Gestern habe ich beim EBM-Kongress 2013 des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin einen Workshop zum Thema Pluralismus und Evidenzbasierung in der Medizin moderiert.

Das Spannungsfeld, um das es geht, ist einfach zu beschreiben: Einerseits hat die Medizin als Heilkunde, anders als ihre naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer, kein konsistentes wissenschaftliches Paradigma. Es gibt unterschiedliche kulturelle Sichtweisen darauf, was Krankheit, Gesundheit und Heilen sind. Darauf reagiert der Ansatz des Pluralismus in der Medizin: Es sollen nicht vorschnell Heilverfahren durch eine medizinische Monokultur, welcher Art auch immer, verdrängt werden.

Andererseits gibt es in der Medizin unstrittig unwissenschaftliche und unwirksame Behandlungsverfahren. Darauf reagiert der Ansatz der Evidenzbasierung: Die Spreu soll vom Weizen getrennt werden.

Naheliegenderweise berufen sich auch esoterische und wissenschaftlich nicht haltbare Heilverfahren auf das Pluralismuskonzept. „Wir haben eben eine anderen Zugang zur Wirklichkeit“, heißt es dann, und nicht selten sogar: „einen Zugang auf einer höheren Ebene“. Das sind sozusagen die Erbschleicher des Pluralismuskonzepts.

Die Frage ist nun, wie hat man vor diesem Hintergrund mit bestimmten Heilverfahren umzugehen, man denke z.B. an die „besonderen Therapierichtungen“, die sich gegenüber Kritik durch den „Mainstream der Wissenschaft“ – oder doch seitens der Wissenschaft an sich? – durch das Konstrukt des Binnenkonsenses immunisieren. Dürfen sie im Pluralismusbeet eingehegt werden oder müssen sie mit der Evidenzharke ausgejätet werden? Haben sie Anspruch auf einen Platz im Garten der Medizin, komplementär zur sog. „Schulmedizin“, auch oder vielleicht gerade wenn sie einem anderen wissenschaftlichen Paradigma folgen, oder sind sie einfach nur unwissenschaftlich?

Das erste Impulsreferat dazu gab es von Christian Weymayr, Wissenschaftsjournalist und Redakteur des IGeL-Monitors, einem Online-Portal zur Bewertung der Individuellen Gesundheitsleistungenüber. Sein Buch „Die Homöopathie-Lüge“ wurde bei scienceblogs intensiv diskutiert, verwiesen sei hier nur auf den Blogbetrag von Ulrich Berger. Weymayr kritisierte, dass die evidenzbasierte Medizin häufig die naturwissenschaftliche Basis von Heilverfahren in eine black box packe, die sie nicht weiter betrachte und dann mit epidemiologischen Methoden, z.B. dem RCT, „unbefangen und neutral“ die patientenbezogene Wirksamkeit dieser Verfahren prüfe. Das sei, so Weymayr, bei naturwissenschaftlich unhaltbaren Heilverfahren Unsinn, man könne ja auch nicht die Lichtgeschwindigkeit mit einer Stoppuhr überprüfen. Naturwissenschaftliche Grundlagen müssten mit angemessenen naturwissenschaftlichen Methoden beforscht werden, nicht mit epidemiologischen Methoden. Das sehe ich genauso. Sein Lösungsvorschlag, der sich am Konzept einer “science based medicine“ orientiert, führt meiner Meinung nach allerdings nur zu einer terminologischen Vervielfältigung des eigentlichen Anliegens der evidenzbasierten Medizin, nämlich Erfahrungswissen durch externe, studiengestützte Evidenz zu ergänzen. Evidenzbasierte Medizin, richtig verstanden, bedeutet ja nicht, bereits naturwissenschaftlich widerlegte Wirkungshypothesen nocheinmal „unbefangen“ epidemiologisch zu untersuchen.

