Gerade gibt es wieder einen Kutschera-Sturm im Wasserglas. Seit einiger Zeit schon ist er auf kathnet, einem rechtskatholischen Forum unterwegs und gibt dort seine Ansichten zur “Ehe für alle” als wissenschaftlich begründete Aussagen zum Besten. Vor kurzem wurde bei kathnet ein Interview Kutscheras mit dem ebenfalls einschlägigen polnischen Wochenmagazin Sieci recycled, in dem wir erfahren, dass hinter der Ehe für alle eine „politisch einflussreiche Links/Grün/Rot-indoktrinierte Gender-Homo-Lobby“ steht. Dabei sieht die Mehrheit der Bevölkerung die Sache inzwischen als „ganz normal“ an.

Im Laborjournal hat er in der aktuellen Ausgabe 9/2017 auf einen Beitrag von Brynja Adam-Radmanic „Biologie in der Gender-Debatte: Vom Feminismus geächtet, vom Rechtspopulismus umarmt“ in Heft 5/2017 geantwortet. Da kann man von Kutschera lernen, dass sozialempirische Erhebungen mit Fragebogen- oder Telefon-Interviews nur als „Forschung“ verkauft werden: „Dazu benötigt man keinen Uni-Lehrstuhl; das können auch wissenschaftliche Laien mit guten Noten im Schulfach Mathematik und solider Allgemeinbildung.“ Was sozialwissenschaftliche Forschung ist, hat sich dabei natürlich nach seinen Vorstellungen zu richten: „Wir respektieren (…) selbstverständlich geistes- und sozialwissenschaftliche Publikationen beziehungsweise Erkenntnisse, sofern sie unseren internationalen Standards entsprechen.“ Ganz normal.

Und bei der Richard Dawkins-Stiftung nimmt er gerade die Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft aufs Korn – die sei als „Spektrum der Pseudowissenschaft im Gender-Rausch“. Schon 2016 habe er auf ein Editorial reagiert, in dem es hieß, „dass bei einigen Ingenieur-Studiengängen der Männeranteil bei über 90 % und jener der Damenwelt unter 10 % liegt. (…) Ich hatte damals höflich darauf hingewiesen, dass es empirische Studien gibt, die belegen, dass dieser Gender-Gap im Wesentlichen biologisch ist.“ So wie früher vermutlich biologisch bedingt der Arztberuf eine überwiegend männliche Domäne war und die „politisch einflussreiche Links/Grün/Rot-indoktrinierte Gender-Homo-Lobby“ daran schuld ist, dass dem nicht mehr so ist. Jetzt hat er sich über einen Beitrag in SPEKTRUM geärgert, der die Geschlechterverhältnisse etwas komplexer beschrieben hat, als sie nach seiner Meinung sind. Folglich Pseudowissenschaft.

Das war der Vorspann. Oder die Rubrik „Was macht eigentlich Herr Kutschera?“ Über Kutscheras Ansichten ist aber mehr oder weniger alles gesagt, mehrfach. Schade, dass er nicht mehr zurückfindet zu einer Ebene, auf der man vernünftig diskutieren kann. Das ist daher diesmal auch nicht mein Thema, sondern ein Leserkommentar zu dem Geschlechterartikel bei SPEKTRUM. Dort schreibt jemand:

„Im Übrigen ist die Statistik nicht immer ein geeignetes Mittel um eine ‚Wahrheit‘ zu erkennen. Statistisch haben die Menschen im Durchschnitt weniger als zwei Augen. Dennoch würden die Meisten ‚zweiäugig‘ als den Normalfall deklarieren.“

Das ist eine assoziationsreiche Äußerung und ein paar Assoziationen dazu will ich hier anbringen. Zunächst: Der Satz klingt einleuchtend, aber er stimmt nicht. Zwar haben die Menschen „im Durchschnitt“ – wegen einer gewissen Zahl derer, die ein Auge oder zwei Augen verloren haben – weniger als zwei Augen. Wenn man „Durchschnitt“ als arithmetisches Mittel definiert und nicht als Median, darüber wird gerade nebenan bei Florian Freistetter diskutiert. Der Median der Augenzahl der Menschen ist zwei. Man sollte hier also ganz einfach nicht mit dem arithmetischen Mittel arbeiten, um „den Normalfall“ zu identifizieren. Oder sich wenigstens zusätzlich dazu ein Streuungsmaß ansehen, oder überhaupt erst einmal darüber nachdenken, was „der Normalfall“ ist.

