… gibt es eigentlich nicht. Das ist auch nichts Besonderes. Zwar ist Gesundheit angeblich unser höchstes Gut, aber die Inschrift am Leto-Tempel auf der Insel Delos hat Parteiprogramme noch nie inspiriert. Wenn Wähler mobilisiert werden sollen, setzen alle Parteien auf andere Themen. Bei der AfD mag hinzukommen, dass ihr auch die Kompetenz fehlt, gesundheitspolitisch mitzudiskutieren.
Vor Kurzem hat das Recherchezentrum CORREKT!V den Entwurf des Parteiprogramms der AfD online gestellt und in manchen Punkten kommentiert. Auch nebenan bei Plazeboalarm ist ein Punkt aus dem Entwurf gerade Thema – dass die AfD den Klimawandel leugnet.
Bei gesundheitspolitischen Fragen scheint die AfD eine Neubalancierung von privater und öffentlicher Verantwortung anzustreben. Wie die FDP reklamiert sie dabei für sich in ihrem Programm eine liberale Position. Den Menschen wieder mehr Gehör gegenüber dem Politikbetrieb und den Konzernen zu verschaffen, ist an sich ein ehrenwertes Motiv, aber man muss es natürlich auch in einer Form umsetzen können, dass es nicht nur eine populistische Luftnummer wird oder gar den Leuten, denen man angeblich etwas Gutes tun will, auf die Füße fällt. Im Folgenden kommentiere ich kurz die gesundheitspolitisch relevanten Punkte, die ich im AfD-Programmentwurf finden konnte:
1. Menschenwürde:
Unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten höchst relevant ist die Behauptung der AfD, sie wolle „für die Würde eines jeden Menschen“ (Seite 2, Zeile 32) eintreten. Dass Menschen nicht beleidigt, nicht gedemütigt und nicht bedroht werden, ist eine Grundvorausaussetzung dafür, gesund und frei leben zu können. Ich freue mich darauf, wenn sich die AfD künftig unter Berufung auf ihr Programm von den Pegida-Hetzreden Frau Festerlings distanziert.
2. Arbeitsunfälle selbst versichern:
Auf Seite 36, Zeilen 9-13 findet sich die Forderung, die gesetzliche Unfallversicherung abzuschaffen:
„Die AfD hält die gesetzliche Unfallversicherung für Arbeitnehmer nicht mehr für zeitgemäß. Es findet sich eine Vielzahl von privaten Angeboten, mit deren Hilfe Unfallrisiken angemessen abgesichert werden können. Die AfD will daher Arbeitnehmern die Flexibilität geben, sich freiwillig für eine Teilnahme an der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden.“
Was hier so freiheitsfreundlich daherkommt, ist ein trojanisches Pferd, ähnlich wie die an anderer Stelle erhobene Forderung danach, die Arbeitslosenversicherung freiwillig zu machen, damit jeder selbst entscheiden könne, ob er nicht statt dessen Kapital aufbauen wolle. Das werden die ALDI-Verkäuferinnen mit ihren eingesparten Millionen dann sicher machen. Bei der Unfallversicherung ist die Geschichte noch etwas arbeitnehmerfeindlicher. Die gesetzliche Unfallversicherung hat Bismarck 1884 nämlich eingeführt, um die Unternehmerhaftpflicht abzulösen. Arbeitsunfälle – und seit 1925 auch die Berufskrankheiten – werden seitdem von der gesetzlichen Unfallversicherung entschädigt, sofern sie nicht offenkundig selbstverschuldet sind (z.B. durch Alkoholkonsum). Die Beträge für die gesetzliche Unfallversicherung zahlt der Arbeitgeber. Die Unfallversicherung leistet nicht nur für die Heilung, sondern auch für Rehabilitationsmaßnahmen, sie zahlt bei bleibenden Schäden Renten und sie unterstützt die Betriebe in der Prävention. Von diesem Arrangement haben seither alle Beteiligten profitiert. Die AfD würde nun einseitig den Beschäftigten die finanziellen Lasten aufhalsen – diese sollen sich ja vermutlich selbst versichern – und die betriebsnahe Prävention der gesetzlichen Unfallversicherung gleich mitabräumen. Kein privater Versicherer kann und wird das leisten. Prima, dass sich die Beschäftigten freiwillig für eine Verschlechterung ihrer Situation entscheiden dürfen, das durchzusetzen, hatten die Arbeitgeber nie zu träumen gewagt. Die Beschäftigten können ihre Unfallversicherung ja mit dem Geld bezahlen, das sie für den freiwilligen Verzicht auf ihre Arbeitslosenversicherung sparen.
3. Weniger professionelle Pflege:
Auf der gleichen Seite, Zeilen 27 bis 29, gibt es noch einen Vorschlag zur Neuregelung der Pflege:
„Die AfD will Familienarbeit in der Pflege als Beitrag für das Gemeinwohl gesellschaftlich anerkennen. Die individuelle häusliche Pflege muss zu einem Hauptbestandteil der sozialen Sicherungssysteme werden.“
Frauen, das wird euer Thema. Ich sage voraus, dass mit diesem Vorschlag kaum ein Mann mehr seine Angehörigen pflegen wird. Stattdessen wird professionelle Pflege durch Frauen in familiäre Pflege durch Frauen umgewandelt. Gut, da braucht man auch keine Arbeitslosenversicherung und keine Unfallversicherung mehr.
