Die Universität Jena ist eine altehrwürdige akademische Institution, an der viele Wissenschaftler/innen erstklassige Forschung machen. Das gilt auch für das Universitätsklinikum Jena, wovon man sich anhand des aktuellen Forschungsberichts des Klinikums überzeugen kann.
In einer Sache scheint Jena allerdings unter keinem guten Stern zu stehen, das ist die Tabakforschung. An der Universität Jena wurde 1941 das „Wissenschaftliche Institut zur Erforschung der Tabakgefahren“ eingerichtet. Dieses Institut wurde mit 100.000 Reichsmark aus Hitlers Reichskanzlei aufgebaut und stand unter der Leitung des SS-Arztes Karl Astel. Astel war, wie der amerikanische Wissenschaftshistoriker Robert Proctor in seinem höchst lesenswerten Buch „Blitzkrieg gegen den Krebs“ schreibt, militanter Nichtraucher und Abstinenzler, der den Kampf gegen den Tabak als Beitrag zum Schutz der Rasse verstand. Menschenverachtende Rassenhygiene und fortschrittliche Tabakforschung – Proctor weist z.B. auf eine wegweisende Lungenkrebsstudie von Schairer und Schöniger hin – gingen damals in Jena ein ethisch höchst ambivalentes Amalgam ein. Astel hat sich am 3. April 1945 in einer Nervenklinik erschossen. Sein Institut wurde aufgelöst. Forschung zu den gesundheitlichen Gefahren des Tabakkonsums war in Deutschland für viele Jahre kein Thema mehr, man hatte andere Sorgen. Zigaretten waren in der Schwarzmarktzeit Zweitwährung und außerdem war man froh, die Abstinenzpropaganda der Nazis los zu sein. Rauchen wurde mit neuem Wohlstand assoziiert, mit Freiheit und Genuss, eine Entwicklung, die die USA auch aus exportwirtschaftlichen Gründen nach Kräften unterstützt haben, Tabaklieferungen waren z.B. Teil des Marshall-Plans.
Das ist die Vergangenheit. Gegenwart ist, dass sich die Universität Jena wieder einen unrühmlichen Tabakprofessor eingehandelt hat: Romano Grieshaber, über dessen seltsame Kellner-Epidemiologie es hier schon einen Blogbeitrag gibt. Der gute Mann ist Honorarprofessor an der Uni Jena und dass das Passivrauchen unschädlich sei, ist seine fixe Idee. Damit es keine Missverständnisse gibt: Grieshaber soll hier nicht mit Astel verglichen werden und für die Geschichte der Tabakforschung in Jena kann er nichts. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich Grieshaber in seiner aktiven Berufszeit bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe durchaus beachtliche Verdienste in der berufsgenossenschaftlichen Arbeit erworben hat, etwa im Zusammenhang mit dem Bäckerasthma. Er hätte sich eigentlich zufrieden in den Ruhestand zurückziehen können. Aber irgendetwas hat ihn angestachelt, statt dessen an der Seite der Tabakindustrie und der Gastronomieverbände in den Kampf gegen die wissenschaftliche Evidenz zum Passivrauchen zu ziehen. Mit dem Habitus des verkannten Bewahrers der unterdrückten Wahrheit und sich zum Opfer einer, wie er sagt, „weltweiten WHO-Verschwörung“ stilisierend, bestreitet er, dass Passivrauchen gesundheitlich schädlich ist, möge da an Studien kommen was da wolle.
In der Wissenschaft wurde Grieshaber damit nicht ernstgenommen, man hat ihn einfach ignoriert. Methodisch gut gemachte und durch ein peer review geprüfte Studien zum Passivrauchen hat er schließlich nicht vorzuweisen. Aber Grieshaber mischt sich aktiv in die politischen Debatten um den Nichtraucherschutz ein, sei es vor kurzem in der Schweiz, sei es gegenwärtig in Nordrhein-Westfalen. Dabei setzt er gezielt die Honorarprofessur ein und firmiert bei seinen politischen Aktivitäten demonstrativ als „Professor für Angewandte Prävention und Gesundheitsförderung“. Mit diesem Titel und dem Briefkopf des Universitätsklinikums Jena hat er im September auch den Landtag in Nordrhein-Westfalen mit seinen Thesen beglückt. Das hat engagierte Nichtraucher ebenso wie wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften so empört, dass sie sich an die Universität Jena gewandt haben.
Jena tut sich allerdings auch mit seinem heutigen Tabakideologen schwer, die Universität Jena beweist kein glückliches Händchen im Umgang mit der Causa Grieshaber. Im Internet kursiert seit ein paar Tagen kursierte ein paar Tage das Faksimile eines Briefes der Ombudskommission für wissenschaftliches Fehlverhalten der Uni Jena, das Antwortschreiben des Kommissionsvorsitzenden an einen der anfragenden Nichtraucheraktivisten. Darin heißt es zur Frage, ob Grieshabers Tabak-Thesen vielleicht einen Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens darstellen: „Ich habe die Ausführungen von Herrn Prof. Grieshaber zu diesem Thema nicht gehört bzw. nicht gelesen. Herr Grieshaber gibt mit seinen Äußerungen seine Einschätzung zu diesem Thema wieder. Er folgt damit dem Recht auf freie Meinungsäußerung“. Das darf man gerne zweimal lesen, damit man versteht, was der Kommissionsvorsitzende da sagt: Wir wissen zwar nicht, was Grieshaber geschrieben hat und wollen es auch gar nicht wissen, aber wir wissen, dass es kein wissenschaftliches Fehlverhalten ist. Und damit das auch ganz klar ist, heißt es etwas später: „Im Falle von Herrn Grieshaber ist die Sachlage eindeutig: Es liegt kein Eintrittsgrund vor, ein Verfahren zum Verstoß gegen die wissenschaftliche Praxis einzuleiten.“ Den letzten Halbsatz hätte Grieshaber selbst nicht besser formulieren können, so gedankenquer wie er ist. Die Frage, wie man diese Prüfung vorgenommen hat, wenn man seine Ausführungen gar nicht gelesen hat, will ich jetzt gar nicht stellen. Ombudskommissionen für wissenschaftliches Fehlverhalten sind nicht immer engagierte Wächter der Wissenschaft, oft man kann froh sein, wenn sie bei gut belegten Plagiatsfällen oder Datenfälschungen ihrer Pflicht nachkommen, darum geht es bei Grieshaber aber nicht. Es ist angesichts dieser Situation auch müßig, darüber zu diskutieren, ob Grieshabers Kampf gegen die wissenschaftliche Evidenz nicht doch unter die “Richtlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Friedrich-Schiller-Universität Jena“ fällt. Da steht z.B. in § 1 über das wissenschaftliche Arbeiten: „Oberstes Prinzip ist die Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst und anderen“ und in § 2: „Wissenschaftliches Fehlverhalten liegt demgegenüber vor, wenn in einem wissenschafts-erheblichen Zusammenhang bewusst oder grob fahrlässig ethische Normen verletzt werden, Falschangaben gemacht werden (…)“ usw. – aber das sind zahnlose und interpretationsoffene Formulierungen. Wer damit wissenschaftliche Integrität sichern will, muss es wirklich wollen und darf nicht froh sein, dass ihn die weichen Formulierungen nicht zum Handeln zwingen.
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