2. Für einen Vergleich zwischen den Versicherten und der Allgemeinbevölkerung im Verlauf eines Kalenderjahrs sollte sichergestellt sein, dass nicht nur die Allgemeinbevölkerung ein Jahr unter Beobachtung war, sondern auch die Kellner. Kellner arbeiten vergleichsweise häufig saisonal. Das kann, wie auch der Fall eines Krankenkassenwechsels im Beobachtungsjahr, von den Krankenkassen durch die Berechnung von „Versichertenjahren“ korrigiert werden. Man gleicht dazu die Versichertentage mit den Kalendertagen ab. Bei Kellnern ist anzunehmen, dass es weniger Versichertenjahre (ganzjährig Versicherte) als Versicherte gibt. Berechnet man die Lungenkrebsrate der Kellner anhand von Versichertenjahren, steigt sie also.
3. Die regionalen Einzugsbereiche der Krebsregisterdaten und der Krankenkassendaten sind nicht identisch. Das Lungenkrebsrisiko der Allgemeinbevölkerung ist aber regional unterschiedlich. Nimmt man die Lungenkrebssterblichkeit als Indikator, so liegt sie in Nordrhein-Westfalen (hier kommt ein Teil der Krankenkassendaten her) höher als in Ostdeutschland, also dem Einzugsgebiet der Registerdaten. Anhand der vorliegenden Daten kann ich nicht abschätzen, wie relevant das in diesem Fall ist, aber wer so weitreichende Aussagen wie Grieshaber trifft, muss das abklären.
4. Grieshaber gibt keine Begründung dafür an, warum er in der Tabelle mit den Krebsregisterdaten von den gemeldeten Fällen in allen Altersklassen mit dem gleichen Erfassungsgrad der Meldungen auf Gesamtzahlen hochrechnet, die dann zur Ratenberechnung verwendet werden. Krebserkrankungen werden – so z.B. die Erfahrungen des Bayerischen Krebsregisters – in den Altersgruppen bis 50 praktisch vollständig erfasst, hier dürfte man also gar nicht hochrechnen, weil sonst die Fallzahlen überschätzt werden. Erst in den höheren Altersgruppen fehlen Meldungen vor allem von Fällen, die wegen der Schwere der Erkrankung nicht mehr therapiert werden. Ein eigenes Kapitel wäre übrigens die Berechnung des Erfassungsgrads, der ja keine einfache empirische Größe ist.
5. Unklar ist, warum Grieshaber bei seinem Ratenvergleich die gesamte Altersspanne einbezieht. Wenn es um Lungenkrebs im Zusammenhang mit der beruflichen Exposition gegenüber Tabakrauch geht, könnte man sich unter Berücksichtigung der langen Latenzzeit bis zur Entstehung eines Lungenkrebses auf die letzte Altersgruppe beschränken. Da wäre seinen eigenen Daten zufolge die Rate bei den männlichen Kellnern höher als in der Allgemeinbevölkerung.
6. Ein schwerwiegendes Problem zeigt sich beim Altersaufbau der Versichertenpopulation. Ab der Altersgruppe 20-29 ist jede höhere Altersgruppe schwächer besetzt als die vorherige. Bei den Kellnern gibt es also massive Abgänge aus dem Beruf. Dass dies keinen Einfluss auf die Lungenkrebsraten hat, d.h. dass die Abgänge unabhängig vom Lungenkrebsrisiko sind, kann nicht einfach unterstellt werden. Möglicherweise bleiben nur die gesünderen Kellner im Beruf und es wird hier ein massiver healthy worker effect ignoriert.
7. Ein weiteres gravierendes Versäumnis im Umgang mit den Altersgruppen besteht darin, dass Grieshaber einfach rohe Raten vergleicht, d.h. Raten ohne Altersstandardisierung. Man muss aber sicherstellen, dass der Ratenunterschied nicht nur durch den unterschiedlichen Altersaufbau der Vergleichspopulationen zustande kommt. Aufgrund der kleinen Fallzahlen bei den Kellnern ist die Berechnung von „Standardisierten Inzidenz-Ratios (SIR)“ ein Weg, dies zu korrigieren. Dabei berechnet man, wie viele Erkrankungsfälle in der Versichertenpopulation zu erwarten wären, wenn die gleichen altersspezifischen Erkrankungsraten wie in der Registerbevölkerung gelten würden und vergleicht das mit den tatsächlich beobachteten Werten. Liegt die SIR über 1, ist von einem erhöhten Risiko der Versichertenpopulation auszugehen, liegt sie unter 1, von einem niedrigeren Risiko. Macht man das, erhält man für die männlichen Kellner eine SIR von 0,70, bei den weiblichen eine SIR von 0,96. Mit anderen Worten: Die Rate bei den Kellnern ist altersstandardisiert zwar immer noch niedriger als in der Allgemeinbevölkerung, aber bei weitem nicht mehr so stark wie bei den rohen Raten und bei den Frauen gibt es praktisch keinen Unterschied mehr. Ein Teil des Risiko-Unterschieds, den Grieshaber präsentiert, ist also schlicht ein Altersunterschied der verglichenen Populationen.
8. Hier lohnt es sich nun auch, einmal einen kleinen Sensitivitätstest zu machen, d.h. zu schauen, was passiert, wenn bei den Kellnern ein paar Fälle mehr zu verzeichnen wären, z.B. weil sie sich nicht in den Krankschreibungen niederschlagen, wie unter Punkt 1 beschrieben. Bei den Männern reichen schon 2 Fälle mehr, damit die SIR auf 1,16 springt, bei den Frauen sogar schon 1 Fall mehr für eine SIR von 1,21. Das ist nicht weiter verwunderlich, relativ zu einer Basis von 4 wiegt ein weiterer Fall eben mehr als relativ zu einer Basis von 588. Mit anderen Worten: Bei diesen kleinen Fallzahlen verbietet sich ein Ratenvergleich mit Grieshabers Schlussfolgerungen, wenn man nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen kann, auch nur einen einzigen Fall übersehen zu haben.
Kommentare (291)