Anwendungsbeobachtungen sind nichtinterventionelle Studien, die von der Pharmaindustrie nach der Marktzulassung eines Medikaments oder auch von der Zulassungsbehörde veranlasst werden können. Sie sollen dazu beitragen, Erfahrungen mit dem Medikament unter Alltagsbedingungen zu sammeln und insbesondere auch seltene Nebenwirkungen zu entdecken. Dazu reichen die Studien vor der Zulassung aufgrund zu geringer Patientenzahlen oft nicht aus. Wenn Ärzte sich an einer Anwendungsbeobachtung beteiligen, werden sie pro Patient z.B. für den Dokumentationsaufwand honoriert.

Anwendungsbeobachtungen sind seit langem umstritten. Die einen halten sie für eine Form der legalen Korruption von Ärzten durch die Pharmaindustrie, die anderen für ein notwendiges Instrument der Qualitätssicherung. Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller schreibt z.B. auf seiner Internetseite: „Anwendungsbeobachtungen sind für Pharmaunternehmen und Zulassungsbehörden ein unverzichtbares Instrument für die Arzneimittelforschung.“ Und weiter: „Angaben zu laufenden und abgeschlossenen Anwendungsbeobachtungen sowie Ergebniszusammenfassungen finden sich in öffentlich zugänglichen Datenbanken.“

Leider weiß man über manches bei den Anwendungsbeobachtungen nicht viel, etwa was Stichprobengrößen angeht oder welche Erkenntnisse sie wirklich über Nebenwirkungen zutage fördern und öffentlich machen. Eine Studie, die jetzt im British Medical Journal erschienen ist, bringt etwas mehr Licht in diesen dark room der Pharmastudien.

Ein Team um Angela Spelsberg, der ärztlichen Leiterin des Tumorzentrums Aachen (und, soviel Klatsch muss sein, Exfrau des SPD-Gesundheitsexperten Lauterbach) hat 558 Anwendungsbeobachtungen mit 126.762 beteiligten Ärzten und 1.077.052 einbezogenen Patienten gesichtet und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: „No single adverse drug reaction report could be identified from any of the 558 post-marketing studies. Less than 1% of studies could be verified as published in scientific journals. Post-marketing studies are not improving drug safety surveillance.” Bumm.

Dafür gab die Pharmaindustrie 218 Mio. Euro aus. Fleißige Ärzte können dabei ordentliche Einnahmen erzielen, der Spitzenwert lag bei etwas über 2 Mio. Euro, die ein Arzt an einer Studie verdient hat. Bumm.

Nur ein Drittel der Studien war auf mehr als 1.000 Patienten ausgelegt, 15 % auf mehr als 3.000 Patienten. Die Entdeckung seltener Nebenwirkungen ist da unwahrscheinlich. Zuweilen waren weniger Patienten beteiligt als bei den RCTs vor der Zulassung. Dafür waren an den einzelnen Studien oft viele Ärzte beteiligt. Jetzt darf man raten, worum es wohl bei den Studien vor allem ging. In vielen Fällen waren die Ärzte explizit zur Vertraulichkeit verpflichtet, weil ja doch ab und an etwas gefunden wird. Aber in den Studienberichten taucht offensichtlich nichts auf. Bumm.

Der Weg zu diesem Ergebnis hat es ebenfalls in sich. Anwendungsbeobachtungen müssen in Deutschland inzwischen zwar bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der zuständigen Bundesbehörde registriert werden. Da kann man aber nicht einfach anschauen, was man will. Die Autoren mussten vielmehr Einblick unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz erzwingen und gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Bundesbehörde sogar gerichtlich erzwingen. Von den drei Registrierungsstellen kam nicht einmal die gleiche Zahl an registrierten Studien im 3-Jahres-Beobachtungszeitraum 2008 – 2010. 449 kamen von der Behörde, 558 von der KBV und 598 vom GKV-Spitzenverband.

Den Autoren ist bewusst, dass ihre Studie eine Reihe von Schwachstellen hat und insofern eher als erste quantitative Abschätzung zur Qualität von Anwendungsbeobachtungen zu sehen ist. Das kann man jetzt seitens der Pharmaindustrie nutzen, um sich zu verteidigen, oder man könnte Konsequenzen ziehen. Aber süß ist die Versuchung, einfach weiterzumachen wie bisher.

Wen solche Themen interessieren, dem sei noch einmal die Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin vom 9.-11.März in Hamburg ans Herz gelegt. Thema dieses Jahr: „Klasse statt Masse – wider die wertlose Wissenschaft“.

Kommentare (33)

  1. #1 Ludger
    24. Februar 2017

    Joseph Kuhn:
    “Dafür gab die Pharmaindustrie 218 Mio. Euro aus. Fleißige Ärzte können dabei ordentliche Einnahmen erzielen, der Spitzenwert lag bei etwas über 2 Mio. Euro, die ein Arzt an einer Studie verdient hat. Bumm.”

    Ja Arzt müsste man sein!
    Zum Empfänger der o.a. Summe gibt es keine Nachrichten. Wohl zum bestverdienenden Arzt einer Gruppe, die einer Veröffentlichung zugestimmt hatten:
    Prof. Hans Christoph Diener, Neurologe der Uniklinik Essen. Siehe https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/hans-christoph-diener-200-000-euro-honorar-von-pharmabranche-a-1103640.html
    oder https://correctiv.org/recherchen/euros-fuer-aerzte/artikel/2016/07/19/hans-christoph-diener/
    Dabei hat es sich offenbar um eine Akquise von Fremdmitteln für die Klinik gehandelt. Da wird es aber allerdings wohl auch Kollegen geben, die diese Gelder als “Zubrot” annehmen. (Hab ich übrigens nie gemacht.)