Das zweite Impulsreferat kam von Jutta Hübner, bis vor kurzem ärztliche Leiterin der Komplementären Onkologie am Universitären Centrum für Tumorerkrankungen in Frankfurt/Main, jetzt bei der Deutschen Krebsgesellschaft. Sie vertrat angesichts dessen, dass gerade Krebspatient/innen häufig komplementärmedizinische Methoden nachfragen, die Auffassung, dass komplementäre Methoden genauso evidenzbasiert sein müssen wie der Rest der Medizin, es gebe nur „eine Medizin“. Manche komplementärmedizinische Verfahren seien sehr sinnvoll in der onkologischen Behandlung, z.B. Entspannungsverfahren, manche könnten aber hochproblematisch sein, etwa wenn dadurch die Anwendung wirksamer Methoden verzögert wird, was immer wieder der Fall sei. Gerade in der Onkologie sieht sie die Berufung auf eine Erfahrungsheilkunde – oft verschlüsselt mit dem Satz „wer heilt, hat recht“ – als irreführend und nicht hilfreich für die Patient/innen. Dies führe zurück zur „eminenzbasierten Medizin“.

Für Pluralismus in der Medizin hat Robert Jütte plädiert. Er ist Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch-Stiftung, das bekanntlich insbesondere auch der Geschichte der Homöopathie verpflichtet ist, Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer und Sprecher des „Dialogforums Pluralismus in der Medizin“. Jütte sah zumindest zwischen Homöopathie und Wissenschaft keinen Widerspruch und hat ebenfalls die Nachfrage nach der Homöopathie als Argument angeführt: Eine Heilmethode, die von so vielen Menschen gewünscht und praktiziert wird, könne man nicht einfach aus der Forschung ausschließen. Ein problematischer Punkt, denn auch wenn niemand im Besitz der Wahrheit ist, sind wissenschaftliche Sachfragen dennoch nicht „demokratisch“ zu entscheiden. Auch Jütte hält nicht alle unkonventionellen Verfahren für wissenschaftlich vertretbar und will Pluralismus ebenfalls nicht als Freibrief für unwissenschaftliche Methoden verstanden wissen. Das ist eine Schlüsselstelle, weil man daran herausarbeiten könnte, ob man die gleichen Kriterien der Wissenschaftlichkeit und der für die jeweilige Fragestellung angemessenen Methoden vertritt oder nicht, d.h. ob unterschiedliche Sichtweisen etwa auf die Homöopathie nur auf unterschiedlichen Bewertungen der Evidenzbasis beruhen oder auf tiefergreifenden, eventuell auch wissenschaftstheoretischen Divergenzen.

Dieser Punkt kam in der Diskussion aber nur am Rande zur Sprache. Zwischenzeitlich ging es ziemlich zur Sache, weil das Referenzbeispiel „Homöopathie“ sehr kontroverse Positionierungen provoziert hat. Auch im Publikum des Workshops wurden dazu recht heterogene Meinungen vertreten, mit für mich in diesem Kreis unerwartet viel Toleranz gegenüber der Homöopathie. Häufig kam diese Toleranz für die Homöopathie und für weitere Homöopathiestudien allerdings daher, dass man dabei nicht die spezifische Wirksamkeit der homöopathischen Mittel, sondern das gesamte Behandlungssetting vor Augen hatte, also eigentlich die von allen für sinnvoll gehaltene „sprechende Medizin“. Damit in Zusammenhang stand ein anderer interessanter Punkt der Diskussion: Ob nämlich die Emotionalität bei diesem Thema allein daher komme, dass Verfahren wie die Homöopathie die gängige wissenschaftliche Rationalität infrage stellen, oder auch daher, dass gängige Arzt-Patientenbeziehungen infrage gestellt werden, dass also die Homöopathie und andere „alternativmedizinische“ Verfahren auch Momente des Heilens transportieren, die aus der Praxis der Medizin oft verdrängt sind und die – auf anderer Ebene – durch Ansätze der sprechenden Medizin oder des shared decision making erst langsam wieder in die medizinische Praxis zurückgeholt werden.

Further discussion is needed.

Kommentare (26)

  1. #1 rolak
    17. März 2013

    also eigentlich die von allen für sinnvoll gehaltene „sprechende Medizin“

    Das scheint mir der Angelhaken für die ‘Profis’ zu sein, ein Gegenstück zum „Naturmedizin“ für die glaubenwollende Kundschaft. Entspricht der bekannten trojanischen Grundtechnik, bei den Baggis waren es die (zumindest teil)funktionalen Therapieangebote und die damals unglaublich seltenen VegRestaurants – der ideologische Holzhammer wurde erst nach ausreichender Umgarnung, geistiger Unterwanderung ausgepackt.