Der „Normalfall“ kann als der häufigste Wert verstanden werden. Das wäre übrigens der sog. “Modus“, also noch einmal eine andere Form von „Mittelwert“. Der häufigste Wert muss aber natürlich nicht die „Norm“ im Sinne eines Sollens sein. Dies vermischt auch Kutschera gerne, wenn von der Häufigkeit einer „normalen“ Geschlechterverteilung zur Heteronormativität kommt. Grundsätzlich sagen empirische Daten nie, was sein soll. Der Schluss vom Sein auf das Sollen ist nach David Hume ein Fehlschluss, George Edward Moore hat Anfang des letzten Jahrhunderts – unter einem spezifischen Blickwinkel – den Begriff des „naturalistischen Fehlschlusses“ geprägt. Es gibt kein logisch gültiges Schlussverfahren, das vom Sein zum Sollen führt.

Was „statistisch normal“ ist, muss nicht das normativ Richtige oder Wünschenswerte sein. Das gilt auch für biologische Sachverhalte oder – hier wurde darüber diskutiert – für die Unterscheidung zwischen „gesund“ und „krank“. Naturalistische Begründungen des Krankheitsbegriffs sind höchst problematisch und das umso mehr, je mehr das Verständnis einer „Krankheit“ durch gesellschaftliche Wertungen geprägt ist. Homosexualität beispielsweise gilt in Deutschland heute nicht mehr als Krankheit, sondern als Normvariante. Mag sein, dass viele Homosexuelle „leiden“, aber sie leiden vor allem unter gesellschaftlicher Diskriminierung, nicht unter einer körperlichen „Fehlfunktion“, was immer das gemessen an welcher Norm – nicht statistischer Normalität (!) – sein mag. Genauso gibt es manche psychische Störungen, die früher gerne diagnostiziert wurden, heute nicht mehr, oder nur noch selten, dafür haben wir andere gefunden oder erfunden.

Irgendwie hat der Kommentator bei SPEKTRUM aber natürlich auch recht. Mathematiker beispielsweise hätten mit dem zitierten Leserkommentar vielleicht weniger Probleme. Schließlich entscheidet in der Mathematik nicht die Häufigkeit von Rechenergebnissen über die Richtigkeit von Sätzen, sondern der Beweis. Auch wenn spontan viele, vielleicht die meisten Menschen beim berühmten „Ziegenproblem“ auf „Nichtwechseln“ setzen – es ist trotzdem falsch. Und wenn in der Schule alle in der Klasse glauben, die Wurzel aus 2 sei auch nur ein Bruch, so wird es dafür keine gute Note geben.

Um zum Schluss doch noch einmal auf Kutschera zurückzukommen: Dass er aktuell seine Ansichten besonders häufig äußert, macht sie auch nicht richtiger. Das ist eigentlich ganz normal.

Kommentare (53)

  1. #1 Alisier
    22. September 2017

    Vom Seim (Sejm?) zum Sollen ist so schön, dass du es unbedingt stehen lassen solltest, selbst wenn nicht beabsichtigt.
    Und du willst wohl mal wieder unbedingt die Gesamtheit der Klassenbullies hier versammelt haben, oder? 🙂

    • #2 Joseph Kuhn
      22. September 2017

      😉

  2. #3 ChemDoc
    22. September 2017

    Herr Kutschera zeigt uns, wie man aus Homophobie eine Religion macht…

  3. #4 rolak
    22. September 2017

    Der Name ‘Sieci’ kam doch irgendwoher bekannt vor…

    stehen lassen

    Oh wie schade, es ist dahin…

    • #5 ChemDoc
      22. September 2017

      Das Frühstück? Kein Wunder. Ich würge auch noch, hoffe aber, die Oberhand zu gewinnen.

  4. #6 Alisier
    22. September 2017

    Zu Sieci, rolak:
    Es ist und bleibt bemerkenswert, dass die unappetiliche Suppe, die seit gefühler Ewigkeit vor sich hinköchelt und manchmal überschäumt, immer dieselben Zutaten hat, und auch immer von den selben Verdächtigen gelöffelt wird.
    Und es ist halt blöd, dass sich immer die Mägen der Nichtlöffelnden umdrehen…..

  5. #7 tomtoo
    22. September 2017

    Sehr schöner Artikel. Ing. Studium, Biologisch bedingt ? Muhhhaaa.

  6. #8 Struppi
    22. September 2017

    “Was „statistisch normal“ ist, muss nicht das normativ Richtige oder Wünschenswerte sein. ”

    Exakt!
    Aber auch und umgekehrt – nur weil etwas “statistisch unnormal” ist, ist es nicht schlecht.