  2. #2 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    25. Februar 2017

    Aha. Das scheint also die Alternative zur Klinik-Hausmesse zu sein, bei der so manches Pharmaunternehmen interessante Quadratmeterpreise bezahlt – oft, ohne überhaupt dann mit Personal zu erscheinen.

  3. #3 Joseph Kuhn
    25. Februar 2017

    Lesenswert auch die Recherchen von correktiv zu dem Thema im letzten Jahr: https://correctiv.org/recherchen/euros-fuer-aerzte/artikel/2016/03/09/die-schein-forscher/

  4. #4 Balanus
    26. Februar 2017

    »

    …558 Anwendungsbeobachtungen mit 126.762 beteiligten Ärzten und 1.077.052 einbezogenen Patienten…

    «

    Mein lieber Schulli, das sind ja im Schnitt 227 Ärzte pro AWB, und nur knapp 9 Patienten pro Arzt. Da hält sich der Aufwand für das Ausfüllen des Prüfbogens ja in Grenzen.

    Was die Chance anbelangt, eine seltene Nebenwirkung zu entdecken: So rein gefühlmäßig würde man ja meinen, die Chancen stehen gut, wenn man insgesamt mehr als 1.500 Patienten behandelt und eine seltene NW bei einem von 1.000 Behandelten auftritt. Aber Gefühle sind trügerisch, besonders wenn es um Risiken und Chancen geht.

    Der Sinn einer AWB liegt sicherlich vor allem darin, das Präparat in der Ärzteschaft bekannt zu machen. So viele Möglichkeiten gibt es dafür ja nicht. Die (forschende) Pharmaindustrie hat nun mal nicht die gleichen Möglichkeiten wie etwa die Hersteller von rezeptfreien Mitteln und Homöopathika.

    • #5 Joseph Kuhn
      26. Februar 2017

      Was die Suche nach Nebenwirkungen angeht, verstehe ich das eh nicht so recht: Eigentlich sind Ärzte durch die Berufsordnung zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen verpflichtet.

  5. #6 Joseph Kuhn
    26. Februar 2017

    Kleiner Nachtrag:

    Im Literaturverzeichnis der Studie von Spelsberg et al. findet man u.a. diese, vom Umfang her kleinere, aber im Ergebnis ähnlich kritisch wertende Studie, die schon vor 15 Jahren erschien: Hasford J, Lamprecht T. Company observational post-marketing studies: drug risk assessment and drug research in special populations–a study-based analysis. Eur J Clin Pharmacol. 1998 Jan;53(5):369-71.

    Dort ist als Schlussfolgerung zu lesen: “The current COPS scheme [COPS: Company observational post-marketing studies, also Anwendungsbeobachtungen, JK] does not contribute significantly to our knowledge of drug safety and the effects in special populations.”

    Es ist ein bisschen wie bei der Homöopathie: Man weiß um den Missstand, aber es ändert sich lange nichts, bis irgendwann die Beweislast – hoffentlich – doch zu erdrückend wird.

  6. #7 Balanus
    26. Februar 2017

    Herr Kuhn,

    was würden Sie denn den Pharmafirmen raten, wie sie das mit den AWB handhaben sollten? Ganz darauf verzichten? Oder mit offenen Karten spielen, dass es also nicht um die Arzneimittelsicherheit geht, sondern um die Einführung des neuen Produkts, damit sich der Arzt selbst vom Nutzen und der Sicherheit des neuen Mittels überzeugen kann?

    Im Grunde ist es ein gutes Zeichen, dass AWBs (AWBen?) hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit nichts Wesentliches beitragen können. Das spricht für die Qualität des Zulassungsverfahrens.

    • #8 Joseph Kuhn
      26. Februar 2017

      @ Balanus:

      “was würden Sie denn den Pharmafirmen raten”

      Nichts, die Pharmafirmen wollen sicher keinen Rat von mir.

      “damit sich der Arzt selbst vom Nutzen und der Sicherheit des neuen Mittels überzeugen kann?”

      Das kann er mit den AWB grundsätzlich nicht, dazu braucht es RCTs. Wenn Sie den Artikel gelesen hätten, wüssten Sie auch warum.

      “Im Grunde ist es ein gutes Zeichen, dass AWBs (AWBen?) hinsichtlich der Arzneimittelsicherheit nichts Wesentliches beitragen können. Das spricht für die Qualität des Zulassungsverfahrens.”

      Was ist denn das für eine Paralogik? Gut, heute ist Faschingssonntag, da kann man das mal bringen. Aber dann bitte erst wieder am 1. April.

  7. #9 Kassandra
    27. Februar 2017

    Was ich auffallend finde, ist, dass diese Praxis laut dem verlinkten Stern-Bericht am häufigsten in Bereichen stattfindet, die schon länger in den Verdacht geraten sind, dass in ihnen viele von vornherein unnötige Behandlungen stattfinden: Blutdruck- und Cholesterinsenkung und Magensäureblocker.

