Vor ein paar Tagen hatte ich hier im Zusammenhang mit den Wahlprognosen für Trump und Clinton gefragt, inwieweit wir darauf vertrauen dürfen, dass sich Trends fortsetzen. Das kann man bekanntlich verallgemeinern: Inwieweit dürfen wir überhaupt darauf vertrauen, dass unsere Meinungen richtig sind? Bewährte Meinungen sind gute Alltagsheuristiken. Wir können im Alltag nicht ständig alles infrage stellen, sonst geht es uns wie dem Tausendfüßler, der anfängt, darüber nachzudenken, wie das mit den tausend Füßen eigentlich funktioniert. Aber wir sollten natürlich auch nicht völlig resistent gegen Argumente sein und uns in der Echokammer verbarrikadieren, sonst geht es uns wie den Virenleugnern oder den Reichsbürgern. Nach Gegenargumenten suchen, ist der Königsweg der Hypothesenprüfung, Karl Popper hat das seinerzeit wissenschaftstheoretisch als Ausweg aus dem Induktionsproblem bei der empirischen Fundierung von Allaussagen gut begründet. Aber auch in der Wissenschaft wird bekanntlich nicht ständig alles auf den Popperschen Prüfstein gestellt, sonst fällt jedes langfristige Forschungsprogramm der skeptischen Zersetzung anheim. Etwas Vertrauen in das Althergebrachte gehört also auch zur Wissenschaftspraxis. Wird das Vertrauen kollektivbildend, ist man bei den „Paradigmen“ Thomas Kuhns bzw. den „Denkstilen“ Ludwik Flecks.
Ab da beginnt die dünne Luft der gehobenen Wissenschaftstheorie, der ich von der Fachkompetenz her nicht mehr ohne Weiteres folgen kann, ich will aber auch nur die mittleren Höhen unserer Blogdiskussionen beleuchten. Auch da haben wir manchmal sehr selbstkritische und selbstreflexive Diskussionen, und manchmal wird gestritten, indem jeder Zentimeter Boden auf der eigenen Seite der Frontlinie erbittert verteidigt wird. Das ist oft bei Themen mit einem gewissen weltanschaulichen Gehalt so, wenn es also um Dinge geht, die eine besondere Relevanz für das eigene Selbstbild haben. Wenn dann die Empirie nicht unmittelbar als Schiedsrichter verfügbar ist und Interpretationsspielräume gegeben sind, wird es ganz heftig: bei Themen wie dem Klimawandel, der Vernünftigkeit der Religion oder wie schon öfter hier im Blog und gerade wieder bei Psiram, den Gender Studies. Solche Themen sorgen für lange Kommentarspalten, bei denen man am Ende ziemlich sicher wieder am Anfang ist.
Das Kuriose dabei ist, dass auch „skeptisch trainierte“ Menschen bei solchen Themen ziemlich rechthaberisch sein können. Weltanschauungen gibt man schließlich nicht ohne Not auf und es gibt ein ganzes Arsenal an Strategien zu ihrer Verteidigung, vom permanenten Verschieben der Torpfosten der Diskussion bis zum traditionsreichen ad hominem. Ein wichtiger Aspekt dabei ist der bias blind spot, die Überzeugung, selbst unvoreingenommen zu sein, frei von allen Anwandlungen des confirmation bias.
Auch das kann man wiederum auf (finanziell) gehobenem Niveau betreiben. Da gibt es beispielsweise eine „Pandora-Stiftung“. Eines ihrer Themen sind die gesundheitlichen Risiken des Mobilfunks. Die Stiftung firmiert ausweislich ihres Impressums als „Stiftung für unabhängige Forschung“. Verantwortlich zeichnet allerdings ausgerechnet Prof. Franz Adlkofer, der früher eine der führenden Figuren in dem vom Verband der Cigarettenindustrie unterhaltenen „Forschungsrat Rauchen und Gesundheit“ war, dann mit Mitteln der „Verum –Stiftung für Verhalten um Umwelt“– die Tabakindustrie stand auch hier Pate – das Mobilfunktthema aufgegriffen hat, zusammen mit Prof. Hugo Rüdiger, zufälligerweise auch ein Veteran der tabakindustrieassoziierten Forschung. Ich will die Vorwürfe gegen die Mobilfunk-Forschung dieser Leute nicht kommentieren, aber ihr Vertrauen haben sie vorher restlos verspielt. Das ist übrigens kein ad hominem. In der Wissenschaftstheorie gibt es eine Richtung, die sich „Reliabilismus“ nennt – sie betont die Relevanz der Vertrauenswürdigkeit der Quelle des Wissens. Da hat die „Stiftung für unabhängige Forschung“ ein Leck, mögen ihre Protagonisten nun geläuterte Elche sein, Opfer des bias blind spot oder doch nur die Hüter der Büchse der Pandora.
Wieder zurück zu unseren Blogdebatten: Warum sind wir oft so sicher, dass wir recht haben? In einem Streit um angebliche Ausdünstungen aus Matratzen als Ursache für den plötzlichen Kindstod hat mir ein Kollege einmal eine Bemerkung eines der Kontrahenten erzählt, der meinte: „Wir brauchen keine Studien, wir wissen, dass wir recht haben.“ Oft genug braucht man diese Selbstsicherheit, um Widerstände zu überwinden, sich gegen einen in die falsche Richtung fließenden Mainstream durchzusetzen. Aber woher wissen wir, wann wir das zu Recht tun und wann nicht? Und wie gehen wir damit um, wenn wir nicht hilflos wie der Tausendfüßler enden wollen?
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