4. Versorgungsforschung durch Laien:
Auf Seite 61 sagt die AfD, dass sie beim Verbraucherschutz im 21. Jahrhundert ankommen will. Im Gesundheitswesen stellt sie sich die Qualitätssicherung so vor:
“Die Information der Verbraucher über die Leistungen von Ärzten, Medikamenten, Krankenhäusern, Pflegestationen und vieles mehr lässt sich über Bewertungssysteme erreichen. Solche Systeme halten wir in allen Gesundheitsbereichen für hilfreich und setzen uns dafür ein.“
Ich habe nichts gegen Bewertungsportale für Ärzte und Kliniken. Das gibt es ja auch schon. Aber ob die AfD ernsthaft glaubt, die Patienten könnten Transparenz im Gesundheitswesen über Bewertungsportale sicherstellen? IQWIG und IQTIG also auf den Müllhaufen? Die Idee, den Bürgern mehr Mitsprache zu verschaffen, ist auch Gesundheitswesen sinnvoll, aber nicht da, wo man sie überfordert, weil sie keine Versorgungsforschung treiben können.
5. Heterogene Positionen bei der Risikobewertung – sauberes Trinkwasser ja, Kernkraft ja, Gentechnik in der Landwirtschaft nein:
Unklar ist, welcher Linie insgesamt die Risikobewertungen der AfD folgen. Im eben angesprochen Abschnitt zum Verbraucherschutz gibt es auch eine ganz sinnvolle Forderung (Seite 61, Zeilen 4-8):
“Die in Deutschland im größeren Umfang in Verkehr gebrachten Lebensmittel müssen gekennzeichnete Inhaltsstoffe und Qualität haben. Lebensmittelkennzeichnung ist für jeden verständlich darzustellen. Chemisch angereicherte funktionelle Lebensmittel sowie Nahrungsergänzungsmittel sind unter pharmazeutische Prüfverfahren zu stellen. In Langzeitstudien ist die Unbedenklichkeit nachzuweisen.“
Das wäre vermutlich das Ende der meisten Nahrungsergänzungsmittel. Ein Schaden wäre es nicht.
Bei anderen Punkten rennt die AfD dagegen der Realität eher etwas hinterher:
„Risikobehaftete chemische Stoffe sind unverzüglich einem Prüfverfahren zu unterziehen. Dies gilt besonders für importierte Textilien. Kinderspielzeug ist vor der Vermarktung auf Schadstoffe zu prüfen und ihm bei Unbedenklichkeit eine Zulassung zu erteilen. Es muss frei sein von Kunststoffweichmachern, Gift und anderen schädigenden Substanzen.
Wasser ist lebensnotwendig, aber vom modernen Leben belastet. Detaillierte Analysen des Trinkwassers bilden die Probleme des 21. Jahrhunderts ab. Im Abwasser finden sich neben Nitraten immer mehr Medikamentenrückstände, Nanopartikel, Plastikfäden und Drogenrückstände. Die Analyse und Aufbereitung des Wassers zu Trinkwasser muss sich diesen neuen Herausforderungen stellen. Die Wasseraufbereitung ist zu modernisieren und zu verbessern, damit diese Stoffe für die Verbraucher nicht zu einer Gesundheitsgefahr werden.“
Dagegen kann man im Prinzip nichts sagen, aber offensichtlich kennen die, die das geschrieben haben, weder das System der Produktsicherheit noch das der Trinkwasserüberwachung in Deutschland gut genug, um etwas formulieren zu können, was dem Stand der Dinge entspricht. Zudem ist weniger die Überwachung das Problem, als die Risikoproduktion. Was sollte z.B. getan werden, damit nicht immer mehr Medikamentenrückstände oder Pestizide ins Trinkwasser kommen?
Auf Seite 50 fordert die AfD dann eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. Die von der Kernkraftnutzung ausgehenden Risiken werden demnach implizit als vertretbar bewertet. Dagegen will sie, siehe Seite 63, die Gentechnik verbieten. Und zwar aus diesem Grund: „Da die Verwertung gentechnisch veränderter Pflanzen als Nahrung für Mensch oder Tier in Politik und Medien auf breite Ablehnung trifft, positioniert sich die AfD ebenso.“ So kann man keine Risikobewertung vornehmen. Und wenn schon, warum gilt der gleiche Grundsatz vox populi bei der Kernkraft nicht?
6. Staatliches Drogenmonopol:
Noch ein letzter Punkt: Eine eigenartige Linie verfolgt die AfD auch in der Drogenpolitik: Auf Seite 47, Zeilen 23-27 steht, dass sie die kontrollierte Abgabe von Drogen an Süchtige befürwortet. Das klingt erst einmal modern, da Studien zeigen, dass sich damit Drogentote vermeiden lassen. Fast möchte man meinen, dass die AfD hier weiter sei als die CSU. Aber direkt danach fordert sie scharfe Strafen für alle, die sich außerhalb dieses kontrollierten Systems Drogen beschaffen. Will die AfD den Drogenmarkt verstaatlichen?
7. Und ein schwarzes Loch:
Zu den großen Themen der Gesundheitspolitik – Zunahme chronischer Erkrankungen, Auswirkungen des demografischen Wandels, Ankommen der psychischen Störungen im Versorgungssystem, Patientenrechte, Finanzierung usw. – findet man im AfD-Programm: nichts.
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