    Speziell im letzten Fall ist vermutlich oft genug Helicobacter im Spiel. Da kann ich mitreden, denn ich hatte das auch schon mal, und das kam nur heraus (und konnte daraufhin auch vollständig geheilt werden), weil ich nachdrücklich auf eine solche Untersuchung bestand. Also nehme ich an, dass auch anhaltende einschlägige Beschwerden nicht unbedingt dazu führen, dass diese Möglichkeit aus eigenem Antrieb des Arztes überprüft wird. Stattdessen beschränkt man sich auf Symptombeseitigung oder auch nur -linderung mittels dieser Magensäureblocker, und ich nehme an, oft genug wird dem Patienten vor allem vermittelt, er selbst sei an seinen Beschwerden schuld, weil er abnehmen müsse oder sich nicht ständig Stress aussetzen dürfe – oder was auch immer sonst noch für Möglichkeiten bestehen, die Hartnäckigkeit der Beschwerden dem Erkrankten selbst in die Schuhe zu schieben.

    Ich sehe diese AWB deshalb nicht als das eigentlich zu bekämpfende Problem, sondern als ein Symptom eines viel größeren zugrundeliegenden Problems, mit dem sich die Gesundheitspolitik vor allem mal befassen sollte.

  8. #10 anderer Michael
    27. Februar 2017

    Anwendungsbeobachtungen wären sehr sinnvolle Instrumente, um seltene UAW ‘s zu entdecken. Im Klinikbereich ist die finanzielle Entlohnung sehr gering, der Aufwand hoch und inzwischen bekommt das Geld meistens der Klinikträger.
    Ich verstehe aber durchaus, dass viele AWB den Eindruck von Marketingmaßnahmen machen und leider von den Akteuren als solche verstanden und konzipiert werden.

  9. #11 Balanus
    27. Februar 2017

    Lieber Herr Kuhn,

    auch Pharmaunternehmen können Beratung gebrauchen, als Gesundheitswissenschaftler bringen Sie doch eigentlich die dafür notwendige Kompetenz mit. Aber gut, wenn Sie sich in der AWB-Frage nicht weiter aus dem Fenster lehnen wollen, akzeptiere ich das (was anderes bleibt mir ja auch nicht übrig).

    Sie schreiben:

    » Das [sich selbst vom Nutzen und der Sicherheit des neuen Präparats überzeugen] kann er [der Arzt] mit den AWB grundsätzlich nicht, dazu braucht es RCTs «

    Na, da haben Sie mich aber gründlich missverstanden, wie es scheint. Wenn ein Arzt an einer AWB als Prüfarzt teilnimmt, sammelt er unter Alltagsbedingungen praktische Erfahrungen mit dem neuen Präparat, und darauf kommt es den Herstellern vermutlich in erster Linie an. Die (scheinbare, mutmaßliche) Wirksamkeit wird er, der Arzt, dann anhand seiner Erfahrungen im Vergleich zu anderen Präparaten beurteilen können, ebenso die Sicherheit.

    Und ich bleibe dabei (von wegen „Paralogik“), wenn z. B. Angela Spelsberg und ihr Team zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen wären, dass also Anwendungsbeobachtungen regelmäßig zuvor unentdeckte Arzneimittelnebenwirkungen aufdeckten, dann müssten einem doch Zweifel kommen hinsichtlich der Qualität der klinischen Studien, die der Zulassung zugrunde lagen.

    Insoweit ist das tatsächliche Negativ-Ergebnis positiv zu werten. Bumm!

    Ungeachtet dessen kann man sich natürlich fragen, wie es um die generelle Qualität der Anwendungsbeobachtungen bestellt ist. Wenn sie einfach nur grottenschlecht durchgeführt werden, dann ergibt sich daraus leider gar nichts.

    (Was den 1. April betrifft, da kann ich noch nichts versprechen…)

    MfG
    B.

    • #12 Joseph Kuhn
      27. Februar 2017

      @ Balanus:

      Natürlich kann die Polizei Verkehrskontrollen auch mit geschlossenen Augen vornehmen. Sie wird dann keine Verkehrssünder finden. Das heißt aber nicht, dass es keine gibt, sondern nur, dass die Methode “Augen zu” nichts bringt. Genau das geschieht bei den AWB. Sie sind schon von der Methode her (kleine Stichproben, keine Kontrollgruppen, durch Geld beeinflusste Prüfärzte etc.) nicht geeignet, seltene Nebenwirkungen zu finden. Da ist nichts positiv zu werten. Das weiß die Pharmaindustrie auch, ihr geht es bei den AWBs um vermarktungsunterstützende Maßnahmen, daher gibt es da nichts zu beraten, sondern nur rechtlich zu regulieren. Darauf, dass da nach vielen Jahren einschlägiger Kritik an den AWBs nichts geschehen ist, darf sich jeder seinen Reim machen. Auch Sie. Der Artikel von Spelsberg et al. kann dazu beitragen, die Beweislast noch etwas erdrückender zu machen, handeln muss die Politik.

  10. #13 anderer Michael
    27. Februar 2017

    Theoretisch:
    Der bessere Begriff für Nebenwirkung ist unerwünschte Arzneimittelwirkung, UAW.
    Acetylsalicylsäure ist ein Analgetikum und Thrombozytenagregationshemmer. Bei Kopfschmerzen ist Wirkung A erwünscht ,bei Sekundärprophylaxe der KHK Wirkung B .

