Ein Hinweis vorweg: Der folgende Beitrag stellt keine politikwissenschaftliche Analyse dar. Er ist Resultat eines Unbehagens, das mit Theodor Eschenburg zur Feststellung kommt: „Die Gesamtsituation ist unbefriedigend”. Auch wenn sonst alles gut ist.
Armes Bayern. Die Ratingagentur Moody´s hat jetzt auch Bayern eine Mahnung zugestellt. Zwar ist Stoiberland noch längst nicht abgebrannt, zwar behält Bayern sein AAA-Rating, aber die Zukunftsperspektiven Bayerns sieht Moody´s nicht mehr ganz so rosig. Das ist etwas kurios, weil diese kassandrischen Gesänge damit begründet werden, dass Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke Banken in Europa rettet. Wirtschaftliche Stärke bedeutet so gesehen Schwäche. Orwell hätte seine Freude an diesen Zeiten. Aus bayerischer Sicht ist es ein besonderes Unding, dass wir Bayern jetzt auch noch Deutschlands europäisches Gutmenschentum ausbaden müssen – wo wir doch nicht mal den innerdeutschen Länderfinanzausgleich mögen. Wir kriegen ja nichts mehr.
Das Thema Finanzpolitik ist aber auch sonst nicht arm an Kuriositäten. Da leihen die Steuerzahler den Banken Geld zum Nulltarif, damit die Banken den Steuerzahlern teure Kredite geben können. Etwas seltsam ist das schon, oder? Was mich außerdem schon lange befremdet, ist die Rede von der „Systemrelevanz” der Banken. Davon steht im Grundgesetz so kein Wort, eher könnte man aus der Lektüre dort auf die Idee kommen, die Menschenwürde sei systemrelevant. Aber davon hat man noch nie was gehört. Was wäre das auch für ein System?
Sehr schön hat übrigens die Süddeutsche Zeitung gestern die Reaktion des bayerischen Finanzministers Markus Söder auf Moody´s umschrieben: „Söder stuft Moody´s herunter”. Weiter so, Herr Finanzminister. Vielleicht wird aus dem Primat der Politik ja doch noch was.
Aber irgendwie trifft Moody´s schon den weißblauen Nerv der Zeit. Bayern wirkt in letzter Zeit eigenartig perspektivlos. Nicht nur das Wetter, auch sonst. Und das ein Jahr vor den Landtagswahlen. Die stolze CSU, die aus dem rückständigen Agrarland Bayern einst eine moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft gemacht hat, unter Bewahrung gewisser Rückständigkeiten natürlich, die als „bayerische Lebensart” gelten – Laptop und Lederhose eben, diese CSU hat in den letzten Jahren spürbar an geistiger Vitalität eingebüßt. Ob Atomenergie, G8, Transrapid oder Flughafenausbau, sie trifft irgendwie nicht mehr ins Schwarze. Sie hat aber eine Lebensversicherung, die bayerische SPD. Wer wählt schon statt der CSU eine SPD, bei deren Vorsitzendem sich die Älteren unter uns fragen, wie sich Heintje all die Jahre so gut halten konnte und deren Spitzenkandidat nicht weiß, wo Aschaffenburg liegt? Wer oben und unten in Franken verwechselt, bringt das vielleicht auch sonst durcheinander. Und weiß jemand, was die SPD überhaupt politisch anders und besser machen will, was ihre 10 zentralen Themen sind? Äh … , nun gut, das weiß man bei der geseehoferten CSU auch nur noch mit kurzer Halbwertszeit.
Zur FDP sage ich lieber gar nichts Schlechtes. Das wäre Leichenschändung. Ratingtechnisch ist die Partei auf Ramschniveau. Aber schlimmer geht immer: Die Linkspartei in Bayern steht vermutlich inzwischen unter der Beobachtung des Sektenbeauftragten, ein esoterischer Zirkel, Ernst, aber nicht ernst gemeint. Immerhin fährt Ernst symbolträchtig einen roten Porsche, die Erben der Arbeitereinheitsfront haben wenigstens Sinn für schwarzen Humor. Wir haben dann noch „Freie Wähler”, aber frei sind die nicht, die hat ihr Chef im eisernen Griff, der Rippenbruch gilt in diesen Kreisen als Liebkosung. GRÜNE auf der Suche nach dem Sinn des Lebens gibt es in Bayern natürlich auch, derzeit lost in time and space, weil Merkel die Atomkraftwerke abschaltet und Söder gegen Gentechnik und Donauausbau ist. Vielleicht sollten sie schon mal den grünen Porsche bestellen. Ach ja, PIRATEN haben wir neuerdings auch. Die sind aber bei uns wie im Rest der Republik noch dabei, politische Positionen zu kapern. Ob sie schon Beute gemacht haben, ist nicht bekannt.
Da stabilisiert sich also ein System von Untoten und Toten gegenseitig. Was bleibt da 2013? Soll man wünschen, dass die Toten an die Regierung kommen, damit die Untoten eine Chance auf Rekonvaleszenz kriegen (oder gar ein christliches Wunder geschieht und die Toten auferstehen)? Soll man sich für ein „Weiter so” entscheiden, weil es uns ja eigentlich in Bayern trotz Moody´s Blues gar nicht schlecht geht? Ja, wir jammern auf hohem Niveau, auf Triple-A-Niveau sogar, granteln, heißt das auf bairisch. Die Gesamtsituation ist eben unbefriedigend!
Nachtrag 30.7.2012: Vor ein paar Tagen hat das Bayerische Sozialministerium den 3. Bayerischen Sozialbericht veröffentlicht. Er bestätigt, dass es uns in Bayern – im Durchschnitt, verglichen mit Preußen, materiell gesehen – recht gut geht. Das macht das Granteln nicht leichter.
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