    Das ist auch das Problem der (heutigen) Soziologie sie hält Statistik an sich für die Erklärung aller Gesellschaftlichen Verhaltensweise. Diese Entwicklung zu Ende gedacht führt zu einer Form der staatlichen Überwachung und Regulierung die kein Mensch eigentlich wirklich möchte. Aber aktuell lassen sich mit solchen Thesen viele Blumentöpfe gewinnen.

    Ich bin froh, dass ich in einer Zeit groß geworden bin, wo noch Vielfalt und die Freiheit der Individuellen Entscheidungen, über dem was die Gesellschaft von dem einzelnen erwarten, lag. Wir haben die Freiheit von unsere von der Nazigeneration erzogenen Eltern erkämpfen müssen und glücklicherweise bekommen.

    Heute wird jede Kleinigkeit gesellschaftlich bewertet und be-(oder ver-)urteilt.
    Und es gibt für jede Seite nur noch: “EIN Richtig!” – Orwell lässt grüßen.

  7. #9 Alisier
    22. September 2017

    Bully numero eins…..

  8. #10 popcorn
    22. September 2017

    Danke an Herrn Kuhn für die rechtzeitige Bereitstellung des Wahlbegleitungs-Threads. Popcorn ist ausreichend vorhanden, der Champagner kalt gestellt. Oh, wie freue ich mich auf die langen Gesichter hier ab Sonntag 18 Uhr 🙂

    • #11 ChemDoc
      22. September 2017

      Die meisten hier werden erfreut gucken, weil keine Faschisten an der nächsten Regierung teilnehmen werden. Mir genügt das auch, um zu grinsen.
      Sollten sie auf etwas anderes hoffen, spreche ich ihnen hiermit schon mal prophylaktisch kein Bedauern aus.

  9. #12 Alisier
    22. September 2017

    Die erfreuten Gesichter sparen wir uns für die unvermeidliche Blamage der ganzen aggressiven Bagage nach den Wahlen auf.
    Und bei den nächsten Wahlen bleiben die hämischen Grinser und Hetzer dann auch wieder weg.
    Es ist zwar ein gruseliger Spuk, aber angst haben fällt mir ja im Traum nicht ein.

  10. #13 Hav0k
    22. September 2017

    Guter Artikel, insbesondere die Trennung von Statistik und gesellschaftlichen Implikationen!

    Ach ja, und: Alisier, wie wär’s wenn du allen mal dein prophylaktisches Gegeifer ersparst? Da trollt ja selbst der Webbär einfallsreicher…

  11. #14 noch'n Flo
    Schoggiland
    22. September 2017

    @ Hav0k:

    Alisier, wie wär’s wenn du allen mal dein prophylaktisches Gegeifer ersparst?

    Der doch nicht, der muss sich doch immer und überall als moralische Instanz für alle anderen gerieren.

  12. #15 RPGNo1
    22. September 2017

    Ring frei noch’n Flo vs. Alisier *bing*
    Btw, die Rundenzahl in diesem Match ist nicht begrenzt.

  13. #16 Joseph Kuhn
    22. September 2017

    @ all:

    Ich habe die folgenden “Alisier versus noch’n Flo”-Kommentare gelöscht. Leute, reißt euch doch am Riemen, wer will so was lesen?

  14. #17 popcorn
    22. September 2017
  15. #18 Alisier
    22. September 2017

    Was ist denn daran perfekt, popcorn?
    Und vor allem: was hat das mit dem Thema zu tun?

  16. #19 popcorn
    22. September 2017

    @ alisier

    Nunja, im Sinne des Artikels lässt sich jetzt vorzüglich darüber diskuteren, wie eine solche Statistik zu interpretieren wäre.

    Beispielsweise stellt sich die Frage, ob für die AfD der zeitlich letzte Wert (13%) oder der Durchschnittswert (11,1%) für die Wahl am Sonntag wahrscheinlicher ist.
    Auf der anderen Seite ist es aber wohl auch egal, da der Vorsprung gegenüber den restlichen Drittplatz-Kandidaten auf jeden Fall ausreichend sein dürfte.

  17. #20 Alisier
    22. September 2017

    Ich denke, dass das dennoch recht themenfern ist.
    Und dass es völlig wumpe ist, ob die AfD nun 10 oder 15 Prozent bekommt, und auch wer Dritter wird.
    Wie schon gesagt: wir werden die Leute ertragen müssen, so wie wir Kutschera ertragen müssen.
    Allerdings eben nicht, ohne Kritik zu üben.

  18. #21 tomtoo
    22. September 2017

    @Alisier
    Da hab ich meine Bedenken. Kritik gegenüber Intoleranz , wird als Intoleranz angesehen. ; )

  19. #22 Umami
    22. September 2017

    Super Artikel!