    Wir haben ein ineffizientes Spontanmeldesystem. Besser wäre es anstatt “Nebenwirkungen” zu melden , ” Ereignisse” zu übermitteln. Der Arzt vor Ort ist einfach überfordert, unbekannte Nebenwirkungen(1) zu erkennen. Ich verordne ein Medikament XY und der Patient stürzt( nur ein theoretisches Beispiel) Wo ist der Zusammenhang? Bei einem inzwischen kaum noch gebräuchlichen NSAR (Indomethacin) kam man über die Häufung von Stürzen und Frakturen zu der Erkenntnis, dass zentralnervöse Nebenwirkungen verstärkt vorliegen. Deshalb wäre ein sehr einfaches Meldesystem von Ereignissen sicherlich sinnvoll. In der Realität ist die Begeisterung der Ärzte dafür nicht sehr hoch. Warum? Im Regelfall Arbeit in der Freizeit für umsonst.

    1. Auch bekannte UAW’s und Wechselwirkungen sollen gemeldet werden.

  11. #14 Joseph Kuhn
    27. Februar 2017

    @ anderer Michael:

    “Unerwünschte Arzneimittelwirkung” ist der arzneimittelrechtliche Begriff, aber “Nebenwirkung” versteht halt jeder.

    Für das Dingfestmachen seltener Nebenwirkungen sind AWBs aus den bekannten und mehrfach erwähnten methodischen Gründen grundsätzlich nicht gut geeignet. Sie können bestenfalls – wie jede Anwendungspraxis – Verdachtsmomente liefern, denen man mit RCTs nachgehen müsste. Im Hinblick auf die Nebenwirkungen sehe ich keinen Vorteil der AWBs gegenüber der (vernachlässigten) Meldepflicht, im Gegenteil.

  12. #15 anderer Michael
    27. Februar 2017

    Das ist eben die Crux mit Ihnen,Herr Kuhn.
    Ein scheinbar belangloses Thema. Einfach und banal. Ist aber nicht so .Schwupp liege ich auf der Nase und darf mal wieder meine gesamten Vorstellungen umkrempeln.
    Beim Paul-Ehrlich-Institut sind die derzeitigen AWB aufgelistet. Mir ist aufgefallen, es sind fast nur hochpreisige Therapeutika. Früher gab es solche auch für Medikamente im niedrigen zweistelligen Preis.

  13. #16 Aveneer
    28. Februar 2017

    Gab es bei dieser Analyse Anwendungsbeobachtungen die durch Zulassungsbehörde veranlasst wurden? Wenn ja, waren die wesentlich anders geplant als die der Pharmaindustrie? Wenn ich das richtig verstehe, verwendet die Pharmaindustrie Anwendungsbeobachtungen als “Lenkungsmittel”. Studien von der Zulassungsbehörde hingegen sollten hoffentlich tatsächlich eine klinische Aussagekraft besitzen. Oder wer bezahlt die Anwendungsbeobachtungen die durch die Zulassungsbehörde veranlasst werden? Steuergelder?

  14. #17 klauszwingenberger
    28. Februar 2017

    Anwendungsbeobachtungen haben mindestens einen guten Sinn:

    Für Arzneimittel gilt wie für jedes andere Produkt auch, das in Verkehr gebracht wird, eine gesetzliche Produktbeobachtungspflicht. Wer sich darum drückt, und wem deshalb Anhaltspunkte für mögliche Anwendungsschäden entgehen, bekommt ein echtes Problem und im worst case den Staatsanwalt ins Haus.

    Das sollte bei aller Kritik an der Art und Weise, wie Anwendungsbeobachtungen insgesamt praktiziert werden, nicht ganz unter den Tisch fallen.

    • #18 Joseph Kuhn
      28. Februar 2017

      @ klauszwingenberger:

      “Produktbeobachtungspflicht”: Guter Hinweis. Allerdings funktioniert die Produktbeobachtung, wie oben schon angemerkt, mit der Methode “Augen zu” nicht gut.

      Allgemein zu methodischen Anforderungen an Anwendungsbeobachtungen siehe z.B. Wink, Anwendungsbeobachtung in der ärztlichen Praxis, 2. Auflage 2010. Es ist ja nicht so, dass die Pharmaindustrie nicht wüsste, was sie zu tun hätte, z.B. was Fallzahlen für seltene UAWs angeht, die Beobachtungsdauer für Langzeitfolgen, die Information von Ärzten und Öffentlichkeit über die Ergebnisse usw. – und dass sie es nicht schon ganz lange wüsste: sie macht es einfach nicht, wie die Studie von Spelsberg et al. einmal mehr und mit repräsentativer Aussagekraft belegt.

  15. #19 Balanus
    28. Februar 2017

    @Joseph Kuhn

    Danke für die Antwort.

    Anfangs kam mir Ihr Vergleich mit den Verkehrskontrollen, bei denen die Polizei die Augen verschließt, als stark übertrieben vor, aber jetzt meine ich, er zeigt, wo die Schwachstelle der AWB vor allem liegt, nämlich in der Ärzteschaft, die sich unkritisch vor den Karren der Pharmaindustrie spannen lässt und sich nicht in erster Linie dem ärztlichen Ethos verpflichtet fühlt. Wer etwa unerwünschte Ereignisse nicht protokolliert oder nur dem Sponsor meldet (der sie dann verschwinden lassen kann), handelt im Grunde wie ein Polizist, der nicht hinsieht.

    Aber deshalb würde niemand sagen, dass Verkehrskontrollen per se nutzlos sind, sie müssen halt nur richtig durchgeführt werden. Und so ist das auch mit den AWB. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, um die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Pharmaunternehmen ins Positive zu wenden.

