baten/Böhm-Studie ist u.a. der zeitlich enge Zusammenhang der Veränderung des Trends des Wachstums mit der sozialen Entwicklung in Brandenburg. Aber Ihre Frage, ob Größe erstrebenswert ist, bringt mich noch einmal zur Schlussfolgerung der Studie. Die Autoren schreiben am Ende: “Our result that parental unemployment renders children between one and two centimeters shorter (…) has substantial economic, political and social implications. Das halte ich allerdings für Studienwichtigkeitslyrik. Oder gibt es Belege für diese Schlussfolgerung?

  17. #17 Andrea N.D.
    4. Januar 2012

    “Our result that parental unemployment renders children between one and two centimeters shorter (…) has substantial economic, political and social implications. Das halte ich allerdings für Studienwichtigkeitslyrik. Oder gibt es Belege für diese Schlussfolgerung?

    Das meinte ich mit tautologisch. Sind die “implications” nicht bereits in den Prämissen enthalten? Alles in allem, je länger ich darüber nachdenke, eine sehr komplexe Angelegenheit trotz der Größenordnung, die eigentlich valide Aussagen ermöglichen müsste. Und eine sehr spannende Angelegenheit, weil, trotzdem es seit langem Allgemeinwissen ist, es immer wieder gut ist, wenn der Zusammenhang zwischen schlechten sozialen Bedingungen und schlechterer Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder beleuchtet wird (selbst wenn sich nur auf die Körpergröße bezogen wird). Und vielleicht kann ja tatsächlich der Indikator “Körpergröße” für das ganze Paktet der schlechteren Entwicklungschancen stehen (Gesundheit, Ernährung, Bildung, Zukunftsoffenheit, Zuversichtlichkeit, geringere Berufschancen etc. etc.) – allerdings habe ich aufgrund des Abstraktionsgrades hier noch Bedenken.

  18. #18 Ludger
    4. Januar 2012

    Es scheint mir bei der Arbeit nicht berücksichtigt zu sein, ob Menschen mit Migrationshintergrund bei den Arbeitslosen überrepräsentiert sind. Dann wäre allein dadurch ein genetisch bedingter Unterschied der Größe erklärt. Weiter interessiert mich, inwieweit der spätere Minderwuchs durch Nikotin- oder Alkoholmißbrauch in der Schwangerschaft ausgelöst wurde. Leider gibt es ja eine Korrelation zwischen sozialer Stellung und Nikotinmißbrauch.

  19. #19 Andreas Böhm
    4. Januar 2012

    @Joseph Kuhn:
    Du kritisierst den letzten Satz der Studie als Studienwichtigkeitslyrik:
    “Our result that parental unemployment renders children between one and two centimeters shorter (…) has substantial economic, political and social implications. Das halte ich allerdings für Studienwichtigkeitslyrik. Oder gibt es Belege für diese Schlussfolgerung?

    Die Implikationen am Ende des Artikels sind in diesem Zusammenhang eher moralischer Natur. Es geht um Gerechtigkeit und Fairness. Das geringere Wachstum eines Teiles der Kinder ist ein Vorenthalten von Entwicklungsmöglichkeiten. Und es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen Körpergröße bei Erwachsenen und Gesundheitsmaßen. Kleine Menschen sind benachteiligt, sehr große Menschen allerdings auch.
    Ein Standardsatz der empirischen Forscher fehlt übrigens: Further research is needed. Die Daten der Studie reichen nur bis 2006. Es wäre interessant die jüngere Entwicklung anzuschauen. Gerade auch weil sich die wirtschaftliche Lage in Brandenburg verbessert hat.
    Aber noch einmal zur “Studienwichtigkeitslyrik”: Belege für die Wichtigkeit im engeren Sinne gibt es nicht. Die Wichtigkeit ergibt sich aus der Bewertung des Lesers oder der Leserin.

  20. #20 miesepeter3
    4. Januar 2012

    @Joseph Kuhn

    Es gab eine Zeit, in der die bildenden Künste, hier z.B. die Malerei, sozial höher gestellte Personen größer darstellte, als die sozial niedriger stehenden Personen: also den Ritter größer als den Knappen, den Kaiser größer als die Fürsten etc. pp.
    Untersuchungen an Schwertern haben ergeben, dass die von den höheren Adligen länger waren als die von einfachen Soldaten. Offensichtlich war der Adel im Prinzip länger als das normale Volk. Pipin der Kurze mag da wohl eher die Ausnahme gewesen sein. Einige Sozialanthropologen (Völkerkundler) wollen schon im 19. Jahrhundert festgestellt haben, dass bei Naturvölkern die Führer eines Stammes und seine Nachkommen meist eine größere Körperlänge hatten, als der Durchschnitt des Volkes.
    Das ist zwar alles nicht so sehr wissenschaftlich nach heutigen Maßstäben, aber darüber nachgedacht wurde schon vor viel längerer Zeit.

