Vor zwei Jahren kam das Buch „Deadly Medicines and Organised Crime. How big pharma has corrupted health care“ von Peter Gøtzsche im englischen Original heraus. Das Buch ist mit dem Annual Book Award der British Medical Association ausgezeichnet worden. Jetzt ist es unter dem Titel „Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert“ auf Deutsch erschienen. Es kostet 24,99 Euro.
Das Geld ist gut angelegt, das Buch erzählt eine Unmenge haarsträubender Geschichten aus der Pharmawelt. Zwar kennt man viele der Konzernschmutzeleien schon aus anderen Veröffentlichungen, die geballte Ladung, die von Peter Gøtzsche hier präsentiert wird, macht dann aber doch wieder fassungslos. Allein seine Auflistung der milliardenschweren Strafzahlungen der Pharmakonzerne in den letzten Jahren lässt einen ungläubig den Kopf schütteln. Die Diskussion, ob wirklich alles (noch) stimmt, was man da lesen kann und ob Gøtzsche manchmal nicht auch zu sehr pauschaliert und agitiert, kann man führen, aber sie lenkt davon ab, dass er zu Recht ein System anprangert, das aus dem Ruder gelaufen ist. Dass das Buch im Münchner riva-Verlag erschienen ist, der eher für Fitnessratgeber oder Diätbücher bekannt ist, lässt Raum für manche Spekulation. Immerhin haben Gerd Gigerenzer, Peter Sawicki und Wolfgang Becker-Brüser, alles andere als Nobodys in der evidenzbasierten Medizin, der deutschen Ausgabe freundliche Begleitworte mitgegeben. Die Vorworte selbst sind aus der englischen Ausgabe übernommen, eines von Richard Smith, dem früheren Herausgeber des BMJ, das andere von Drummond Rennie, früher stellvertretender Herausgeber des JAMA, beides renommierte Medizinzeitschriften. Den Medical Journals widmet Gøtzsche übrigens ein eigenes Kapitel im Buch.
Wer nach der Lektüre des Buchs von Peter Gøtzsche noch nicht genug hat, kann nachlegen: Empfohlen seinen z.B. das schon 2013 bei Kiepenheuer & Witsch auf Deutsch verlegte Buch „Die Pharmalüge. Wie Arzneimittelkonzerne Ärzte irreführen und Patienten schädigen“ von Ben Goldacre oder das 2010 im gleichen Verlag produzierte Buch „Korrupte Medizin. Ärzte als Komplizen der Konzerne“ von Hans Weiss. Oder das Buch „Gesunder Zweifel“ von Ursel Sieber über den Fall Sawicki, 2010 im Berlin Verlag erschienen.
Trotzdem: Kaufen Sie Ihre Medikamente lieber aus Industrieproduktion in der Apotheke als aus dubiosen Quellen im Internet. Hier ist keine Abhilfe mit einem veränderten Verbraucherverhalten zu schaffen – dazu fehlt einem das Wissen zum konkreten Produkt, sondern nur durch staatlichen Verbraucherschutz. Wenn der Verbraucher, sprich Wähler, es will und sich dafür einsetzt. Derzeit haben die Konzerne die deutlich bessere Lobby.
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Nachtrag 20.1.2015: Ein Kollege hat mich gefragt, was ich denn mit der Andeutung meine, dass vielleicht nicht alles so 100%ig stimme. Zwei Beispiele: Dass Freud behauptet hätte, “wir alle seien homosexuell” (Seite 306), glaube ich nicht, ich kann mich nicht erinnern, das einmal bei Freud gelesen zu haben. Ebenso spanisch kommt mir die Behauptung vor, ADHS-Medikamente würden “bei etwa 10 Prozent der Kinder bipolare Störungen auslösen” (Seite 296). Solche Dinge hätte ein gutes Fachlektorat bereinigen sollen. Wie gesagt, am Gesamtbild ändert das nichts.
Nachtrag 22.1.2015: Das oben erwähnte Buch von Ben Goldacre gibt es nicht nur im Buchhandel für 19,99 Euro, sondern auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung für 4,50 Euro plus Versandkosten, mit schwarzem Humor in der Rubrik “Wirtschaft”: https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/190442/bad-pharma
Nachtrag 5.2.2015: Die Süddeutsche Zeitung hat heute ein Interview veröffentlicht, das Markus Schulte von Drach mit Peter Gøtzsche geführt hat. Das Interview fasst das Buch kurz und bündig zusammen – von den beeindruckenden Strafzahlungen der Konzerne über medikamentenbedingte Sterbefälle, die man hätte vermeiden können bis hin zum Versagen der Aufsichtsbehörden. Für Peter Gøtzsche ist das System am Ende: “Die Pharmaindustrie ist schlimmer als die Mafia”, ist das Interview überschrieben, und er zieht daraus das Fazit: “Wir brauchen eine Revolution im Gesundheitswesen”. Die wird es vermutlich aber erst geben, wenn so ein Interview in der “Apothekenumschau” erscheint.
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