    Das methodische Argument, dass z. B. die Teilnehmerzahlen meist zu klein sind, sticht m. E. aber nicht. Sie sind (fast) immer zu klein, wenn es um seltene AEs geht, das liegt in der Natur der Sache. Und wenn es um seltene UAW geht, ist es auch abwegig, Kontrollgruppen zu fordern, wie sie bei RCTs üblich sind. Man ist ja bereits froh, wenn mittels einer RCT ein statistischer Wirksamkeitsnachweis gelungen ist, wie will man da statistisch nachweisen können, dass selten auftretende Ereignisse durch die Medikation verursacht wurden?

    Jede sorgfältig protokollierte und dokumentierte Behandlung mit einem neuen Präparat ist mMn potentiell von Nutzen. Wenn bei 1000 Anwendungen in der Praxis keine Hinweise auf UAWs gefunden werden, spricht das zunächst mal für das Präparat—und nicht gegen die Beobachtung.

    Danke für den verlinkten AWB-Leitfaden von K. Wink (2010). Wink scheint die Probleme ganz ähnlich zu sehen wie ich (aber ich habe bislang nur die Einleitung gelesen).

  16. #20 Joseph Kuhn
    28. Februar 2017

    @ balanus:

    “Man ist ja bereits froh, wenn mittels einer RCT ein statistischer Wirksamkeitsnachweis gelungen ist, wie will man da statistisch nachweisen können, dass selten auftretende Ereignisse durch die Medikation verursacht wurden?”

    Ja, das kann schwierig werden. Aber das spricht erst recht nicht für AWBs mit kleinen Fallzahlen.

    “Wenn bei 1000 Anwendungen in der Praxis keine Hinweise auf UAWs gefunden werden, spricht das zunächst mal für das Präparat”

    Dazu zwei Anmerkungen:
    1. Der Studie von Spelsberg et al. zufolge hatte nur ein Drittel der AWBs mehr als 1.000 Fälle. Ein Teil der AWBs hatte, so die Autoren, kleinere Fallzahlen als die Zulassungsstudien. Was Nebenwirkungen angeht, reicht das eben nicht, was andere Merkmale, z.B. Therapietreue angeht, müsste man für sich diskutieren, dazu müsste ich mich aber erst einlesen. Vielleicht kann jemand von den Mitlesenden dazu mehr sagen.
    2. Wenn es beruhigend wäre, dass bei vergleichsweise kleinen Fallzahlen nichts gefunden wurde, müsste das nicht Fragen im Hinblick auf die Zulassungsstudien aufwerfen?

  17. #21 Balanus
    28. Februar 2017

    @Joseph Kuhn

    »Ja, das kann schwierig werden [statistische Signifikanz bei seltenen AEs]. Aber das spricht erst recht nicht für AWBs mit kleinen Fallzahlen.«

    Sinn und Zweck einer AWB ist nun mal ein völlig anderer als der von RCTs. Und „kann schwierig werden“ scheint mir eine sehr optimistische Einschätzung zu sein.

    Bei häufigen und gelegentlichen AEs können RCTs gute Hinweise auf einen Kausalzusammenhang mit dem Medikament liefern, insbesondere dann, wenn der Wirkmechanismus bestimmte unerwünschte Wirkungen nahelegt. Aber ich kann mich an keine randomisierte klinische Studie erinnern, in der mit AE-Häufigkeiten Signifikanztests durchgeführt worden wären.

    Nein, bei AEs muss man sich damit begnügen, dass ein Kausalzusammenhang mit der Medikation „wenig wahrscheinlich“, „sehr wahrscheinlich“ oder eben „unwahrscheinlich“ ist. Das muss von Fall zu Fall entschieden werden, da hilft in der Regel keine Statistik.

    Bei AEs kommt es nur darauf an, dass man alle Verdachtsfälle erfasst und meldet. Und da zählt eben jeder einzelne Patient und jede einzelne Behandlung, sei es im Rahmen einer AWB oder im Zuge einer normalen Therapie. Je mehr Behandlungen protokolliert werden, desto sicherer werden die Aussagen zu AEs. Wenn es vor der Zulassung 2000 Behandlungen waren und in einer AWB dann nochmal 1000, dann sind das zusammen 3000 Fallzahlen, auf die man sich dann in punkto Arzneimittelsicherheit stützen kann. Vorausgesetzt, die AWB wurde sorgfältig und gewissenhaft durchgeführt. Und zur gewissenhaften Durchführung würde ich schon auch die Erhebung der Compliance zählen.

    »2. Wenn es beruhigend wäre, dass bei vergleichsweise kleinen Fallzahlen nichts gefunden wurde, müsste das nicht Fragen im Hinblick auf die Zulassungsstudien aufwerfen?«

    Ich bin mir nicht sicher, dass ich verstehe, worauf Sie hinaus wollen.

    Sie meinen vermutlich, wenn man meinen Überlegungen hinsichtlich der AWB in Bezug auf seltene AEs folgt, dann müsste man generell mit vergleichsweise geringen Fallzahlen zufrieden sein, also auch in Zulassungsstudien.

    So ist es aber nicht. Generell gilt: Je kleiner die Fallzahlen, desto weniger beruhigend.

    Aber nach der Zulassung ist die Situation eine andere. Ab da gilt, dass jede Behandlung ohne AE ein Pluspunkt für die Sicherheit des Präparats ist.

