Am 22. Juni 2017 hat der Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags, der den Umgang mit dem Dieselskandal untersuchen sollte, seinen Abschlussbericht an den Bundestagspräsidenten übergeben. Die Medien hatten immer wieder darüber berichtet, jetzt kann man alles selbst nachlesen.
Für mich sind natürlich die Passagen zu den gesundheitlichen Auswirkungen der erhöhten Stickoxid-Emissionen besonders interessant. Die gesundheitlichen Folgen der Schadstoffemissionen spielen bei der Bewertung des Dieselskandals eine Schlüsselrolle. Wenn „nur“ mehr Dreck in die Luft geblasen wurde, aber keiner darunter zu leiden hatte, ist schließlich alles nur halb so schlimm.
Zur Einschätzung der gesundheitlichen Folgen der Stickoxidemissionen waren Sachverständige geladen, die auch Gutachten vorlegten:
• Prof. Dr. Helmut Greim, TU München, Toxikologe, emeritiert, aber als Sachverständiger vielfach tätig;
• Prof. Dr. Thomas Koch, Leiter des Instituts für Kolbenmaschinen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT);
• Prof. Dr. Thomas Kuhlbusch, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, dort Leiter der Gruppe Gefahrstoffmanagement;
• Prof. Dr. Annette Peters, Epidemiologin, Helmholtz Zentrum München, Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt;
• Dr. Denis Pöhler, Universität Heidelberg, Institut für Umweltphysik.
Prof. Greim hat zwar die Gesundheitsgefahren durch Stickoxide nicht bestritten, aber die Bedeutung des Schadstoffmixes hervorgehoben und dass man gar nicht so recht sagen könne, was da wie wirke. Hinzu kämen Faktoren wie Wetter, Gesundheitszustand, Alter der betrachteten Bevölkerungsgruppe oder Aufenthaltszeit in der Umgebungsluft. Wenn man seine Aussagen im Untersuchungsbericht liest, hat man den Eindruck, dass alles fürchterlich kompliziert ist und vieles noch gar nicht verstanden. Und das stimmt natürlich. Aber das gezielte Hinarbeiten darauf, dass am Ende genau dieser Eindruck entsteht, ist von vielen „Abwehrgutachten“ bekannt. Zu höchster Entfaltung hat die Tabakindustrie solche Strategien gebracht. Prof. Greim, das nicht nur nebenbei, gilt vielen Beobachtern als „industrienah“, vor allem seit seiner Rolle im Holzschutzmittelprozess gegen die Chemiefirma Desowag in den 1990er Jahren.
Die Sachverständige Prof. Peters berichtete über epidemiologische Befunde zu den Gesundheitsrisiken von Stickoxiden und hat diese Risiken über biologische Reaktionsmechanismen plausibilisiert. Prof. Kuhlbusch hat die Stickoxidbelastung im Verkehr mit anderen Stickoxidquellen verglichen, Prof. Koch und Dr. Pöhler haben sich zu den gesundheitlichen Aspekten des Themas nicht näher geäußert.
Wenn man so will, war damit dramaturgisch die Szene „epidemiologische Vermutungen“ gegen „toxikologisch unklare Kausalitäten“ vorbereitet. Den Rest kann man sich denken. Auf Seite 507 des Berichts steht als Schlussfolgerung:
„Aus der Sachverständigenanhörung und den schriftlichen Stellungnahmen zum Thema Auswirkungen von Stickoxidemissionen auf die Gesundheit hat der Ausschuss vor allem den Eindruck gewonnen, dass noch großer Forschungsbedarf besteht, bevor konkrete Aussagen zur Kausalität gesundheitlicher Folgen von Fahrzeugemissionen getroffen werden können.“
Zu Deutsch: Wir wissen nichts. Eine Seite weiter, auf S. Seite 508, weiß der Ausschuss dann aber immerhin das:
„– In Deutschland bestehen keine toxikologisch bedenklichen NO2-Werte in öffentlich zugänglichen Bereichen.
– Es gibt keine wissenschaftlich erwiesenen Zahlen dazu, wie viele Menschen aufgrund grenzwertüberschreitender NO2-Expositionen erkrankt oder gar gestorben sind.“
Wissenschaftliche Befunde relativieren, die Sachlage als offen erklären, Verantwortung abwehren, den Handlungsbedarf reduzieren: Das hätte Trump nicht besser machen können. Ich frage mich nur, wie dann in Bezug auf die Gesundheitsrisiken durch die Abgasmanipulationen dieser Satz in Wahlprogramm der Union kam: „Dies können und werden wir nicht hinnehmen“. Da sind die Programmschreiber wohl nicht bis Seite 508 des Berichts des Untersuchungsausschusses gekommen. Hoffentlich planen sie nicht auch noch einen March for Science.
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