Frühling. Die Zeit, in der alles blüht und die Stimmung steigt – und die Suizide zunehmen. Anders als man vermuten könnte, sind es nämlich nicht die dunklen Wintermonate, in denen sich die Menschen am häufigsten das Leben nehmen. Vielleicht empfinden Menschen mit Depressionen im Frühling, wenn andere so aufmuntert wirken, ihre Situation besonders bedrückend. Ausgeprägt ist das jahreszeitliche Muster bei den Suiziden aber nicht.
Trend
Dagegen ist eine andere Entwicklung möglicherweise substantieller. Vor gut einem Jahr hatten wir hier auf Gesundheits-Check schon einmal berichtet, dass die Suizide nach einem langjährigen Rückgang wieder zunehmen. Im Jahr 2007 gab es mit 9.402 Fällen die bisher geringste Zahl, 2011 waren es 10.144, neuere Zahlen gibt es noch nicht.
Die Gründe dafür sind nach wie vor nicht bekannt. In Krisenländern wie Griechenland wird auch ein Anstieg der Suizide beobachtet und das führt man auf die sozialen Folgen der Finanzmarktverwerfungen zurück, so Medienmeldungen, z.B. in der ZEIT. Da in Deutschland die Finanzkrise bisher kaum negative Auswirkungen hat, wäre eine solche „wirtschaftspolitische“ Erklärung für Deutschland aber recht spekulativ.
Begriffe und Moral
Nur nebenbei: Die ZEIT bringt es dabei fertig, in einem kurzen Text sowohl von „Freitod“ zu sprechen – eine romantisierende Bezeichnung für den Suizid, der tatsächlich meist Folge einer Depression oder einer anderen psychischen Störung ist, als auch vom „Selbstmord“, eine Bezeichnung, aus der noch die kirchliche Verurteilung der Selbsttötung herausklingt. Der Begriff „Freitod“ soll übrigens auf Schopenhauer zurückgehen, der Begriff „Selbstmord“ auf Johann Conrad Dannhauer, einen lutherischen Theologen. Immerhin hat die ZEIT trotz der Verbindung zur Finanzkrise nicht vom „Bilanzselbstmord“ gesprochen, dieser Begriff geht nämlich auf Alfred Hoche zurück, einen Psychiater, der 1920 zusammen mit dem Juristen Karl Binding das furchtbare Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ geschrieben hat. Der neutrale Begriff „Suizid“ (Selbsttötung) wird dem englischen Philosophen Thomas Browne zugeschrieben.
Männerbilder
Zurück zur Statistik: Vollzogene Suizide sind – anders als Suizidversuche – „Männersache“, etwa drei Viertel der Suizide entfallen auf die Männer. Genauer: Sie sind eine Sache älterer Männer. Altwerden, nicht mehr gebraucht werden, körperliche Einschränkungen hinnehmen müssen usw. – all das scheint für Männer in Deutschland (und in den Ländern, in denen die Suizidraten ebenfalls nach dem sog. „ungarischen Muster“ verlaufen) nicht einfach zu verkraften zu sein.
In Japan sieht das etwas anders aus. Die Suizidrate ist in Japan Mitte der 1990er Jahre angestiegen, auch hier vermutet man einen Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise des Landes. Alte Männer sind in Japan aber nicht in gleichem Maße betroffen wie in Deutschland. Ob man in Japan als Mann „einfacher“ alt wird?
Neben der dringend verbesserungsbedürftigen Früherkennung und –behandlung psychischer Störungen wäre also vielleicht auch ein anderes Männerbild, das weniger auf Erfolg und Leistungsfähigkeit fixiert ist, hilfreich bei der Verringerung der Suizide in Deutschland. Und ob es dann so gut ist, wenn man, wie es neuerdings immer öfter zu hören ist, auch noch „erfolgreich altern“ muss?
Männer und ihre Waffen
Abschließend, weil nebenan bei Jürgen Schönstein gerade die irrsinnige Waffenliebhaberei in den USA mit ihren im doppelten Sinne selbstmörderischen Folgen diskutiert wird, noch eine Bemerkung zur Rolle von Schusswaffen bei Suiziden in Deutschland. 2011 haben sich in Deutschland 753 Menschen das Leben mit Schusswaffen genommen, fast ausschließlich Männer, „nur“ 35 Frauen (sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist das Erhängen und Strangulieren die häufigste Suizidmethode, gefolgt von den Vergiftungen). Mord mit Schusswaffen kommt in Deutschland der polizeilichen Kriminalstatistik zufolge übrigens viel seltener vor, etwa 150 Fälle gibt es jährlich.
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