    Ich hätte nichts dagegen, wenn eine AWB, je nach Präparat und Art der Anwendung, mindestens 2000 bis 5000 Patienten umfassen würde. Also nicht weniger AWB, sondern deutlich mehr.

    Und man darf bei alledem auch nicht vergessen, dass das Patientenkollektiv von Zulassungsstudien nicht die ganze Bandbreite der Anwendungspraxis widerspiegelt. 500 Patienten in der Praxis sagen mit Blick auf AEs womöglich genau so viel aus wie 1000 ausgewählte Patienten in einer RCT.

    (Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob es in Phase IV Studien noch Einschlusskriterien gibt, aber ich meine schon).

    (Jetzt habe ich deutlich mehr geschrieben, als ursprünglich beabsichtigt, wird nicht wieder vorkommen…)

    • #22 Joseph Kuhn
      28. Februar 2017

      @ Balanus:

      “Das muss von Fall zu Fall entschieden werden, da hilft in der Regel keine Statistik.”

      Dann wäre man dem Suizidrisiko bei SSRI vermutlich nie auf die Spur gekommen.

      “Sie meinen vermutlich … dann müsste man generell mit vergleichsweise geringen Fallzahlen zufrieden sein”

      Nein, das meine ich natürlich nicht. Was ich meinte: Wenn man hoffen würde, dass AWBs mit kleinen Fallzahlen (und womöglich kurzer Beobachtungsdauer) relevante Nebenwirkungen aufdecken, ist in der Zulassung was schiefgelaufen.

  18. #23 Balanus
    1. März 2017

    @Joseph Kuhn

    »Dann wäre man dem Suizidrisiko bei SSRI vermutlich nie auf die Spur gekommen.«

    Soweit ich weiß, ist man im Rahmen von RCTs und Signifikanztests diesem Risiko auch nicht auf die Spur gekommen. Sondern durch fortlaufende Beobachtung der Anwendung.

    »Was ich meinte: Wenn man hoffen würde, dass AWBs mit kleinen Fallzahlen (und womöglich kurzer Beobachtungsdauer) relevante Nebenwirkungen aufdecken, ist in der Zulassung was schiefgelaufen.«

    Ach so, aber dass man so etwas hofft, habe ich ja nicht behauptet.

    Mein Punkt war vielmehr, dass, wenn in einer kleinen AWB keine neuen Nebenwirkungen aufgedeckt werden, daraus nicht folgt, dass es Nebenwirkungen gibt, die wegen der geringen Fallzahl nicht entdeckt wurden. Sondern dass mögliche Nebenwirkungen so selten sind, dass sie bislang noch nicht in Erscheinung getreten sind. Was eben zunächst mal gut ist.

    Wenn z. B. eine bestimmte seltene Nebenwirkung in 1 von 8000 Fällen auftritt, dann muss man schon über einen sehr langen Zeitraum hinweg viele Daten sammeln, um das herausfinden zu können. Es genügt ja nicht, dass in einer AWB mit sagen wir 10.000 Teilnehmern dieses Ereignis zweimal beobachtet wurde, man muss auch den Zusammenhang mit der Medikation plausibel machen können.

    Heißt: Eine einzelne AWB ist eigentlich immer zu klein, wenn es um wirklich seltene Nebenwirkungen geht. Insofern haben Spelsberg et al. schon Recht. Allein mit der Aufdeckung seltener Nebenwirkungen kann man eine AWB sicherlich nicht begründen.

  19. #24 Jürgen Windeler
    1. März 2017

    Beim dem Spekulieren, welche Fragen mit Studien nach der Zulassung beantwortet werden könnten und sollten – AWB beantworten solche Fragen jedenfalls nicht – scheint mir das eigentlich Interessante an der BMJ-Arbeit ein wenig in den Hintergrund zu geraten. Es wird dort nämlich systematisch deutlich, dass AWB niemanden interessieren. Und den Umstand, dass sich die Autoren erst durch eine Klage Einblick in die Unterlagen verschaffen konnten, interpretiere ich persönlich genau dahin gehend: Man wollte nicht unbedingt offenbaren müssen, dass man die Unterlagen, zu deren Entgegennahme man rechtlich gezwungen ist, einfach abheftet. Die Studie beschreibt daher wie unter einem Brennglas, dass der inhaltliche Stellenwert und der Informationsgehalt von AWB praktisch Null ist. Damit ist auch noch einmal offenkundig, dass die Motivation, solche Studien zu machen, jedenfalls nicht ein Informationsgewinn ist. Dies sieht die Industrie offenbar ganz genauso, denn zum größten Teil der dort betrachteten AWB gab es gar kein oder nur ein rudimentäres Studienprotokoll, wie die Autoren schreiben.
    @Aveneer:
    Ja, in der Tat gab es in der Stichprobe von AWB, die in der BMJ-Arbeit von Spelsberg et al. beschrieben sind, auch zwei sogenannte PASS (Post-Authorisation Safety Studies), die aufgrund einer entsprechenden Auflage der Zulassungsbehörden durchgeführt werden mussten – die bezahlt natürlich das Unternehmen. Nach den Angaben in der Arbeit unterschieden sich diese in nichts von den übrigen AWB.
    @Balanus
    Die Unterschiede in AE werden in RCT, z. B. den Zulassungsstudien, genauso mit Signifikanztests beurteilt wie andere Endpunkte auch – warum sollte es auch anders sein ? Die Bewertung des Zusammenhangs mit einem Arzneimittel im Einzelfall findet zwar statt, ist aber abgesehen von wenigen eindeutigen Ausnahmefällen – das sind dann in der Regel aber bekannte Nebenwirkungen – mehr oder weniger erratisch. Wie sollte ein Doktor das auch zuverlässig beurteilen können; mehr als „post hoc“ steht ihm oder ihr ja nicht zur Verfügung.

