Vor zwei Jahren ging der Fall Don Poldermans durch die Medien. Don Poldermans war ein renommierter niederländischer Herzkreislauf-Forscher am Erasmus Medical Center, Rotterdam. Eine Untersuchung der Universität hatte festgestellt, dass er nicht nur Daten von Patienten ohne deren schriftliche Einwilligung verwendet hat, sondern auch methodisch unsauber vorging und sogar fiktive Daten verwendet haben soll. Don Poldermans wurde entlassen.
Betroffen von den Datenmanipulationen war eine Serie von Studien unter dem Kürzel DECREASE. Diese Studien sind ein wichtiger Teil der Evidenzbasis für europäische und amerikanische Leitlinien zum Umgang mit kardialen Risiken bei nichtkardialen Operationen, z.B. zum Einsatz von Beta-Blockern. Kardiale Risiken haben viele Menschen, d.h. diese Leitlinien betreffen eine große Zahl von Operationen.
In einem Fachinformationsdienst (DEGAM-Benefits, Prof. Michael Kochen) wurde heute auf die open access veröffentlichte Metaanalyse von Bouri et al., ”Meta-analysis of secure randomised controlled trials of β-blockade to prevent perioperative death in non-cardiac surgery”, hingewiesen. Die Metaanalyse untersucht die Folgen des Einsatzes von Beta-Blockern bei nichtkardialen Operationen unter Ausschluss der DECREASE-Studien.
Das Ergebnis hat es in sich: „The well-conducted trials indicate a statistically significant 27% increase in mortality from the initiation of perioperative β-blockade that guidelines currently recommend.“ Die Autor/innen begründen damit eine eindeutige Forderung: “Guideline bodies should retract their recommendations based on fictitious data without further delay.“
Ich bin kein Kardiologe, aber so etwas liest man selten. Der zitierten Metaanalyse zufolge würde die leitliniengerechte Behandlung die Sterblichkeit drastisch erhöhen, statt sie zu reduzieren, weil ein Wissenschaftler leichtfertig mit Daten umgegangen ist. Falls diese Metaanalyse fachlich standhält und die fraglichen Leitlinien tatsächlich noch immer die Behandlungsstandards vorgeben, sollte das keinen Chirurgen mehr ruhig schlafen lassen.
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P.S.: Don Poldermans hat im April 2013 im American Journal of Medicine in einem Kommentar unter der Überschrift „Scientific Fraud or a Rush to Judgment?“ seine Sicht der Dinge dargelegt. Demnach habe es zwar bei den Studien protokollwidrige Vorkommnisse gegeben, aber keinen wissenschaftlichen Betrug.
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