Ostersonntag. Die Zeitung von gestern liegt noch da, eine Mischung aus Gräuelgeschichten aus der Weltpolitik, kindlicher Osterbesinnlichkeit und allerlei Hasenhühnerhybridem.
Ein gängiger Oster-Topos ist das Erwachen der Natur. Metaphorisch natürlich, sie hat ja nicht wirklich geschlafen und müde war sie auch nicht. Es wird seit ein paar Wochen grün draußen, daran gibt es wenig herumzukritteln. Angesichts der Zustände in der Welt wäre mir ein Erwachen der Vernunft eigentlich lieber. Aber die Natürlichkeit hat es uns halt angetan. Mit Blick darauf, was Impfskeptiker bewegt, hat die Soziologin Jennifer Reich in ZEIT-online vor ein paar Tagen den naiven Glauben daran, dass das Natürliche gut sei, zu Recht kritisiert. Natürliche Immunität, so sagt sie beispielsweise, „heißt auch, dass einige Kinder sterben“. Da mag es Christen an Ostern trösten, dass die Toten angeblich wieder auferstehen, aber dazu später. So mancher macht sich über das Vertrauen der Impfgegner auf die Weisheit der Natur lustig, um einen Tag später in einer Diskussion über die Gender Studies auf die biologisch doch eindeutige Natürlichkeit der bipolaren Geschlechterordnung zu verweisen.
Wie viel Orientierung im Denken uns die „Natürlichkeit“ zu geben vermag, ist eben nicht ganz einfach zu beantworten. Der Philosoph Dieter Birnbacher hat vor gut 10 Jahren darüber ein Buch mit 200 Seiten geschrieben. [1] Kurz gefasst, kommt er zu dem Schluss, dass Natürlichkeit keine ganz sichere Orientierungsmarke ist. Was keine Kritik an den klugen Gedanken des Buches sein soll. Kürzer kann man es allemal haben, auf 25 Seiten handelt beispielsweise Gerhard Vollmer, auch ein Philosoph, das verwandte Thema Evolutionäre Ethik ab. [2] Das reicht, um zu sehen, dass die Anhänger der Evolutionären Ethik plausible Überlegungen darüber haben, wie sich unsere ethischen Intuitionen entwickelt haben, aber nichts dazu beizutragen haben, welche Geltung diesen Intuitionen zukommt, wie sie ethisch zu rechtfertigen sind. Zwischen der Natur und der Vernunft, zwischen dem, was gerade erwacht und dem, was weiter schläft und nicht nur in Syrien Monster gebiert, gibt es einen Graben, den der Osterhase nicht überspringt. Der im Jahr 2000 verstorbene Willard Van Orman Quine, noch ein Philosoph, schon eher. Ihm zufolge steht immer der gesamte Theoriezusammenhang, selbst die Logik, vor dem Richterstuhl der Wirklichkeit. Man ahnt, dass die Sache damit nicht einfacher wird.
Für Christen geht es an Ostern nicht um Schlaf und Erwachen, sondern, eine Stufe weiter, um Tod und Auferstehung. Im aktuellen SPIEGEL 16/2017 gibt es ein Interview mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm. Er sagt, mit dem Tod sei die Sache nicht zu Ende. „Wir werden verwandelt werden.“ Darüber gibt es sicher keinen Dissens. Die Frage ist nur, in was. Profane Geister denken da vielleicht an Muttererde, die einmal das Erwachen der Natur auf Friedhöfen zu unterstützt. Oder treten wir in die Fußstapfen des Engels Aloisius, der bekanntlich der bayerischen Staatsregierung die göttlichen Ratschläge überbringen soll, aber im Münchner Hofbräuhaus festsitzt? Schwer vorstellbar, daher eigentlich gut geeignet für theologische Spekulationen, aber das wäre Heinrich Bedford-Strohm dann doch zu wenig jenseitig: „Wer durchs Feuer der kantschen Philosophie gegangen ist, weiß: Als Mensch können wir Gott nicht erkennen, wie er ist, sondern ihn nur mit unseren menschlichen Kategorien beschreiben. (…) Was wir aber können, ist Gottes Wort zu vertrauen.“ Ja, wenn wir wüssten, ob von den vielen, die angeblich Gottes Wort überbringen, mit so verwirrend unterschiedlichen Botschaften, auch nur einer Recht hat. Zumal ein ernstzunehmender Kandidat im Hofbräuhaus sitzen soll und kein Gehör findet.
Wenn die Natur uns nicht sagt, was wir tun sollen und der Götterboten viele sind, müssen wir am Ende selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist? Ganz ohne festen Grund unter den Füßen? Nietzsche, manche sagen, auch er sei Philosoph gewesen, meinte das. Nach dem Tod Gottes müssten wir selbst zu Göttern werden, so Nietzsche. Ein Spiel mit hohem Risiko, die Erfahrung zeigt, wie leicht wir stattdessen zu Teufeln werden. „Es fällt nicht leicht, ein Gott zu sein“, übertitelte Bernd Gräfrath (ein Philosoph, schon wieder) einmal ein Buch über „Ethik für Weltenschöpfer“. [1] Da hat er recht, man hätte doch gerne etwas, woran man sich orientieren kann.
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