  2. #2 BreitSide
    17. März 2013

    xxx

  3. #3 Joseph Kuhn
    17. März 2013

    @ rolak: Ich bin nicht sicher, ob ich Dich wirklich verstanden habe. Falls Du die “sprechende Medizin” als Angelhaken der Homöopathen siehst: Die haben sicher mehrere Angelhaken, darunter eben auch an sich berechtigte medizinkritische Themen. Nur weil die Homöopathie die “sprechende Medizin” praktiziert, wird sie dadurch ja nicht zur Scharlatanerie. Aber das war vermutlich auch nicht Dein Argument.

  4. #4 Ludger
    17. März 2013

    Joseph Kuhn:
    “Häufig kam diese Toleranz für die Homöopathie und für weitere Homöopathiestudien allerdings daher, dass man dabei nicht die spezifische Wirksamkeit der homöopathischen Mittel, sondern das gesamte Behandlungssetting vor Augen hatte, also eigentlich die von allen für sinnvoll gehaltene „sprechende Medizin“. ”

    Dazu ein Statement von Edzard Ernst aus der WDR Reportage “Sanfte Medizin und satte Gewinne”
    Ein Film von Susanna Dörhage und Sandy Palenzuela
    zu sehen (noch) hier: https://www.wdr.de/tv/diestory/sendungsbeitraege/2013/0311/medizin.jsp oder auch auf Youtube https://www.youtube.com/watch?v=t-YAa0z5RS0 (ab 40′ 22”) .

    Edzard Ernst
    “Also für mich stellt sich das so dar: Eine gute Medizin besteht aus zwei wesentlichen Elementen. Das eine ist die Wissenschaft und das andere ist die Kunst der Medizin. Das heißt die Kunst, die Zuwendung, die zwischenmenschliche Interaktion, dass man Zeit hat – dass man Zuwendung hat, Empathie den Menschen gegenüber bringt. Das alles fasse ich als die Kunst in der Medizin zusammen. Und eine Medizin ist immer dann schlecht, wenn ein Element unterentwickelt ist. In der Alternativmedizin ist ganz deutlich die Wissenschaft nicht nur unterentwickelt sondern wird mit den Füßen getreten. In der Schulmedizin ist es häufig so, dass die Kunst der Medizin unterentwickelt ist, vernachlässigt wird. Und das alles können Alternativmediziner perfekt.”

    • #5 Joseph Kuhn
      19. März 2013

      Danke für den Link. Das Ernst-Zitat trifft vieles ganz gut, wobei die Trennung von “Wissenschaft” und “Kunst” wohl eher als pragmatische denn als kategoriale Unterscheidung zu sehen wäre. Schließlich lassen sich auch die Effekte von Zuwendung etc. wissenschaftlich untersuchen.

  5. […] und Evidenzbasierung in der Medizin, Gesundheits-Check am 17. März […]

  6. […] und Evidenzbasierung in der Medizin, Gesundheits-Check am 17. März […]

  7. […] und Evidenzbasierung in der Medizin, Gesundheits-Check am 17. März […]

  8. […] und Evidenzbasierung in der Medizin, Gesundheits-Check am 17. März […]

  9. #10 rolak
    18. März 2013

    bin nicht sicher, ob ich Dich wirklich verstanden habe

    Soweit ich das überblicke, hast Du, Joseph, es ging mir um die Aushängeschilder die funktional sind (sprechende Medizin) oder eben aktuell als wertvoll erachteten Schlagworten nahekommen (Naturmedizin). Erst nachdem sich der Angesprochene aus diesen Gründen zu einer Eigenerfahrung hat überreden lassen, wird beim Patienten die Trennung von der Medizin betrieben (deswegen sehe ich die Kritik an der ‘Schulmedizin’ auch nicht als Angelhaken, sondern als gruppendynamischen Weg zu einem wir_gut/die_böse-Denken), wirkt (nicht nur) beim Therapeuten die Selbstrechtfertigung (diesem Patienten gehts besser, also bin ich mit Methode xy ein guter Heiler).

    Nein, selbstverständlich wird welche Methode auch immer nicht dadurch zur Scharlatanerie, daß ihre Heiler auf den Patienten eingehen. Das wird ja nur unternommen, weil sich über die Äonen herausgestellt hat, daß es stimmungshebend und dadurch sogar in gewissem Sinne heilungsfördernd wirkt.

