Ob Arbeit krank macht oder gesund, ist eine alte Frage, um die immer wieder heftig gestritten wird, und wie bei vielen alten Fragen lautet eine gute Antwort: Es kommt darauf an. Beispielsweise auf die konkreten Arbeitsbedingungen. Das gilt auch für eine arbeitsschutzpolitisch aktuelle Variante dieser Frage, nämlich inwiefern Arbeit gut oder schlecht für die psychische Gesundheit ist. Kommt darauf an. Beispielsweise auf die konkreten Arbeitsbedingungen. Dass ein Übermaß an Stress nicht sonderlich gesund ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Ebenso, dass Arbeit den Beschäftigten kreative und bereichernde Entfaltungsmöglichkeiten bieten kann. Es kommt eben darauf an.
Vor kurzem hat das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München dazu im Auftrag des Verbands der bayerischen Wirtschaft eine Studie „Der Einfluss von Arbeitsbedingungen auf die psychische Gesundheit“ vorgelegt. Dazu gibt es zwar schon viele Studien, aber gut, eine mehr kann nicht schaden. Oder doch?
In dem Fall bin ich mir nicht so sicher. Die vbw-Studie erhebt den Anspruch, in einem Längsschnittdesign dem Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und psychischer Gesundheit nachgegangen zu sein – und keinen (!) Zusammenhang festgestellt zu haben: „Die Ergebnisse zeigen, dass Arbeit keinen besonderen Risikofaktor für psychische Erkrankungen darstellt. Vielmehr haben Depressionen überwiegend personenbezogene, biografische Ursachen“. Das ist in dieser Allgemeinheit etwa so unerwartet wie der seriöse Nachweis, dass homöopathische Mittel doch wirken.
In der über mehrere Erhebungswellen gehenden Studie wurden zuletzt 814 Teilnehmer/innen untersucht. Im Querschnitt habe man zwar Beziehungen zwischen der psychischen Gesundheit und den Arbeitsbedingungen gefunden, im Längsschnitt aber zeige sich kein Effekt ungünstiger Arbeitsbedingungen: Wenn „ (…) in der Längsschnittbetrachtung unter Bezugnahme auf die vorherigen Erhebungswellen das Wiederauftreten einer Erkrankungsepisode von vormals erkrankten Studienteilnehmern (vor zehn Jahren) als Kriterium herangezogen wird, verschwinden nahezu alle Bezüge zu den Arbeitsmerkmalen“ (S.3). Das ist eine merkwürdige Formulierung, die einen nach dem Studiendesign suchen lässt. So recht fündig wird man aber nicht. Was zu welchem Zeitpunkt genau erhoben wurde, wird nur grob beschrieben, vieles bleibt unklar. Das peer review einer guten Fachzeitschrift hätte der Studienbericht nicht überstanden.
Zum methodischen Vorgehen, um die Wirkung der Arbeitsbedingungen im Längsschnitt zu untersuchen, heißt es: „Hierzu wurden diejenigen Merkmale, bei denen ein bedeutsamer Unterschied gefunden wurde, für die Teilgruppe der Studienteilnehmer wiederholt, die zum Zeitpunkt der vorherigen Erhebung (W4) vor ca. zehn Jahren bereits eine Störung aus dem betreffenden Diagnosebereich aufwiesen. Dies ermöglicht, die im ersten Schritt als relevant identifizierten Merkmale der Arbeitstätigkeit und des Arbeitsplatzes hinsichtlich ihres Risiko- bzw. Schutzpotenzials für das Abklingen oder Wiederauftreten einer Erkrankungsepisode unter den aktuellen Arbeitsbedingungen zu evaluieren. Nur diejenigen Merkmale, die sich auch in der zweiten Analyse als bedeutsam für die Unterscheidung der Studienteilnehmer mit und ohne Diagnose erweisen, können als gerichtete Einflussfaktoren für Störung aus dem betreffenden Diagnosebereich in Betracht gezogen werden“ (S. 19).
Wenn Sie das nicht gleich verstanden haben, geht es Ihnen wie mir. Man liest weiter, die Fragezeichen mehren sich, und im Anhang findet sich u.a. folgende – hier nur auszugsweise dargestellte – Tabelle (S. 33), die den zitierten rätselhaften Satz vielleicht besser verstehen lässt:
Untersucht wurde demnach zum einen, wie aktuell Erkrankte und aktuell Nichterkrankte ihre Arbeitsbedingungen bewerten und zum andern, wie eine Teilstichprobe daraus, die vor 10 Jahren krank war – manche sind es heute auch, manche nicht – die Arbeitsbedingungen bewerten. In dieser Teilstichprobe unterscheiden sich die Bewertungen der Arbeitsbedingungen zwischen den auch heute Kranken und den Gesunden meist nicht mehr signifikant, daraus leitet sich wohl die Schlussfolgerung der Autoren ab. Man könnte fragen, ob das nicht nur ein Fallzahlproblem ist, weil die M-Werte in der linken und rechten Tabellenhälfte gar nicht so verschieden sind (bitte nicht fragen, was genau die M-Spalte bezeichnet, vermutlich irgendeinen Skalenmittelwert).
Noch fragwürdiger ist aber etwas anderes, darauf hat mich ein Berliner Kollege aufmerksam gemacht. Um welchen Erhebungszeitpunkt geht es eigentlich bei den Arbeitsbedingungen? An der Stelle ist im Studienbericht ein schwarzes Loch. Die Überschrift der Tabelle liest sich nämlich nur auf den ersten Blick so, als ob es um die Arbeitsbedingungen damals und heute geht, auf den zweiten Blick eher so, dass eine damals kranke Population und die heutige Gesamtpopulation die aktuellen Arbeitsbedingungen bewerten. Wenn aber die Arbeitsbedingungen vor 10 Jahren gar nicht erhoben wurden, sondern damals nur der Gesundheitszustand der Probanden, kann man daraus tatsächlich eine Aussage über die Wirkung der Arbeitsbedingungen im Längsschnitt ableiten? Ich fürchte nein. Und wäre am Ende das die Erklärung dafür, warum der Untersuchungsgang so seltsam unklar dargestellt ist? Das wäre allerdings ein dickes Ding.
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