  20. #23 Laie
    22. September 2017

    Der Begriff “Gender-Homo-Lobby” ist doch zu ungenau bis falsch, hier sollte Kutschera genauer formulieren.

  21. #24 cero
    23. September 2017

    Komische Zeiten in denen wir leben, wenn man gleichzeitig einen Artikel auf kath.net und bei der Richard Dawkins Foundation veröffentlichen kann…

  22. #25 Joseph Kuhn
    23. September 2017

    @ Struppi:

    “Aber auch und umgekehrt – nur weil etwas “statistisch unnormal” ist, ist es nicht schlecht.”

    Ja. In dieser Hinsicht macht der Satz des Spektrum-Lesers ein berechtigtes Cave. Manchmal werden inhaltliche Kategorisierungen allein aufgrund statistischer Verteilungen vorgenommen. Beispielsweise orientiert sich die gängige Einteilung von Überwicht und Adipositas bei Kindern an der 90. und 97. Perzentile einer Eichstichprobe. Das ist gänzlich willkürlich, man hätte auch die 88. und 95. Perzentile nehmen können, oder die 92. und 98. Hier fehlt ein medizinisch begründeter Cut-off-Wert und man behilft sich mit einem statistischen Verteilungsparameter.

    Gleichwohl ist es natürlich vernünftiger, dass man die 90. bzw. 97. und nicht die 60. bzw. 65. oder die 99. bzw. 99,5. Perzentile genommen hat – von der Größenordnung her ist die Wahl also berechtigt, aber in der konkreten numerischen Grenzziehung willkürlich. Jetzt kann man darüber sinnieren, ob die Statistik hier immerhin ein Wegweiser in die richtige Richtung ist oder ein ungeeignetes Mittel, “um eine ‚Wahrheit‘ zu erkennen”.

  23. #26 RPGNo1
    23. September 2017

    @cero
    Wieso komisch? Ulrich Kutschera ist einer der Ansprechpartner der deutschen Sektion der RDF.
    Und was kath.net angeht: Kutschera gibt den unterschiedlichsten Presseportalen und Medien Interviews (u.a. dem hpd), insbesondere wenn es um sein momentanes Lieblingsthema “Gender” geht. Er sagt ja auch von sich selbst, dass er ungläubig und Nichtwähler ist und dass seine Aussagen weder politisch noch religös motiviert seien. Weltanschauliche oder politische Hintergründe von Medien sind ihm anscheinend völlig egal.

  24. #27 anderer Michael
    23. September 2017

    Hermeneutisch-ontologisch-mathematisch schlage ich Prof Kutschera zur lausigen Genderdebatte die Subtraktion wie folgt vor:

    seinende-sein = ende

    Ich weiß nicht, ob das zielführend ist. Er täte sich selber einen Riesengefallen, so als Küchenphilosoph und Küchenpsychologe gesprochen.

  25. #28 Pedant
    23. September 2017

    #24 cero
    „Komische Zeiten in denen wir leben, wenn man gleichzeitig einen Artikel auf kath.net und bei der Richard Dawkins Foundation veröffentlichen kann…“

    Find ich auch, echt zum velzweifern (lechts und rings jetzt nicht als ideologische Positionsbestimmung sondern als Benennung zweier gegenüberliegender Seiten. Vielleicht wäre lichtig und farsch lustiger, oder man bleibt in der Mitte und nennt das dann nolmar und je mittiger am mittigsten die Position ist, desto nolmarer am nolmarsten ist sie.

  26. #29 Roland B.
    23. September 2017

    @#25: Das ist aber doch irgendwie bei allen Grenzwerten das gleiche Problem. Irgendwie liegen sie im richtigen, vernünftigen Bereich, aber der exakte wert ist immer willkürlich. Ob Nitratbelastung im Grundwasser, Geschwindigkeitsbegrenzung in der Stadt, Uhrzeit für die Nachtruhe … man könnte genauso 45 mg/l, 53 km/h oder 22:15 Uhr nehmen. Ich fand’s früher (als ich kommunalpolitisch aktiv war) immer irgendwie lustig, wenn bei Trinkwasserbrunnen mit 49 mg Nitrat pro Liter alles völlig in Ordnung war und völlig unbedenklich, bei 51 mg/l aber sofort davon gerdet wurde, man müsse jetzt sofort etwas unternehmen. Ich hatte da immer das Gefühl, daß unser Schulsystem völlig versagt hat, daß für die allermeisten Gemeinderäte und Beamten hinter dem Grenzwert so eine Art Schalter steckte. Bis minimal drunter alles wunderbar, minimal drüber Alarm.