    Die ganzen Handlungen sehe ich übrigens iA nicht als bewußt unternommen an, sondern als dynamisch aus den Heilungsversuchen entstanden, bestenfalls von Vorbildern abgeschaut. Soll heißen, daß (bis auf eventuelle Ausnahmen) nicht vorsätzlich betrogen wird, sondern mangels handfester Datengrundlage nach Bauchgefühl vorgegangen wird und die Bestätigung aus dem confirmation bias kommt.
    Das gilt genauso für das eigentlich Negative, den Kern der Scharlatanerie, also den Nocebo-Effekt, das Herauszögern angemessen wirkungsvoller Behandlung, das Abbringen vom Impfen etc pp – es wird ein Sinngehalt geglaubt, schlicht nicht mehr kritisch hinterfragt.

  10. #11 CM
    18. März 2013

    Was den letzten Postabsatz angeht: Der EbM zugänglich sein, sollte die Frage, ob gute und intensive Anamnesen (die es zumindest in der haus- und fachärztlichen Praxis meiner Erfahrung nach nur selten gibt) die Diagnose- und damit die Therapiequalität beeinflussen.
    Meine Meinung hierzu ist vorgefasst und es würde mich nicht erstaunen, wenn dem so wäre (ist? = möglicherweise gibt es dazu dezidierte Arbeiten, die mir aber nicht bewußt sind). An der Stelle aber wäre der Vergütungskatalog der Kassenärztlichen Vereinigungen überarbeitungswürdig und nicht eine weitere Diskussion angeraten (außer mit den Kassen) – aber auch diese Idee ist nicht neu …

  11. #12 miesepeter3
    18. März 2013

    @ Joseph Kuhn

    “Das sind sozusagen die Erbschleicher des Pluralismuskonzepts.”

    Entzückende Formulierung, bin begeistert.

    Aber was haben einige dieser Erbschleicher aus der Neurologie als Neuestes festgestellt?
    Offensichtlich besitzt der Mensch ein außerordentlich effezientes Selbstheilungssystem. das mit (fast) allen Krankheiten von allein fertig wird. Allerdings nur, wenn es sich auch tatsächlich einschaltet. Eine stetiges Verweilen im Höchstlaststadium ist offensichtlich nur unter Ausnutzung aller vorhandenen Recourcen möglich, dabei würde für`s Leben selbst nicht mehr viel übrig bleiben. Deshalb fährt das System bildlich gesprochen im Standbymodus und bedarf im Falle eines Falles eines entsprechenden Anschaltbefehls. Dieser kommt bei einigen Menschen bei einigen Krankheiten mehr oder weniger von allein, bei manchen aber eben auch nicht.
    Diesen Anschaltbefehl zu geben beherrschen die sogenannten Quacksalber (nicht die Scharlatane) offensichtlich wesentlich besser, als die meisten Mediziner.
    Vielleicht sollten unsere angehenden Ärzte zumindestens in diesem Punkt bei ihrer “Konkurrenz” in die Lehre gehen?
    Der Evidenzbasierung würde das vielleicht gut tun.

  12. #13 Joseph Kuhn
    18. März 2013

    @ miesepeter3: Mit Radio Eriwan möchte ich antworten: Im Prinzip ja, aber … : Die Mobilisierung von Selbstheilungskräften ist sicher etwas, was in der somatischen Medizin konzeptionell und praktisch zu wenig berücksichtigt wurde. Die Kranken wurden “behandelt”, ihre Mitwirkung war die Compliance gegenüber ärztlichem Paternalismus. Aber erstens gab es auch in der Medizin schon immer Segmente, in denen es anders war, z.B. die Psychotherapie oder die Psychosomatik, zweites wird das in der Medizin insgesamt immer mehr reflektiert, drittens muss man bedenken, dass in manchen Bereichen die Selbstheilung bestenfalls eine Art “Endmontage” darstellt (z.B. nach einer Operation), dass viertens daraus keine Stigmatisierung der Kranken werden darf (“Du bist schuld, Du hast Deine Selbstheilungskräfte vernachlässigt”), weiter, dass man auf die Abgrenzung zu Konzepten des “positiven Denkens” und ähnlichen Selbstüberschätzungen achten muss (die z.B. in alternativen Krebsbehandlungen oft hochgehalten werden, aber zumindest dort wirkungslos sind) usw. – ein einfaches Patentrezept wird also auch daraus nicht. Nichtsdestotrotz hat man es hier mit einem Bereich zu tun, aus dem nicht nur gute Hausärzte schon immer einen Teil ihrer Heilerfolge beziehen, sondern eben auch die “Alternativmedizin”. Wobei gerade in manchen Sparten der Alternativmedizin die Selbstheilung konzeptionell gar nicht viel gilt, sondern angeblich der Guru oder der Heilstein alles bewirken. Was die Empfehlung mit der Lehre betrifft: Mir wäre es lieber, die angehenden Ärzte lernen von guten Hausärzten als vom Astrologen.

