In der Süddeutschen Zeitung ist heute ein Essay mit dem Titel „Der Preis der Gesundheit“ von Guido Bohsem. Ausgehend von den nichtöffentlichen Preisverhandlungen für das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi® des amerikanischen Herstellers Gilead plädiert er für eine öffentliche Diskussion darüber, wie viel Gesundheit sich die Gesellschaft leisten kann oder will. Sovaldi® gilt als modernes, wirksames Mittel, es ist seit Anfang 2014 in der EU zugelassen und wird auch von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft positiv bewertet.
Das Mittel wirkt aufgrund seines sehr hohen Preises auch diskussionsstimulierend. Nach deutschem Recht darf der Hersteller im ersten Jahr den Preis selbst festlegen, danach wird mit dem Spitzenverband Bund der GKV ein Erstattungsbetrag verhandelt. Gilead möchte 700 Euro pro Pille, die Pille muss täglich bei einer Anwendungsdauer von 12 bis 24 Wochen eingenommen werden, macht 60.000 bis 120.000 Euro pro Behandlung, bei potentiell mehreren hunderttausend Betroffenen also eine ordentliche Summe für die Krankenkassen. Fachleute wie Gerd Glaeske meinen, das Medikament könne von der Kostenseite her betrachtet auch deutlich billiger angeboten werden.
Guido Bohsem weist zu Recht darauf hin, dass es für die Politik zwar bequem ist, wenn über Arzneimittelpreise hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, das sei aber nicht gut. Man müsse sich angesichts begrenzter Ressourcen in der Gesellschaft insgesamt, also öffentlich darüber verständigen, z.B. anhand von Bewertungsmaßstaben wie den QUALYs (qualitätsadjustierten Lebensjahren), was kosteneffizient sei, „welcher Preis für welche Gesundheit angemessen sei“ und dass es doch Dinge gäbe, „die zu teuer sind, um das Leben eines Menschen zu retten“. Bohsem ist Wirtschaftsjournalist marktliberaler Prägung, daher fehlt in seinem Essay auch nicht der Hinweis auf die angebliche „Vollkasko-Mentalität“ der Versicherten, obwohl dieser Hinweis gerade bei der Behandlung von Hepatitis C reichlich fehlplaziert wirkt. Aber man will ja den gewünschten begrifflichen Assoziationsraum schaffen: dass sich alle Gesundheitssysteme „einer unendlich großen Nachfrage nach mehr Gesundheit erwehren“ müssten.
Das klingt fast tautologisch wahr. Man kann nicht mehr ausgeben als man hat und man kann nicht alles für die Gesundheit ausgeben. Man braucht schließlich auch Schulen, Schnürsenkel und Knäckebrot. Bohsem durchbricht aber ungewollt diese ideologische Sachzwangthese selbst, indem er ganz beiläufig fragt, ob es denn falsch sei, dass die Firma auch „einen kräftigen Gewinn machen möchte“. Mit anderen Worten: Es geht eben nicht nur darum, was die gesellschaftlichen Ressourcen hergeben und welchen Anteil der Wertschöpfung man im gesellschaftlichen Konsens für „die Gesundheit“ ausgeben will, sondern ganz brutal auch um die Frage, wie viel Gewinn Konzerne im Gesundheitswesen auf Kosten der Gesundheit machen dürfen, und koste es Menschenleben. Darauf gibt Bohsem keine Antwort, statt dessen deutet er am Beispiel unterschiedlich hoher Entschädigungszahlungen an leitende Angestellte und Sekretärinnen bei Arbeitsunfällen an, dass man auch über den „gesellschaftlichen Nutzen“ besserer Behandlungen nachdenken müsse. Hier grüßt die Bejahung der Zweiklassenmedizin. Nicht jedes Menschen Gesundheit ist gleich viel wert. Das sagt Bohsem natürlich nicht, das wird er auf Nachfrage nicht einmal so gemeint haben, so was sagt man auch im Wirtschaftsteil der Süddeutschen nicht.
Wie dem auch sei. Bei der Gelegenheit sei daran erinnert, dass nicht erst die Preisgestaltung, sondern schon die Arzneimittelforschung gewinnorientiert und nicht nur im Sinne einer effektiven Versorgung arbeitet. Wer über den „Preis der Gesundheit“ diskutieren will, muss auch über solche Dinge diskutieren, und darüber, wer den Preis der Gesundheit zu entrichten hat und wer davon profitieren soll.
Kommentare (29)