Mehr Prävention ist erwünscht, darüber sind sich eigentlich in der Gesundheitspolitik seit langem alle einig. Die Frage ist, wie soll das bewerkstelligt werden. Fachleute fordern seit langem ein Präventionsgesetz, das regelt, welche Ziele verfolgt werden sollen, wer dabei mitzuwirken hat und wie die Finanzen aufzubringen sind.
Präventionsgesetz: erst ja, dann nein, jetzt doch
Ein solches Präventionsgesetz ist in Deutschland in den letzten Jahren im parlamentarischen Prozess mehrfach gescheitert, weil sich die Parteien nicht einigen konnten. Die schwarz-gelbe Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag dann gleich festgelegt, dass sie gar kein Präventionsgesetz will. Jetzt hat sie doch einen Gesetzentwurf vorgelegt – mit der in der Geschichte dieser Gesetzentwürfe wohl einmaligen Reaktion der Wissenschaft, dass unisono alle Fachgesellschaften den Entwurf als grundsätzlich verfehlt kritisieren, sei es die Arbeitsgemeinschaft der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, die Deutsche Gesellschaft für Public Health, das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin oder die Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung. Die Krankenkassen sind eh dagegen.
Gesundheitswissenschaftlich nicht up to date
Die Hauptkritikpunkte sind: Es macht keinen Sinn, Prävention erst als gesamtgesellschaftliche Aufgabe darzustellen und dann alleine die Krankenkassen in die Pflicht zu nehmen. Es macht keinen Sinn, große präventionspolitische Ziele, z.B. die Senkung der Häufigkeit von Diabetes oder Brustkrebs anzuvisieren und dann nur eine symbolische Summe in die Hand zu nehmen. Und es macht keinen Sinn, angesichts dessen, was die Gesundheitswissenschaften über die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen wissen, vor allem auf die individuelle Verhaltensprävention zu setzen und die Verhältnisprävention zu vernachlässigen.
Moralisierend, bürokratisch, zentralistisch
Das für den Gesetzentwurf zuständige Ministerium wird bekanntlich von der FDP geführt und dementsprechend fleißig wird die Eigenverantwortungsrhetorik gepflegt. Ironischerweise führt aber der Verzicht darauf, die Lebensbedingungen der Menschen im Sinne des Konzepts „Health in all Policies“ möglichst gesundheitsgerecht zu gestalten, dazu, ihr individuelles Leben zu regulieren. Es bleibt dann eben nichts anderes mehr als die Ermahnung zu einer gesunden Lebensführung: Raucht weniger, trinkt weniger, bewegt euch mehr, ernährt euch gesünder. Guido Bohsem schreibt dazu heute in der Süddeutschen Zeitung: „Lebten wir so, dann würde das Leben keinen Spaß mehr machen und man könnte eigentlich darauf verzichten.“
Das ist natürlich böse Polemik: Warum das Angebot einer Krankenkasse, an einer Rückenschule teilzunehmen, einem den Spaß am Leben versauen soll, ist nicht ganz nachvollziehbar, aber Bohsem legt damit trotzdem den Finger in die Wunde dieses Gesetzentwurfs: Wer „Eigenverantwortung“ so buchstabiert, dass damit fremdgesetzte Ziele eigenverantwortlich umgesetzt werden sollen, denkt nicht liberal. Dieses von der FDP propagierte Eigenverantwortungskonzept hat stattdessen unerwünschte gesundheitsmoralische Nebenwirkungen. Man kennt das aus den USA, dort bestimmt die Norm der gesunden Lebensführung den Alltag der Menschen noch viel stärker als bei uns, „Healthismus“ hat der Berliner Gesundheitswissenschaftler Hagen Kühn das vor mehr als 20 Jahren genannt. Auch paradox: Der Gesetzentwurf der schwarz-gelben Koalition will die Prävention an das differenzierte und kleinteilig ausformulierte System der Nationalen Gesundheitsziele binden. So sinnvoll diese Gesundheitsziele an sich sein mögen, als gesetzlich bindende Vorgabe für die Prävention lässt das vor allem viel Bürokratie erwarten, vielleicht sogar den bürokratischen Infarkt des ganzen Vorhabens.
Dem entspricht, dass der Gesetzentwurf zu zentralistisch angelegt ist: Nicht nur, dass die Prävention an Nationalen Gesundheitszielen ausgerichtet werden soll, beim Bundesministerium soll eine ständige Präventionskonferenz angesiedelt werden, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll mit zentralen Kampagnen durch den Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen beauftragt werden und der Spitzenverband soll auch die Qualitätsmaßstäbe vorgeben. Manches davon ist sinnvoll, aber die Gesamtmischung stimmt nicht. Prävention muss dem regionalen Bedarf folgen, Länder und Kommunen müssen mitreden können. Man kann nicht alles „von oben“ vorgeben.
Lieber nichts als das?
Gesundheitswissenschaftlich verfehlt, gesundheitsmoralisch bevormundend, bürokratisch überfrachtet und zu zentralistisch: Da kommt der Wunsch auf, auch dieser Anlauf für ein Präventionsgesetz möge doch besser scheitern.
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