  13. […] Science-Blog Gesundheits-Check schreibt […]

  14. #15 Dr. Webbaer
    19. März 2013

    Tatsächlich wird der Meinungspluralismus durch die moderne zeitgenössische Wissenschaftlichkeit, die der Aufklärung geschuldet ist, bezogen auf den wissenschaftlichen Diskurs eingeschränkt.

    Der Schreiber dieser Zeilen hält das für so gut wie notwendig.

    Andersmeinende dürfen gerne in esoterischen Kreisen weitermachen.

    MFG
    Dr. W

  15. #16 miesepeter3
    19. März 2013

    @ Joseph Kuhn

    “Mir wäre es lieber, die angehenden Ärzte lernen von guten Hausärzten als vom Astrologen.”

    Im Prinzip ja, es sei denn der Astrologe ist auch noch Hausarzt.
    Spaß beseite, das Lehren von “Anschubsen” der Selbstheilungskräfte wird wahrscheinlich effektiver von Leuten erfolgen, die sich mit Krankheiten beschäftigen, nicht mit der Deutung von Sternen, die vielleicht gar nicht mehr da sind, wo sie eigentlich sein sollten.
    Warum haben denn Heilpraktiker, Handaufleger und Schamanen solchen Zulauf? Weil sie nichtwirksame Methoden anwenden? Nee, weil “irgendeine” Wirkung schon von den Kranken verspürt wird, eben die Selbstheilungskraft. Wenn die der Hausarzt zusätzlich zu seinen wirksamen Arzneien benutzen würde, wäre möglicherweise der Medizin noch mehr Erfolg beschieden.

  16. #17 Adent
    19. März 2013

    @miesepeter3
    Ich möchte dem auch widersprechen, aus meiner Sicht ist es eher so, daß die Hausärzte heutzutage auf Grund der glorreichen Gesundheitsreformen gar keine Zeit mehr haben, um sich auf den Patienten einzustellen, ihn quasi seine Selbstheilungskräfte entdecken zu lassen. Diese Zeit wiederum haben privat bezahlte (und nicht schlecht bezahlte) Heilpraktiker, Schamanen oder Astrologen natürlich zur Genüge, da sei der Gesundheitsreform nicht unterliegen.
    Und genau deshalb haben die erwähnten Scharlatane verschiedenster Coleur einen solchen Zulauf, nicht weil sie etwas grundlegend neues praktizieren, was nur noch nicht zur Genüge erforscht ist. Der Gipfel ist es dann noch, wenn diese Kosten beim Scharlatan von der KK übernommen werden, die gleiche Leistung beim Arzt aber nicht, weil der ja kein Alternativmediziner ist, verrückter geht es kaum oder?

  17. #18 Joseph Kuhn
    19. März 2013

    @ Adent: So ist es. Wer ernsthaft Alternativen in der Medizin entwickeln will, sollte nicht nach den Sternen Ausschau halten, sondern sich um die gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen ärztlichen Handelns kümmern.

  18. #19 rolak
    19. März 2013

    Hausärzte .. keine Zeit mehr haben

    Auch wenn ich ebenfalls für eine Änderung der GOÄ in Richtung Gesprächszeit bin, Adent, zum aktuellen Zustand: Mit dem Patienten-Status beim Schamanen, nämlich ‘Selbstzahler’, wird sich lässig mit dem Hausarzt reichlich Zeit für ein längeres Gespräch aushandeln lassen, wenn der nicht eh schon (wie bei mir bereits des öfteren) eine kleine Delle in der Patientenflut genau dazu nutzt.