  21. #21 Spoing
    4. Januar 2012

    Interessant wäre auch zu wissen, ob sich so etwas wieder rauswächst?
    Viele machen ja erst recht spät einen Wachstumsschub. Was also wenn sich die Lebensumstände der betreffenden Person ändern.
    Hinzu kommt ja auchnoch das Psychologische: Wer klein ist, gilt als schwach. Wenn mir oft genu gesagt wird ich bin schwach, glaube ich es irgendwann selber und bin nichtmehr energisch genug auf den Weg nach oben bzw. wird man von den anderen weniger ernst genommen.

    Muss hierbei gerade an zwei Zwillinge denken die ich kenne, von denen der eine ca. 160 und der andere 196cm groß ist.

  22. #22 BreitSide
    4. Januar 2012

    @Spoing: ein- oder zweieiig?

  23. #23 Joseph Kuhn
    4. Januar 2012

    @ Andreas Böhm:

    Die Implikationen am Ende des Artikels sind in diesem Zusammenhang eher moralischer Natur. Es geht um Gerechtigkeit und Fairness.

    Warum geht es hier um Gerechtigkeit? In dieser Hinsicht gilt die Frage von Andrea N.D.: Ist es überhaupt erstrebenswert, groß zu sein? Und weiter: Was ist daran ungerecht, wenn eine soziale Gruppe im Durchschnitt 1 cm kleiner ist als eine andere soziale Gruppe? Ungerecht ist doch eher, dass die sozial benachteiligte Gruppe mit Arbeitslosigkeit, geringen Bildungschancen, sozial bedingten Gesundheitsproblemen etc. zu kämpfen hat. Aber dass sie im Durchschnitt 1 cm kleiner ist? Wo also sind die “substantiellen ökonomischen, politischen und sozialen Folgen” dieses Befunds?

    @ Andrea N.D.:

    Das meinte ich mit tautologisch. Sind die “implications” nicht bereits in den Prämissen enthalten?

    In gewisser Weise ja. Die “kleinen Leute” sind die sozial Benachteiligten, ihre soziale Benachteiligung ist das, was “ökonomisch, politisch und sozial” zu kritisieren ist. Und das wäre es auch, wenn die sozial benachteiligten Kinder nicht kleiner wären.

  24. #24 Roland
    4. Januar 2012

    @miesepter3: Daß Personen auf Gemälden etc. größer dargestellt werden, ist kein zwingender Hinweis, daß sie auch größer waren. In Antike und Mittelalter galten oft andere Maßstäbe, es ging nicht um realitätsnahe Darstellung. Die ägyptischen Pharaonen waren sicher nicht vier- bis fünfmal so groß wie ihre Untertanen, auch wenn das auf den Reliefs so dargestellt wird.
    Auch längere Schwerter … vielleicht wollten sie sich einfach das Volk (die mit den kurzen Schwertern) auf Distanz halten. Man müsste schon die Hosen oder vielleicht die Schuhe vergleichen.

  25. #25 Peter Wimsey
    5. Januar 2012

    @Roland: Sehe ich genauso – allerdings könnten die längeren Schwerter einfach auch daher rühren, dass die Adeligen einfach häufiger hoch zu Roß unterwegs waren?

  26. #26 miesepeter3
    5. Januar 2012

    @Roland

    “Die ägyptischen Pharaonen waren sicher nicht vier- bis fünfmal so groß wie ihre Untertanen, auch wenn das auf den Reliefs so dargestellt wird.”

    Das hat auch keiner behauptet. Wenn man dem einen oder anderen Kunsthistoriker Glauben schenken darf, beruhte die größere Darstellung der Führer darauf, dass diese “wichtiger” waren, als der Rest der Bevölkerung und eben entsprechend wichtig in dem Bild erschienen. Die übergroße Darstellung ist auch nicht der Anhaltspunkt meines Kommentares gewesen, sondern die Tatsache, dass Führungspersönlichkeiten schon damals als groß empfunden wurden und die körperliche Größe mit dem hohen sozialen Stand in Beziehung gesetzt wurde. Der Namenszusatz “der Große” war eben oft auch auf die Körpergröße bezogen. Wie es scheint, folgten die Leute damals schon gerne einem Anführer, der länger war, als die meisten. Ausnahmen bestätigen die Regel.
    Schwerter wurden nicht nur in Japan bei den Samurai der Körpergröße des Kriegers angepasst. Ein solches individuelles Schwert war natürlich um einiges teurer, als für die gemeinen Dienstränge. Die waren mehr Massenware, auf den Durchschnitt bezogen. Ähnlich, wie der Unterschied zwischen einem normalen Fahrrad und einer Fahrmaschine für Radprofis. Denen wird ihr Rad auch auf den Leib komponiert.
    Man kann also davonn ausgehen, dass die Kombination “längeres Schwert + Anführer”
    auch meist eine größere Körperlänge bedeutete, möglicherweise nicht so regelmäßig, dass es ein wissenschaftlicher Fakt war, aber doch häufig genug, um bemerkt zu werden. Sozusagen eine Anekdotenschwemme.