Ich muss gestehen, mir war bis vor kurzem nicht klar, wie viel Wohlwollen und Unterstützung die Homöopathie in der Politik genießt. Die Homöopathie-Lobby hat so erfolgreich ihr Image als kleine, sich mühsam gegen die Widerstände des Establishments behauptende Alternativbewegung gepflegt, dass sie zumindest an diesem Punkt auch bei mir erfolgreich war.
Vor ein paar Tagen bin ich darüber gestolpert, dass 2016 die Bremer Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz die Schirmherrschaft für den Homöopathie-Kongress 2016 übernommen hat. Sie steht dabei in einer langen unguten Tradition. Die Grußworte der früheren Schirmherren und –damen kann man in der Kongress-Historie beim Zentralverein der Homöopathen nachlesen. Manche der Sätze daraus sind zum Schreien komisch, manche beängstigend naiv, manche klar in der politischen Positionierung und auch den Gründen, warum man sich so positioniert. Hier eine kleine Kostprobe:
Grußwort des Ministers für Arbeit und Soziales in Sachsen-Anhalt, Norbert Bischoff (SPD), 164. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2015):
„Nun ist die Homöopathie aus ihrer rein experimentellen Phase schon lange heraus. (…) Vor zweihundert Jahren lebte und arbeitete hier Dr. Samuel Hahnemann und verfasste grundlegende wissenschaftliche Werke, die in ihrer Bedeutung nichts verloren haben.“
Grußwort der Ministerin für Soziales, Familie und Gesundheit in Thüringen, Heike Taubert (SPD), 163. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2013):
„Das Verständnis von biologischen Gesetzmäßigkeiten, die Kombination von klassischen Naturheilverfahren und der Schulmedizin erlauben wirksame Diagnostik- und Therapiekonzepte. Die Homöopathie findet zunehmend Akzeptanz bei Fachleuten.“
Grußwort der Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren in Baden-Württemberg, Katrin Altpeter (SPD), 162. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2012):
„Für uns alle wäre es vorteilhaft, wenn es gelingen würde, eine Brücke zwischen den sich oft unversöhnlich gegenüberstehenden Lagern der Komplementärmedizin und der Hochschulmedizin zu bauen. Auch in Zukunft müssen in unserem Gesundheitssystem Therapierichtungen nebeneinander bestehen können, die von unterschiedlichen theoretischen Denkansätzen und wissenschaftlichen Methoden ausgehen. (…) Wussten Sie, dass in keinem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union der Trend zur Homöopathie so ausgeprägt ist wie in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere bei uns in Baden-Württemberg? Hier im Südwesten haben zudem zahlreiche bekannte Hersteller von homöopathischen Arzneimitteln ihren Sitz.“
Grußwort der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in Nordrhein-Westfalen, Barbara Steffens (Grüne), 161. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2011):
„Komplementärmedizinische Angebote müssen einen gleichberechtigten Stellenwert in der gesundheitlichen Versorgung erhalten.“
Grußwort des Ministers für Landesentwicklung und Verkehr in Sachsen-Anhalt, Dr. Karl-Heinz Daehre (CDU), 160. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2010):
„Dabei geht die Stadt Köthen davon aus, dass sich homöopathische Leit- und Lehrsätze auch auf die Stadtplanung und Stadtentwicklung übertragen lassen. Es geht um die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Homöopathie und Stadtplanung auf theoretischer und praktischer Ebene.“
Grußwort der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen in Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD) 159. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2009):
„Der deutsche Gesetzgeber hat sich zur Homöopathie als einer anerkannten Therapieform bekannt, indem er homöopathische Arzneimittel der Registrierungspflicht durch die zuständige Bundesoberbehörde unterworfen hat.“
Grußwort des Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Bayern, Dr. Thomas Goppel (CSU), 158. Jahrestagung des Zentralvereins (Homöopathie-Kongress 2008):
„Dabei ist der ganzheitliche Ansatz, der der Homöopathie zugrunde liegt, von besonderer Bedeutung und Ausstrahlungskraft auch in die anderen Bereiche der Medizin hinein.“
Und so geht das weiter und weiter, Jahr für Jahr, quer durch alle Parteien. So manches Grußwort wird nur taktischer Rücksichtnahme geschuldet sein – zur Politik gehört eben ein gehöriges Maß an Opportunismus (oder, wie es Politiker formulieren würden, an Aufgeschlossenheit gegenüber allen Strömungen der Gesellschaft) – aber insgesamt wird daran etwas deutlicher, warum sich die „besonderen Therapierichtungen“ in Deutschland bis heute so erfolgreich gegen die Zumutungen der evidenzbasierten Medizin wehren und ihre rechtliche Sonderstellung durch das Konstrukt des „Binnenkonsens“ schützen können: Sie haben das Wohlwollen der Mächtigen.
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