    Es ist mir schleierhaft, warum so viele Patienten zu diesem Zwecke einen Unbekannten aufsuchen. Ok – neue Besen kehren gut, sagt man und der Placeboeffekt kann auch durchaus gepusht werden, wenn man sich seit Wochen schon die Lobpreisungen Anderer hat anhören dürfen (deswegen fluppt das bei mir nicht: Es ist eher ‘müssen’ als ‘dürfen’). Doch was ist mit dem Vertrauen, also dem Grund, warum ich überhaupt einen Hausarzt habe und nicht ‘täglich einen neuen Arzt’ (um Wecker fast zu zitieren)?

    Und wenns denn unbedingt ein Neuer sein soll – warum nicht mal zum Psychologen? Das zahlt die Kasse, da ist intensives Gespräch Programm und die haben sogar funktionale Techniken zur Problembewältigung. Angst davor, für bekloppt gehalten zu werden? Wie gesagt, ist mir alles schleierhaft.

  19. #20 Joseph Kuhn
    19. März 2013

    Die GOÄ zu ändern, würde sicher nicht reichen, z.B. nicht bei kassenärztlichen Leistungen. Und beim “Psychologen” zahlt die Kasse nur, wenn es ein Psychologischer Psychotherapeut oder ein Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut mit Kassenzulassung ist und er das tut, was er tun darf. Das Gespräch mit dem Arzt über wiederkehrende Infekte z.B. lässt sich dadurch nicht ersetzen.

    Es müsste sich in der Medizin insgesamt vieles ändern, von der Honorierung des Gesprächs (Anamnese, Beratung etc.) bis zum Selbstverständnis vieler Ärzte, die glauben, nur dann gute Ärzte zu sein, wenn sie für alles eine Lösung parat haben. Letzteres entspricht wiederum der Erwartung mancher Patienten und ist in diesen Fällen dann auch ein problematischer Teil des “Placebos Arzt” (der Halbgott in Weiß unterscheidet sich ja gar nicht so sehr von den allmachtsphantastischen Versprechen der Alternativler).

    Es geht letztlich um das Programm einer Weiterentwicklung der Medizin insgesamt hin zu einer wissenschaftlich fundierten, aber gleichwohl den Patienten als ganzen Menschen ernstnehmenden Medizin. Klingt trivial, ist es aber nicht. Und je mehr der zweite Aspekt dieses Programms mit dubiosen Weltanschauungen assoziert wird, desto schwerer wird es umzusetzen sein.

  20. #21 Ludger
    20. März 2013

    Die Patienten haben eine Erwartungshaltung und die Kassenärzte/innen haben das Sozialgesetzbuch V:

    Ҥ 12 Wirtschaftlichkeitsgebot
    (1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.”

    Frage der Patientin:” Was kann ich tun, damit meine Kaiserschnittnarbe gut heilt?”
    Antwort Kassenarzt: ” Achten Sie darauf, dass die Narbe luftig verpackt ist, dann heilt sie von alleine, da muss man nichts verbessern.”
    Klar, für den Ratschlag bekommt der Dr./ die Frau Dr. nichts (Fallpauschalen) und rezeptieren darf er auch nichts auf Kassenkosten wegen §12. Meine Gesundheit ist mir aber was wert, also frage ich jemanden, der Ahnung hat (Hebamme, Heilpraktiker), Apotheker). Umsonst gibt heutzutage halt nix.
    Dann gibt es :
    https://www.dooyoo.de/sonstige-therapeutische-mittel/weleda-heilsalbe/

    Neuester Testbericht: … war. Die Stelle hatte sich auch bereits entzündet. Das bedeutet nichts Gutes. Meine Hebamme empfahl mir daraufhin die Weleda … mehr

    Inhalt:

    Wirkstoff 0.5 mg
    Calendula officinalis 2a (hom./anthr.) Ø
    Wirkstoff 54 mg
    Lärchen Harz
    Wirkstoff 1.8 mg
    Mercurialis perennis 2b (hom./anthr.) Ø
    Wirkstoff 80 mg
    Perubalsam
    Wirkstoff 3.6 mg
    Sesamöl, raffiniert
    Hilfsstoff +
    Wachs, gelb
    Hilfsstoff +
    Wasser, gereinigt
    Hilfsstoff +
    Wollwachs
    Hilfsstoff +
    Butylhydroxytoluol
    Hilfsstoff +
    Wollwachsalkohole
    Hilfsstoff +

