… heißt ein gerade erschienenes Buch von Sebastian Herrmann, das sich damit beschäftigt, warum oft so hartnäckig unhaltbare Überzeugungen gegen alle Vernunft verteidigt werden: dass homöopathische Kügelchen heilende Informationen in sich tragen, die Sterne doch etwas über die Zukunft sagen, Impfen grundsätzlich schlecht ist oder Passivrauchen nie und nimmer schädlich sein kann. Vertraute Themen für scienceblogs-Leser/innen.
Sebastian Herrmann ist Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung und schreibt dort schon seit längerem über Aberglaube, Esoterik und Alternativmedizin. Sein Buch beginnt mit dem tragischen Fall von Christine Maggiore, einer 2008 verstorbenen AIDS-Denialistin, die sich durch nichts, auch nicht durch den Tod ihres HIV-infizierten Kindes Eliza Jane, davon abbringen ließ, dass HIV nicht die Ursache von AIDS sei und eine „schulmedizinische“ Behandlung daher unnötig. Die Autopsie des Kindes ließ an der Todesursache keinen Zweifel. Wenige Jahre später starb auch Christine Maggiore selbst an ihrer AIDS-Erkrankung. Ihre Anhänger ließen sich dadurch nicht beirren: die HIV-Infektion kann es nicht gewesen sein. Der Fall berührt.
Wie kommt es dazu, dass sich ansonsten durchaus alltagstaugliche Menschen derart realitätsverleugnend verhalten? Und gibt es Wege, zu ihnen durchzudringen? Sebastian Herrmann versammelt in seinem Buch eine Fülle von psychologischen Befunden dazu. Er berichtet z.B. von Experimenten zum confirmation bias (der selektiven Suche nach Argumenten, die die eigene Position bestätigen), vom IKEA-Effekt (der emotionalen Wertschätzung mühsam gewonnener Überzeugungen), dem Dr.-Fox-Effekt (der Überzeugungskraft wissenschaftlich klingenden Unsinns), dem mere exposure effekt (der vertrauenserzeugenden Wirkung der Wiederholung) und vielen anderen Denkfallen, denen wir alle leicht zum Opfer fallen und die zugleich dazu beitragen, irrationale Glaubenssysteme zu stabilisieren.
Das Buch besticht durch den Reichtum an Material, das Sebastian Herrmann zu seinem Thema zusammengetragen hat. Manche seiner Empfehlungen wären eine längere Diskussion wert, z.B. dass man auch gegenüber den Starrköpfen der „5:1-Regel“ folgen solle, also 5 mal loben, bevor man einmal kritisiert, weil das die Akzeptanz von Kritik fördert. Wer mag in einer hitzigen Debatte wohl so viel Argumentationspädagogik aufbringen, noch dazu glaubhaft? Und was ist davon zu halten, wenn Herrmann vor dem Hintergrund der Wirksamkeit von Anekdoten und Geschichten dafür plädiert, im Umgang mit Starrköpfen selbst Geschichten zu verwenden. „Anekdoten lassen Starrköpfe weich werden“, schreibt Herrmann. Wie oft haben wir dagegen hier auf scienceblogs geschrieben, dass anekdotische Evidenz wissenschaftlich nicht zählt. Das ist wahr, aber ist es auch überzeugend? Zeigt Sebastian Herrmann nicht schon mit seinem Eingangsbeispiel, dem Fall von Christine Maggiore, dass wir in unserem Alltagsdenken alle viel empfänglicher für „anekdotische Evidenz“ sind als für Statistiken? Sollte man sich, um mehr Vernunft in Esoterikdebatten zu bringen, also gewissermaßen ein Beispiel an der Bibel nehmen, die ihre Botschaften ja auch in Gleichnissen, also Geschichten, vermittelt? Oder ist das manipulativ und es läuft letztlich der Förderung rationalen Denkens zuwider, auf irrationale Überzeugungen mit „Psychotricks“ zu reagieren, wie es der – etwas reißerische – Untertitel des Buches „Psychotricks für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern, Fundamentalisten, Partnern und Ihrem Chef“ nahelegt?
Auch über den „Fall Marc Lynas“, den Herrmann erzählt, lohnt es sich nachzudenken. Marc Lynas war Umweltaktivist, der lange pauschal gegen Gentechnik eingestellt war, sich dann schrittweise Gegenargumenten öffnete – und von seinen früheren Freunden regelrecht exkommuniziert wurde. Gibt es da nicht Parallelen zu dem Bostoner Public Health-Professor Michael Siegel und seinen Problemen mit der Tabakkontrollbewegung, seit er sich kritisch gegenüber manchen Studien zum Passivrauchen äußert? Wenn Glaubensbekenntnisse wissenschaftliche Debatten kontaminieren, kommt es schnell zur Besetzung von Schützengräben, manchmal mit paradoxen Ergebnissen: Michael Siegel, der keinen Zweifel an der Schädlichkeit des Tabakkonsums lässt, wird seit einiger Zeit von der Tabaklobby als Kronzeuge gegen eine angebliche Anti-Tabak-Weltverschwörung der WHO vereinnahmt. Wie schnell solche Schützengräben selbst zwischen bemüht kritischen Geistern entstehen können, mögen die heftigen Diskussionen zur Beschneidung hier auf scienceblogs vor einem Jahr belegen. Auch mancher Scienceblogger ist da zum Starrkopf mutiert.
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