  20. #25 Balanus
    2. März 2017

    @Jürgen Windeler

    »Die Unterschiede in AE werden in RCT, z. B. den Zulassungsstudien, genauso mit Signifikanztests beurteilt wie andere Endpunkte auch – warum sollte es auch anders sein ?«

    Weil es einen Unterschied macht, ob ein statistischer Test geplant wird, wie es bei primären Endpunkten der Fall ist, oder ob im Nachhinein explorativ die Häufigkeiten von Ereignissen verglichen werden. Aber wenn therapiebedingte Ereignisse nur von jedem 500sten Patienten oder noch seltener berichtet werden, was und wie will man da testen?

  21. […] verhält es sich mit einer neuen Beobachtungsstudie der Carstens-Stiftung zum Thema Grippevorbeugung. Dr. Norbert Aust hat sich das Ganze in seinem […]

  22. […] genannte Anwendungsstudien, die nach Einführung eines Medikaments gemacht werden, bringen wohl meistens nur den teilnehmenden Ärzten Vorteile, nicht aber der Wissenschaft oder den […]

  23. #28 Jürgen Windeler
    3. März 2017

    Wenn man nicht in einer stark verengten Sicht Signifikanztests ausschließlich als Tests für vorformulierte Hypothesen (in klinischen Prüfungen primäre Zielkriterien) versteht, dann zeigt ein Blick in die Publikationen von Studien sofort, dass Signifikanztests in deskriptiver Form, d. h. die Angaben von p-Werten oder Konfidenzintervallen, gang und gäbe sind, selbstverständlich auch bei AE.
    Eine Häufigkeit von z. B. 1:500 relativiert den Sinn von Signifikanztests überhaupt nicht. Wenn ich jeweils 10.000 oder gar 100.000 Patienten beobachtet hätte, hätte ich bei dieser Häufigkeit mit Signifikanztests überhaupt kein Problem – ganz abgesehen davon, dass es natürlich auch Methoden für relativ wenige oder seltene Ereignisse gibt. Wenn ich nur 100 Patienten beobachte und vielleicht nur einen Fall mit diesem AE sehe, dann hat nicht nur der Signifikanztest ein Problem, sondern man hätte ohnehin ein großes Problem, dieses eine Ereignis einzuordnen.
    Insofern formalisiert der Signifikanztest nur das ganz natürliche Vorgehen, eine Veränderung oder einen Unterschied zwischen zwei Gruppen im Lichte der „normalen“ Schwankungen zu bewerten.

  24. #29 Balanus
    4. März 2017

    Mag sein, dass ich Joseph Kuhns Argument, dass grundsätzlich nur RCTs belastbare Daten zur Arzneimittelsicherheit liefern können, aber keine AWBs, überinterpretiert habe.

    Kennzeichnend für RCTs sind nun mal die konfirmatorischen statistischen Verfahren. Doch wenn es um seltene unerwünschte Ereignisse geht, stehen RCTs kaum besser da als AWBs, zumal in RCTs nur ausgewählte Patienten behandelt werden. Deskriptive Statistiken können grundsätzlich auch mit AWB-Sicherheitsdaten durchgeführt werden, die Voraussetzungen dafür sind ja beileibe nicht so streng wie für konfirmatorische Teststatistiken.

    Die schlechte Qualität der untersuchten Anwendungsbeobachtungen kann nach meiner Einschätzung also kein Argument für deren Abschaffung sein, sondern nur ein Argument für deren Verbesserung. Die Anwendung eines neu zugelassenen Präparats zu beobachten erscheint mir nach wie vor grundsätzlich sinnvoll und kann sehr wohl eine nützliche Ergänzung zu den Zulassungsstudien sein—allen Unkenrufen zum Trotz.

  25. #30 Joseph Kuhn
    4. März 2017

    @ Balanus:

    “dass grundsätzlich nur RCTs belastbare Daten zur Arzneimittelsicherheit liefern können”

    An dem Grundsatz würde ich auch festhalten wollen. Das RCT ist das beste Design, Confounder zu kontrollieren. Dass auch gut gemachte (!) Beobachtungsstudien mit geeigneten statistischen Auswerteverfahren weiterhelfen können, soll damit nicht bestritten werden, ebenso wenig, dass auch gute Anwendungsbeobachtungen Hinweise (!) liefern können, denen man nachzugehen muss.

    Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass das RCT als Antwort auf Ihre Bemerkung in die Diskussion kam, AWBs seien dazu da, “damit sich der Arzt selbst vom Nutzen und der Sicherheit des neuen Mittels überzeugen kann”. Dass der einzelne Arzt sich durch AWBs von etwas überzeugen kann, gar vom Nutzen eines Mittels, ist schlicht nicht möglich. So argumentiert sonst nur die Homöopathie.

    SSRI und Suizidalität: “Soweit ich weiß, ist man im Rahmen von RCTs und Signifikanztests diesem Risiko auch nicht auf die Spur gekommen. Sondern durch fortlaufende Beobachtung der Anwendung.”

