Soeben hat das Robert Koch-Institut den neuen Datenreport „Krebs in Deutschland 2011/2012“ veröffentlicht. Der Report stellt umfassende Informationen zur Häufigkeit von Krebserkrankungen, zur Sterblichkeit und zu den Überlebensraten dar. Grundlage sind im Wesentlichen die Daten der Krebsregister in Deutschland. Beeindruckend sind u.a. die unterschiedlichen Überlebensraten bei den einzelnen Krebsarten – sehr gut etwa beim Hoden- und Prostatakrebs, sehr schlecht beim Bauchspeicheldrüsenkrebs oder beim Lungenkrebs.
Ich will hier aber nur auf einen Befund eingehen: Dem Bericht zufolge erkranken derzeit 51 % der Männer und 43 % der Frauen im Laufe ihres Lebens an Krebs (Seite 21). Kommt Ihnen das viel vor? Anfang des Jahres ging eine Pressemeldung einer Versicherung durch die Medien, in der über eine Studie “Die Risikoeinschätzung der Deutschen 2015“ berichtet wurde. Man hatte 1000 Personen befragt und festgestellt, dass viele z.B. das Risiko überschätzen, Opfer eines Terroranschlags zu werden oder bei einem Flugzeugunglück ums Leben zu kommen und viele dagegen z.B. das Risiko, an den Folgen des Rauchens zu sterben, unterschätzen. Unter anderem wurde auch danach gefragt, wie das Risiko eingeschätzt wird, vor dem 65. Lebensjahr an Krebs zu erkranken. 70 % der Befragten, so das Ergebnis der Studie, würden dieses Risiko unterschätzen. Und, jetzt kommt der spannende Punkt: Dieses Risiko betrage 1:160. Kommt Ihnen das wenig vor?
Jetzt kann man sich erstens fragen, ob die Leute wirklich glauben, ihr Krebserkrankungsrisiko sei noch geringer – aber gut, wenn die Studie das ergab, wird es wohl so gewesen sein – und man kann sich zweitens fragen, ob das objektive Risiko mit 1:160 richtig beziffert sein kann. Wenn man sich die oben genannten Daten des Robert Koch-Instituts ansieht, kommen einem vielleicht schon Zweifel, aber da geht es ja um das Risiko, im Laufe des ganzen Lebens an Krebs zu erkranken, nicht vor dem 65. Lebensjahr. Krebs wird mit dem Alter häufiger, die meisten Krebserkrankungen gibt es nach dem 65. Lebensjahr und ältere Männer sind deutlich vulnerabler als ältere Frauen.
Stimmt es also vielleicht doch mit den 1:160? Raten hilft nicht, man muss es nachrechnen. Das kann man mit den Krebsregisterdaten machen, anhand der bayerischen Krebsregisterdaten kommt man dann auf ein Erkrankungsrisiko von 1:5. Man kann dazu verschiedene Rechenwege gehen*, der einfachste ist die Berechnung der kumulativen Inzidenz.
1:5 gegenüber 1:160 – wie lässt sich das erklären? Eventuelle Unterschiede zwischen Bayern und Deutschland kann man hier beiseitelassen, sie spielen keine relevante Rolle. Meine Vermutung ist, dass man bei der Versicherungs-Studie schlicht die von den Krebsregistern üblicherweise ausgewiesene Zahl der Krebsneuerkrankungen im Laufe eines Jahres in der Altersgruppe unter 65 auf die Bevölkerung dieser Altersgruppe bezogen hat. Das liefert von der Größenordnung her eine Zahl wie sie in der Studie genannt wurde, je nach Bezugsjahr könnte das hinkommen. Eine solche Rate ist hilfreich für den Vergleich der Krebshäufigkeit verschiedener Populationen (vor allem in ihrer altersstandardisierten Form). Sie gibt aber nicht das Risiko wieder, bis zum Alter von 65 an Krebs zu erkranken, sondern stellt vielmehr eine Art Risikodurchschnitt der Bevölkerung unter 65 Jahren dar, im Laufe eines Jahres an Krebs zu erkranken.
Die Versicherungs-Studie hat also das Risiko, bis zum Alter von 65 Jahren an Krebs zu erkranken, genauso so unterschätzt wie die Befragten. Vielleicht hätte ein Blick in die Berichte des Robert Koch-Instituts über Krebserkrankungen in Deutschland zu einer besseren Risikoeinschätzung verholfen?
* Dank an D.T.
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