Der Fall Böhmermann bewegt die halbe Welt. Man kann sich fragen, ob es nichts Wichtigeres gibt. Die Antwort fällt leicht: ja, natürlich. Aber das gilt für vieles, was uns aufregt, z.B. jeden Samstag die Ergebnisse der Bundesliga. Der Fall Böhmermann hat eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über unsere Werte, unser Verhältnis zur Türkei und über Taktik in der Politik angeregt, wie es kein noch so kluger Kommentar im Feuilleton der ZEIT oder der Süddeutschen in der letzten Zeit geschafft hat.
An der Diskussion haben sich viele „kleine Leute“ beteiligt, mit viel Nachdenklichkeit, auch hier auf Gesundheits-Check ging es vergleichsweise sachlich und anregend zu. Auch das finde ich interessant. Unvermeidlich hat sich inzwischen gefühlt auch jeder Promi zu der Geschichte geäußert, von Steinmeier über Bushido bis zu Hallervorden, und zuletzt sogar der kleine Bernd, mit zwei Meinungen gleichzeitig.
Zwei Drittel der Deutschen finden nach einer aktuellen Umfrage die Entscheidung Merkels, die Strafverfolgung nach § 103 zuzulassen, falsch. Unklar ist nur, warum. Weil man klammheimliche Freude daran hat, dass Böhmermann ausgesprochen hat, was man selbst über „die Türken“ denkt? Weil es den eigenen Nationalstolz kränkt, wenn „der Türke“ seinen Stolz über deutsche Gerichte schützen lassen will? Oder gar wirklich, weil man die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit nicht antasten lassen will? Vermutlich von allem etwas.
Was könnte jetzt noch kommen? Der „Fall Böhmermann“ als Doku, als Theaterinszenierung, als Film? Wenn alles gesagt ist, wird es Zeit, ins finale Stadium der kommerziellen Verwertung der Geschichte einzutreten. Für 12,50 Euro kann man heute z.B. dabei sein, wenn in der Radioeins-Satire-Show-Talk im Tipi am Kanzleramt noch einmal die Frage „Was darf Satire?“ breitgetreten wird. Manchmal ist die Kunstfreiheit für wenig Geld zu haben. Wenn Böhmermanns Gedicht demnächst von der Staatskapelle Berlin vorgetragen wird, dirigiert von Daniel Barenboim, oder als Ballett getanzt von Sergei Polunin, kommt man nicht mehr so billig davon.
Interessanter dürfte sein, wie sich Merkel nächste Woche bei ihrem Türkeibesuch zu der Geschichte verhält. Die SPD-Generalsekretärin fordert von ihr schon mal „klare Worte zur Presse- und Meinungsfreiheit“ – wenn Merkel eh über glühende Kohlen gehen muss, kann man als Koalitionspartner ja noch etwas anheizen. Bestimmt fordert Katarina Barley (so heißt die SPD-Generalsekretärin) das auch von Außenminister Steinmeier bei seinem nächsten Besuch am Golf. Womit man wieder bei den wichtigeren Dingen wäre.
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