Die Vorschläge des Münsteraner Kreises zur Reform des Heilpraktikerwesens haben viel Medienresonanz erfahren. Dass die Politik angesichts der Sympathie in der Bevölkerung gegenüber der Alternativmedizin und der gut organisierten Lobbyarbeit – bis hin zum Bundesverband der pharmazeutischen Industrie – nicht aktiv werden wird, war zu erwarten. Wer Reformen beim Wildwuchs der Alternativmedizin im Allgemeinen oder dem Heilpraktikerwesen im Besonderen anstrebt, wird einen sehr langen Atem brauchen. An den Jahrzehnten, die es für einen halbherzigen Politikwechsel beim Tabakkonsum gebraucht hat, mag man sich vergegenwärtigen, in welchen Zeiträumen man hier denken muss. Dabei geht es beim Thema Tabak um 120.000 Tote jährlich, da kommt die Alternativmedizin nun wirklich nicht mit. In beiden Fällen windet sich die Politik übrigens mit dem gleichen Argument aus der Verantwortung: Man wolle dem mündigen Bürger nichts vorschreiben, der wisse schon, was er tut.
Nun gut, immerhin hat das Münsteraner Papier die Diskussion darüber, in welche Richtung eine Reform gehen sollte, vorangebracht: Weiterentwicklung der sektoralen Heilpraktiker zu „Fachheilpraktikern“. Auch ansonsten war die Debatte lehrreich. Mit Kritik am Münsteraner Papier haben sich überwiegend derart abgedrehte Mitglieder der Heilpraktikerszene zu Wort gemeldet, dass die Tiraden den Regulationsbedarf in diesem Gewerbe jenseits aller Skandale noch einmal sehr deutlich gemacht haben. Mir hat diese Seite der Diskussion außerdem die Einsicht beschert, dass man trotz aller berechtigter Kritik an den begrenzten Fähigkeiten vieler Ärzte, mit ihren Patienten vernünftig zu sprechen, der Alternativmedizin nicht zu pauschal attestieren sollte, sie sei in der Gesprächsführung besser. Bornierte Heilpraktiker, die alles, was ihrem Weltbild widerspricht, für Teufelswerk halten und jedwede Kritik als pharmabezahlt denunzieren, können keine guten Zuhörer sein, keine guten Aufklärer, keine guten Ratgeber. Das fällt nur nicht auf, wenn alle Beteiligten die gleiche Echokammer bewohnen.
Außerdem bin ich in den diversen Online-Beiträgen zum Thema auf eine Reihe haarsträubender Fallbeispiele gestoßen, die über den Einzelfall hinaus für allgemeinere Aspekte der Problematik stehen. Drei Beispiele:
1. Ein gesundheitspolitisches Dilemma: Heilpraktiker als Impfgegner
Die Gesundheitspolitik will, wie oben beschrieben, die Heilpraktikerproblematik nicht angehen. Sie will aber gleichzeitig, dass es ein Ende mit dem ständigen Verfehlen der Ziele bei der Masernimpfung hat. Nachdem über viele Jahre wiederholt die WHO-Ziele zur Masernelimination in Europa gerissen wurden, ist absehbar, dass auch die Vorgaben des Nationalen Aktionsplans 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland nicht erreicht werden. Einen gewissen Anteil daran hat auch, neben vielen anderen Gründen, dass Heilpraktiker Impfvorbehalte vermutlich eher verstärken als abbauen. Eine höhere Heilpraktikerdichte in den Kreisen und kreisfreien Städten korreliert z.B. mit einer niedrigeren Impfrate bei den Masern. Das belegt keine Kausalität, und natürlich sind nicht alle Heilpraktiker Impfgegner. Vermutlich hat man es eher mit einer wechselseitigen Verstärkung zu tun: In Regionen mit mehr alternativmedizinisch orientierten Menschen finden auch mehr Heilpraktiker ihr Auskommen, von denen manche wiederum ihre Patienten nicht allzu sehr zum Impfen ermuntern.
Paradigmatisch dafür mag der Schweizer Heilpraktiker Andreas Bachmair stehen. Er betreibt die Impfgegner-Seite impfschaden.info und auf seiner Praxisseite schreibt er den Impfungen alle möglichen Folgen zu, von chronischer Abwehrschwäche über Autismus, Allergien, Diabetes, Multipler Sklerose bis hin zu Sprachentwicklungsstörungen. Eine auf Verunsicherung von Menschen angelegte Seite, die wissenschaftlich völliger Unfug ist.