    (Die aufgeführte Zusammensetzung bezieht sich auf 1 Gramm)

    Wenn es die Hebamme empfiehlt, kommt es auf etwas Quecksilber und krebserregenden Perubalsam in der Salbe nicht so drauf an. Dieser (konstruierte) Verlauf könnte nur mit einer Abschaffung der Sonderrechte für “besondere Therapierichtungen: Binnenkonsens ” verhindert werden. Meine Tochter hatte für Ihre Sectionarbe in der Apotheke eine antroposophische Salbe bekommen mit einer homöopathischen Zubereitung von Cutis Feti Bovis. Salbe mit der Haut von abgetriebenen Rinderfoeten wollte sie dann doch nicht auf ihrer Sectionarbe haben und hat ihrem Vater vertraut: am besten hilft Luft.

  21. #22 Adent
    20. März 2013

    @Ludger
    Und noch ergänzend zu der tollen Quecksilber/Perubasalbe soll man die ja auch auf wunde Brustwarzen applizieren (vor dem Stillen dann Reste abwaschen, aha).
    Da sag ich nur Prost Mahlzeit lieber Nachwuchs!

  22. #23 Ludger
    20. März 2013

    Korrektur:
    Mercurialis perennis ist Wald-Bingelkraut (siehe Wikipedia, also kein Quecksilber. Wirkt abführend, na immerhin. Allerdings braucht eine primär heilende Bauch-OP-Wunde überhaupt keine Salbe.
    Das Zeug von meiner Tochter war wohl:
    <blockquote<
    NARBEN GEL, 30 G, Wala Heilmittel GmbH
    Wirksame Bestandteile
    Allium cepa ferm 34a (hom./anthr.) 10mg
    Barium citricum aquosum (hom./anthr.) 10mg
    Cutis feti bovis Glycerolauszug (hom./anthr.) 10mg
    Hirudo ex animale Glycerolauszug (hom./anthr.) 10mg
    Mesenchym bovis Glycerolauszug (hom./anthr.) 10mg
    Polygonatum e radice ferm 33d (hom./anthr.) 10mg
    Thuja occidentalis ferm 33e (hom./anthr.) 10mg
    Vespa crabro ex animale Glycerolauszug (hom./anthr.) 10mg
    Rosmarinöl 5mg
    = Vespa crabro comp (hom./anthr.)

    Glycerol Hilfstoff
    Guar Hilfstoff
    Natrium alginat Hilfstoff
    Natrium chlorid Hilfstoff
    Natrium hydrogencarbonat Hilfstoff
    Silicium dioxid Lösung, wässrig kolloidal Hilfstoff
    Thymianöl Hilfstoff
    Wasser, für Injektionszwecke Hilfstoff
    Wasser, gereinigt Hilfstoff

    Ob es für das Zeug wohl einen Wrksamkeitsnachweis gibt?

  23. #24 Adent
    20. März 2013

    @Ludger
    Klar, sonst mach ich schnell einen. Mir hats geholfen bei Ausschlag, Jucken und sonstigem Unwohlsein, zufrieden?

  24. #25 Verwundert
    4. April 2013

    Kurze Unterbrechung.

    Wir machen zwei kleine Rätsel. Dann bleiben die grauen Zellen gesund und fit!

    Aufgabe 1: Die Kosten einer Praxis belaufen sich – je nach Größe und Ausstattung – zwischen 150.- und 400.- pro Stunde.

    Für eine Beratung erhält der niedergelassene Kassenarzt 10.- pro Quartal.

    Wieviele Patienten müssen bei einer konventionellen “sprechenden Medizin” beraten werden, damit die Kosten gedeckt werden können?

    Aufgabe 2: Bei einer homöopathischen Anamnese dürfen 150.- Euro kassiert werden. Wieviele Patienten müssen homöopathisch oder auch gern esoterisch beraten werden, damit die Kosten gedeckt werden können?

    Auflösung folgt.

  25. […] in Sachen Homöopathie“ Christian Weymayrs Konzept der „Scientabilität“ diskutiert. Christian Weymayr geht es dabei darum, dass man naturwissenschaftlich unhaltbare Theorien nicht mit den Methoden der klinischen […]