    Woher die ersten Hinweise kamen, weiß ich nicht, aber bei der systematischen Untersuchung von Suizidalitätseffekten der SSRI haben natürlich RCTs eine wichtige Rolle gespielt, sie finden dazu bei Pubmed schnell einschlägige Literatur (wichtig war außerdem die Reanalyse der Daten in veröffentlichten Studien sowie das Einbeziehen zurückgehaltener Studien, darüber schreibt Peter Gøtzsche in seinem Psychopharmakabuch ein paar sehr beunruhigende Sachen). Wenn Sie Belege darüber haben, dass Anwendungsbeobachtungen die ersten entscheidenden Hinweise geliefert haben, wäre das für unsere Diskussion doch sehr interessant und ich wäre für einen Literaturhinweis dankbar.

    “Die schlechte Qualität der untersuchten Anwendungsbeobachtungen kann nach meiner Einschätzung also kein Argument für deren Abschaffung sein, sondern nur ein Argument für deren Verbesserung.”

    Das klingt erst einmal vernünftig und natürlich könnte man den Rahmen für AWBs grundsätzlich ändern, z.B. Hochschulen mit der Durchführung beauftragen und hinreichende Mindeststandards verbindlich machen. Aber seit mindestens 20 Jahren werden die AWBs kritisiert, ohne dass sich an den grundlegenden Missständen viel verändert hat. Vor dem Hintergrund klingt Ihr Argument wiederum etwas realitätsfern.

  26. #31 Balanus
    4. März 2017

    SSRI: Mein Punkt war, dass erst nach der Zulassung, also post-marketing, das Suizid-Risiko erkannt wurde, wodurch auch immer (ich weiß dazu nichts Genaueres). Vielleicht hätte man es früher erkennen können, keine Ahnung, aber wenn doch, dann wirft das ein eher ungünstiges Licht auf die entsprechenden RCTs.

    Mit „fortlaufender Beobachtung der Anwendung“ war genau das gemeint, einfach nur die Beobachtung der Anwendung, ob der Patient auf das Präparat anspricht oder nicht, und ob Begleiterscheinungen auftreten oder nicht, was der sorgfältige Arzt halt im Zuge einer Behandlung so macht oder machen sollte. Ich habe bewusst nicht von einer AWB-Studie gesprochen. Ich hätte wohl weniger missverständlich formulieren sollen, tut mir leid.

    » Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass das RCT als Antwort auf Ihre Bemerkung in die Diskussion kam, AWBs seien dazu da, “damit sich der Arzt selbst vom Nutzen und der Sicherheit des neuen Mittels überzeugen kann”. Dass der einzelne Arzt sich durch AWBs von etwas überzeugen kann, gar vom Nutzen eines Mittels, ist schlicht nicht möglich. So argumentiert sonst nur die Homöopathie.«

    Ich erkläre gerne noch einmal, um was es mir bei dieser Bemerkung ging.

    Nämlich darum, wie ein Pharmaunternehmen die Initiierung einer AWB dem Arzt bzw. der Öffentlichkeit gegenüber sauber begründen könnte.

    Meine Gedankengang war: Wenn ein Arzt aufgrund der Fachinformation oder auf Empfehlung des Pharmareferenten oder im Rahmen einer AWB ein neu zugelassenes Präparat erstmals einsetzt, dann vertraut er dabei sicherlich nicht blind den berichteten Erfolgsraten aus den RCTs, sondern schaut, ob sich das Mittel auch bei ihm, d. h. bei seinen alten und jungen Patienten bewährt, er wird sich vom Nutzen und der Sicherheit selbst überzeugen wollen, insbesondere bei der Behandlung von Patienten, die den Einschlusskriterien der RCTs nicht genügten, bevor er darüber entscheidet, ob er bei dem neuen Präparat bleibt oder doch lieber auf das altbewährte Mittel zurückgreift.

    So in etwa stelle ich mir das vor. Aber vielleicht habe ich auch ein völlig falsches Bild von der ärztlichen Tätigkeit.

    Etwas völlig anderes ist es, wenn ein Arzt meint, seine eigenen Erfahrungen mit dem Therapeutikum seien hinreichend, um wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegen zu können.

    »Aber seit mindestens 20 Jahren werden die AWBs kritisiert, ohne dass sich an den grundlegenden Missständen viel verändert hat.«

    Ja, das ist wohl wahr. Als ich mich ein bisschen umschaute, bin ich auf einen Aufsatz von Wolfgang Meister aus dem Jahr 2003 gestoßen, der inhaltlich so ziemlich meiner Auffassung entspricht, aber auch diese, ich sag‘ mal, Mahnung, ist offensichtlich ungehört verhallt.

    Die Anwendungsbeobachtung – eine Beobachtung der Anwendung

    Dtsch med Wochenschr 2003; 128(16): 859-862

    Danke für die Diskussionsbereitschaft!

  27. […] Mit solchen Trivialitäten hält sich die Homöopathielobby nicht auf. Sie macht es wie die Sonnenuhr und zählt die heitren Stunden nur, gerade wieder nachzulesen: „Im Streit um die Homöopathie sind die Fronten verhärtet. Björn Bendig, Sprecher des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte, widerspricht Kritikern und verweist darauf, dass der klinische Alltag sehr wohl die positive Wirkung von Globuli zeige.“ Der klinische Alltag zeigt vieles, aber die positive Wirkung von Globuli kann er nicht zeigen. […]

  28. […] können z.B. weder Anwendungsbeobachtungen noch meine individuelle Erfahrung leisten. Da aber auch RCTs nicht in der Idealform existieren, […]