Anwendungsbeobachtungen sind nichtinterventionelle Studien, die von der Pharmaindustrie nach der Marktzulassung eines Medikaments oder auch von der Zulassungsbehörde veranlasst werden können. Sie sollen dazu beitragen, Erfahrungen mit dem Medikament unter Alltagsbedingungen zu sammeln und insbesondere auch seltene Nebenwirkungen zu entdecken. Dazu reichen die Studien vor der Zulassung aufgrund zu geringer Patientenzahlen oft nicht aus. Wenn Ärzte sich an einer Anwendungsbeobachtung beteiligen, werden sie pro Patient z.B. für den Dokumentationsaufwand honoriert.
Anwendungsbeobachtungen sind seit langem umstritten. Die einen halten sie für eine Form der legalen Korruption von Ärzten durch die Pharmaindustrie, die anderen für ein notwendiges Instrument der Qualitätssicherung. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller schreibt z.B. auf seiner Internetseite: „Anwendungsbeobachtungen sind für Pharmaunternehmen und Zulassungsbehörden ein unverzichtbares Instrument für die Arzneimittelforschung.“ Und weiter: „Angaben zu laufenden und abgeschlossenen Anwendungsbeobachtungen sowie Ergebniszusammenfassungen finden sich in öffentlich zugänglichen Datenbanken.“
Leider weiß man über manches bei den Anwendungsbeobachtungen nicht viel, etwa was Stichprobengrößen angeht oder welche Erkenntnisse sie wirklich über Nebenwirkungen zutage fördern und öffentlich machen. Eine Studie, die jetzt im British Medical Journal erschienen ist, bringt etwas mehr Licht in diesen dark room der Pharmastudien.
Ein Team um Angela Spelsberg, der ärztlichen Leiterin des Tumorzentrums Aachen (und, soviel Klatsch muss sein, Exfrau des SPD-Gesundheitsexperten Lauterbach) hat 558 Anwendungsbeobachtungen mit 126.762 beteiligten Ärzten und 1.077.052 einbezogenen Patienten gesichtet und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: „No single adverse drug reaction report could be identified from any of the 558 post-marketing studies. Less than 1% of studies could be verified as published in scientific journals. Post-marketing studies are not improving drug safety surveillance.” Bumm.
Dafür gab die Pharmaindustrie 218 Mio. Euro aus. Fleißige Ärzte können dabei ordentliche Einnahmen erzielen, der Spitzenwert lag bei etwas über 2 Mio. Euro, die ein Arzt an einer Studie verdient hat. Bumm.
Nur ein Drittel der Studien war auf mehr als 1.000 Patienten ausgelegt, 15 % auf mehr als 3.000 Patienten. Die Entdeckung seltener Nebenwirkungen ist da unwahrscheinlich. Zuweilen waren weniger Patienten beteiligt als bei den RCTs vor der Zulassung. Dafür waren an den einzelnen Studien oft viele Ärzte beteiligt. Jetzt darf man raten, worum es wohl bei den Studien vor allem ging. In vielen Fällen waren die Ärzte explizit zur Vertraulichkeit verpflichtet, weil ja doch ab und an etwas gefunden wird. Aber in den Studienberichten taucht offensichtlich nichts auf. Bumm.
Der Weg zu diesem Ergebnis hat es ebenfalls in sich. Anwendungsbeobachtungen müssen in Deutschland inzwischen zwar bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der zuständigen Bundesbehörde registriert werden. Da kann man aber nicht einfach anschauen, was man will. Die Autoren mussten vielmehr Einblick unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erzwingen und gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesbehörde sogar gerichtlich erzwingen. Von den drei Registrierungsstellen kam nicht einmal die gleiche Zahl an registrierten Studien im 3-Jahres-Beobachtungszeitraum 2008 – 2010. 449 kamen von der Behörde, 558 von der KBV und 598 vom GKV-Spitzenverband.
Den Autoren ist bewusst, dass ihre Studie eine Reihe von Schwachstellen hat und insofern eher als erste quantitative Abschätzung zur Qualität von Anwendungsbeobachtungen zu sehen ist. Das kann man jetzt seitens der Pharmaindustrie nutzen, um sich zu verteidigen, oder man könnte Konsequenzen ziehen. Aber süß ist die Versuchung, einfach weiterzumachen wie bisher.
Wen solche Themen interessieren, dem sei noch einmal die Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin vom 9.-11.März in Hamburg ans Herz gelegt. Thema dieses Jahr: „Klasse statt Masse – wider die wertlose Wissenschaft“.
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