Natürlich kann er all diese angeblichen Folgen des Impfens behandeln, z.B. durch eine homöopathische „Isotherapie“: „Hierbei wird der Impfstoff, der zu dem Impfschaden führte, als homöopathisches Mittel nochmals nach einem genau festgelegten Schema eingenommen. (…) Auch schwere Fälle wie Autismus sind damit therapierbar.“
Sie glauben es nicht? Sehen Sie selbst:
• https://www.bachmair.org/index.php/impfschadensbehandlung
2. Homöopathen ohne Grenzen
Oft wird gesagt, Heilpraktiker würden ihre Grenzen kennen und bei ernsten Erkrankungen natürlich an den Arzt übergeben oder nur komplementär behandeln. War das auch im Fall des Heilpraktikers in Brüggen so, der Krebspatienten mit dem experimentellen Wirkstoff 3-Bromopyruvat behandelt hat und dem vorgeworfen wird, dass durch seine Behandlung möglicherweise mehrere Menschen gestorben sind? Und war das im Fall des Heilpraktikers Peter Kern so, über den der Bayerische Rundfunk vorgestern noch einmal in einer Wiederholungssendung in einem aufrüttelnden Beitrag berichtet hat? Es geht dabei ebenfalls um eine Krebspatientin, die gestorben ist. Oder kennt die Heilpraktikerin Sabine Linek ihre Grenzen, die nach eigener Darstellung Krebs mit Sauerstoff behandelt, „Tausende“, wie sie in einem Video sagt, beworben vom esoterischen Fernsehpfarrer Jürgen Fliege? Wo, wenn nicht beim Thema Krebs, müssten die Heilpraktiker denn ihre Grenzen kennen? Viele kennen sie sicher, aber viele offensichtlich nicht.
Sie glauben es nicht? Sehen Sie selbst:
• https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/dokthema/deutschland-paradies-fuer-kurpfuscher-102.html
• https://www.youtube.com/watch?v=kVbnorOYtjY
3. Die Heilpraktikerausbildung
Die Heilpraktiker-Lobby behauptet, dass Heilpraktiker ihre Grenzen auch deswegen kennen, weil sie gut ausgebildet seien. Für die Heilpraktiker-Erlaubnis braucht man keine spezielle Ausbildung. Es genügt der Hauptschulabschluss. Richtig ist, dass für die Erlaubnis beim Gesundheitsamt eine Prüfung abzulegen ist, die durchaus anspruchsvoll ist, aber man kann gezielt auf den doch begrenzten Fragenkanon hin lernen. Zudem wird nicht geprüft, was die späteren Heilpraktiker tun, sondern eben nur, ob sie in der Lage sind, ihre Grenzen zu erkennen, damit sie keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen.
Und wenn man Kurse an einer Heilpraktikerschule belegt, erhöht das die Qualifikation dann wenigstens? Das kommt auf die Heilpraktikerschule an und was man dort lernt. Selbst an der vergleichsweise seriösen Paracelsus-Heilpraktikerschule gehört „Runenheilkunde“ zum Angebot. In der Seminarbeschreibung heißt es:
„Die Symbole der Runen sind uralt, so alt, wie diese menschliche Kultur. Sie sind den Menschen geschenkt, übergeben worden, als diese verlernt hatten, direkt mit Gott/Göttin, der Quelle, zu kommunizieren. Richtig eingesetzt unterstützen sie uns dabei, die Quelle im physischen Körper zu begreifen, zu hören. Zu diesem Zweck werden die Runen gestellt und gesungen und/oder auf den Körper aufgemalt. Dieses uralte Heilungsritual zeigt manches Mal eine verblüffend schnelle Wirkung.“ Zu den Seminarinhalten gehört eine „Einführung ins Pendeln“, das „Runenstellen und -singen“, das „Aufmalen der Runen auf den Körper“ sowie das „Entstören bzw. Harmonisieren von Energiefeldern wie z.B.: Wasseradern, Verwerfungen und elektromagnetischen Feldern“. Und natürlich der Hinweis: „Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.“
Sie glauben es nicht? Sehen Sie selbst:
• https://www.paracelsus.de/a_sosemi.asp?seminaridinternet=23742075620181200
Wo sind angesichts dessen die Stimmen der Heilpraktiker, die sagen, das ist Spreu, die vom Weizen getrennt werden muss? Die sagen, es darf nicht sein, dass solche Angebote das Bild unseres Berufs bestimmen? Die sagen, hier muss der Staat eingreifen, zum Wohl der Patienten? Ich höre sie nicht.
———————–
Disclaimer: Unter den Heilpraktikern gibt es ausgesprochen klagefreudige Zeitgenossen. Ich bitte darum, in den Kommentaren auf justiziable Beschimpfungen und unbelegte Tatsachenbehauptungen zu verzichten.
Kommentare (50)