Da wir gerade auf Gesundheits-Check eine kleine Serie mit medizinethischen Beiträgen haben, passt diese Ankündigung ganz gut: Am kommenden Dienstag findet im NS-Dokumentationszentrum München eine Podiumsdiskussion „Lernen aus der Geschichte – Welche Bedeutung hat die NS-‚Euthanasie‘ für die aktuelle Debatte um die Sterbehilfe?“ statt. Darüber werden der Medizinhistoriker und Psychiater Prof. Dr. Gerrit Hohendorf vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der TU München und der Medizinethiker Prof. Dr. Georg Marckmann vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der LMU München miteinander sprechen.
„Sterbehilfe“ bezeichnet eine Reihe unterschiedlicher Sachverhalte, die auch rechtlich unterschiedlich geregelt sind. In Deutschland sind z.B. sowohl die „aktive Sterbehilfe“ (§ 216 StGB) als auch die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ (§ 217 StGB) verboten.
§ 216 Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar.§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
Eigentlich stehen der als „Euthanasie“ verbrämte Krankenmord der Nazis und die Sterbehilfe geradezu in einem diametralen Gegensatz zueinander: Den ermordeten Kranken wurde jede Selbstbestimmung über ihr Schicksal genommen, sie befanden sich in einer Situation des absoluten Ausgeliefertseins. Dagegen möchten die Befürworter der Sterbehilfe heute eben jene Selbstbestimmung des Menschen, die den Kern seiner Würde ausmacht, auch am Ende des Lebens so weit wie möglich gewahrt sehen. Es ist dann die Rede vom „Freitod“. Darin steckt ein Stück Paradoxie, weil mit dem Ende des Lebens zwangsläufig auch jede Selbstbestimmung zu Ende geht, aber anders als beim Krankenmord der Nazis natürlich nicht fremdbestimmt durch andere Menschen und deren Interessen.
Dass in einer existentiellen Situation der Hilfebedürftigkeit Menschen nicht fremden Interessen unterworfen werden sollen, ist ein Motiv des Widerstands gegen die Sterbehilfe. Auch von dieser Seite aus kommt es zu Paradoxien, wenn diejenigen, die wirklich aus freien Stücken nicht mehr leben wollen, ihren Willen aufgrund des Schutzes vor Fremdbestimmung nur schwer durchsetzen können. Konsens besteht darin, dass finanziellen Interessen hier ein Riegel vorgeschoben werden muss, daher das Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“. Auch die Befürchtung, dass einmal ein (a)soziales Klima entstehen könnte, dass schwerkranke Menschen der Gesellschaft nicht zu Last fallen wollen, oder ihnen so etwas nahe gelegt wird, liest man immer wieder. „Zu nichts mehr nutze sein“ ist ohnehin eine Grundangst vieler Menschen in der Leistungsgesellschaft. Darum ging es übrigens auch bei den Nazis.
Schon in dem Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ des Juristen Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche aus dem Jahr 1920, das die spätere Entwicklung vorbereitet hat, war der Krankenmord ganz wesentlich ökonomisch begründet worden: mit den Aufwendungen, die für die „Ballastexistenzen“ nötig seien und dem gesunden arbeitenden Volk entzogen würden. Ein unmenschliches Argument, und falsch dazu, weil die Aufwendungen alles andere als untragbar waren und für Tabak schon damals mehr ausgegeben wurde.
Aber auch ein früher Vorläufer der modernen Sterbehilfediskussion, der österreichische Psychologe Adolf Jost, argumentierte in seinem 1895 erschienenen Buch „Das Recht auf den Tod“ ökonomisch, z.B. dass Geisteskranke bei einem nutzlosen Leben „eine beträchtliche Menge materieller Werte“ konsumieren würden.
Man schätzt, dass etwa 300.000 Menschen dem Krankenmord der Nazis zum Opfer gefallen sind. Somit wundert es nicht, dass das Thema Sterbehilfe in Deutschland historisch hoch belastet ist. Ich bin gespannt, was Gerrit Hohendorf und Georg Marckmann dazu am nächsten Dienstag in München sagen werden.
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