Was „statistisch normal“ ist, muss nicht das normativ Richtige oder Wünschenswerte sein. Das gilt auch für biologische Sachverhalte oder – hier wurde darüber diskutiert – für die Unterscheidung zwischen „gesund“ und „krank“. Naturalistische Begründungen des Krankheitsbegriffs sind höchst problematisch und das umso mehr, je mehr das Verständnis einer „Krankheit“ durch gesellschaftliche Wertungen geprägt ist. Homosexualität beispielsweise gilt in Deutschland heute nicht mehr als Krankheit, sondern als Normvariante. Mag sein, dass viele Homosexuelle „leiden“, aber sie leiden vor allem unter gesellschaftlicher Diskriminierung, nicht unter einer körperlichen „Fehlfunktion“, was immer das gemessen an welcher Norm – nicht statistischer Normalität (!) – sein mag. Genauso gibt es manche psychische Störungen, die früher gerne diagnostiziert wurden, heute nicht mehr, oder nur noch selten, dafür haben wir andere gefunden oder erfunden.
Irgendwie hat der Kommentator bei SPEKTRUM aber natürlich auch recht. Mathematiker beispielsweise hätten mit dem zitierten Leserkommentar vielleicht weniger Probleme. Schließlich entscheidet in der Mathematik nicht die Häufigkeit von Rechenergebnissen über die Richtigkeit von Sätzen, sondern der Beweis. Auch wenn spontan viele, vielleicht die meisten Menschen beim berühmten „Ziegenproblem“ auf „Nichtwechseln“ setzen – es ist trotzdem falsch. Und wenn in der Schule alle in der Klasse glauben, die Wurzel aus 2 sei auch nur ein Bruch, so wird es dafür keine gute Note geben.
Um zum Schluss doch noch einmal auf Kutschera zurückzukommen: Dass er aktuell seine Ansichten besonders häufig äußert, macht sie auch nicht richtiger. Das ist eigentlich ganz normal.
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