Die Bundesregierung hat vor ein paar Tagen in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Stellung zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten in Deutschland genommen (BT Drucksache 17/8531). Im Wesentlichen geht es dabei um das Ausmaß untypischer Arbeitszeiten, etwa an Wochenenden oder nachts.
Viel interessanter als die Daten dazu, die, soweit ich sehe, keine echten Überraschungen enthalten, ist aber die Antwort der Bundesregierung auf eine Nebenfrage:
Frage 22: Wie hat sich die Zahlder arbeitsbedingten Erkrankungen in den letzten zehn Jahren entwickelt, und wie hoch sind die volkswirtschaftlichen Kosten, die mit diesen Erkrankungen verbunden sind (wenn möglich bitte differenziert beantworten nach Arbeitsausfällen, Kosten der Gesundheitsleistungen etc.)?
Antwort: Sowohl das Statistische Bundesamt als auch die gesetzliche Krankenversicherung erfassen Arbeitsunfähigkeiten nicht nach deren Ursachen. Angaben zur Anzahl arbeitsbedingter Erkrankungen und zu den mit diesen Erkrankungen verbundenen Kosten lassen sich somit nicht aggregieren und liegen der Bundesregierung nicht vor.
Der erste Satz der Antwort stimmt zwar, aber der zweite Satz bringt entweder Unwissen oder Unwillen zum Ausdruck. Auf der Grundlage einer Methodik, die im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, also einer Behörde im Geschäftsbereich des Arbeitsministeriums, entwickelt wurde, liegen solche Daten nämlich sehr wohl vor. Ermittelt wurden dabei u.a. die arbeitsbedingten Anteile an der Arbeitsunfähigkeit, diese müssen dann nur noch auf die routinemäßig erfassten Arbeitsunfähigkeitstage übertragen werden. Daraus lassen sich die Kosten ableiten.
Die letzte Berechnung ist aus dem Jahr 2008. Die jährlichen Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen in Deutschland lagen demnach bei 43,9 Mrd. Euro (direkte und indirekte Kosten für Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung). Die Daten sind im Internet abzurufen, also einfach verfügbar. Warum sagt die Bundesregierung, dass ihr solche Daten nicht vorliegen?
Nichtwissen wäre peinlich, Nichtantwortenwollen eine Missachtung des Fragerechts des Parlaments. Schlimmer noch: Ungeachtet dessen, was die Bundesregierung weiß oder nicht weiß: Was wäre, wenn es diese wichtigen Daten wirklich nicht gäbe – in Zeiten, in denen sogar bekannt ist, wie viele Mangos jährlich per Luftfracht aus Kolumbien importiert werden? Dürfte sich die Bundesregierung in diesem Fall so einfach tatenlos darauf zurückziehen, dass ihr diese Daten eben nicht vorliegen?
Es gibt in der zitierten parlamentarischen Anfrage übrigens noch eine zweite Frage, die nach dem gleichen Strickmuster beantwortet wurde: In Frage 27 a wurde nach der Zahl der Gefährdungsbeurteilungen in den Unternehmen gefragt (Gefährdungsbeurteilungen sind ein im Arbeitsschutzgesetz festgelegtes Instrument, das die Grundlage der gesamten betrieblichen Arbeitsschutzplanung darstellt, also eine wichtige Sache in einem modernen Arbeitsschutzmanagement). Auch hier die pauschale Antwort: „Über Anzahl, Form und Inhalt der von den Arbeitgebern durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen liegen der Bundesregierung keine repräsentativen Daten vor.” Auch hierzu gibt es Daten, auch hier solche, die von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erhoben wurden. Die Befunde sind aber nicht sehr zufriedenstellend, denn Gefährdungsbeurteilungen sind zwar seit 1996 für die Betriebe verpflichtend, werden aber nach wie vor nicht flächendeckend bzw. nicht in einer qualitativ ausreichenden Weise durchgeführt. Zwar ist die Datenlage zu den Gefährdungsbeurteilungen tatsächlich etwas schwieriger, aber dass es keine repräsentativen Daten gibt, stimmt so nicht. Und auch hier wäre zu fragen: Was wäre, wenn es keine Daten gäbe, wäre es eine akzeptable Politik, das festzustellen und die Sache damit einfach als erledigt zu betrachten?
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