  27. #30 Roland B.
    23. September 2017

    Nachtrag: das ist übrigens das gleiche Problem bei der Armutsdefinition, da diese vom Durchschnittseinkommen im jeweiligen Staat abhängig ist. Da könnte man auch mit Villa und Jacht als arm gelten, wenn’s den anderen noch viel besser geht. Und in richtig armen Ländern gibt’s kaum offizielle Arme, weil’s da allen dreckig geht.

    • #31 Joseph Kuhn
      23. September 2017

      @ Roland B.:

      “Armutsdefinition”

      Es gibt verschiedene Armutsdefinitionen. Sie spielen auf die Definition der relativen Armut an, die sich am Abstand zum Median des sog. Äquivalenzeinkommens (einem bei Haushalten gewichteten Einkommen) bemisst. Da es dabei eigentlich um soziale Ungleichheit geht, ist diese Definition durchaus sinnvoll. Richtig ist natürlich, dass die Verdopplung aller Einkommen nichts an der so definierten Armutsquote ändert. Das würde allerdings auch dem Sinn dieses Maßes widersprechen. Maße der sozialen Ungleichheit sind z.B. in der Gesundheitsforschung wichtig, weil die Gesundheit der Bevölkerung in entwickelten Gesellschaften stärker von Ungleichheit als von einer absoluten Einkommensschwelle abhängt, siehe z.B. die Analysen von (Richard Wilkinson).

      Es gibt trotzdem immer wieder Kritik daran. Wer sich über den Begriff der relativen Armut herrlich aufregen kann, ist der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, z.B. in seinem schon etwas älteren Büchlein “Armut in der Bundesrepublik. Zur Theorie und Praxis eines überforderten Begriffs”, Camus, 2000. Viele Wirtschaftsliberale haben Probleme mit dem relativen Armutsbegriff, weil bei ihnen soziale Ungleichheit eher positiv konnotiert ist, als Leistungsanreiz und Triebkraft des Wettbewerbs, während der Armutsbegriff allgemein negativ besetzt ist.

  28. #32 Roland B.
    24. September 2017

    Danke für diese Erläuterung. Leider ist dieser Armutsbegriff der, der in den Medien (beinahe?) ausschließlich genutzt wird. Mittlerweile allerdings anscheinend häufig mit einer kurzen Erläuterung (“als arm gilt…”).

  29. #33 WolfgangM
    24. September 2017

    Den schwulen Graugänsen von Konrad Lorenz würde Josephs Artikel gefallen, da hätten sie was zu schnattern 🙂

  30. #34 anderer Michael
    24. September 2017

    Viel verstehe ich nicht. Nur die ganze Statistik ist ein Hilfsmittel zur Interpretation von Daten.
    Möchte ich etwas beweisen, brauche ich in erster Linie Fakten und Argumente und Kausalzusammenhänge.
    Rein auf Statistik abheben, macht mich hellhörig.

    Werden schwule Graugänse auch zu Gänsebraten verarbeitet? Wenn ja, schmecken diese anders, dauert die Zubereitung länger oder kürzer? Fragen über Fragen!Das Leben kann so verwirrend sein. Wo sind nur die einfachen Antworten 🙂 !!

    • #35 Joseph Kuhn
      24. September 2017

      @ anderer Michael:

      “Werden schwule Graugänse auch zu Gänsebraten verarbeitet?”

      Jedenfalls ist anzunehmen, dass Gänsezüchter die schwulen Gänse eher zu Gänsebraten verarbeiten, weil sie nicht so viel zum Erhalt der Population beitragen. In der Hinsicht haben wir mit der “Ehe für alle” doch andere Zivilisationsstandards.

      “Rein auf Statistik abheben, macht mich hellhörig.”

      Unbedingt. Man denke nur an die Risikofaktorendebatte. Oft wird da zu mutig von Korrelation auf Kausalität geschlossen, beim Cholesterin läuft die Debatte dazu inzwischen über Jahrzehnte.

  31. #36 Kassandra
    24. September 2017

    Zahlen sind immer eine Reduktion der Realität; es fehlt ihnen grundsätzlich etwas meiner Meinung nach Entscheidendes. Was man Statistiken entnehmen kann, erzählt nun einmal keine Geschichte, die irgendwer für wahr halten könnte, wenn bei der Interpretation der Zahlen nicht ernsthaft versucht wird, das zu ergänzen, was ihnen fehlt. Das passiert aber selten genug.

    Ein Beispiel: Statistisch belegbar ist, dass ich nach den aktuell gültigen Kriterien als reich gelte, relativ knapp über der Grenze, aber dennoch. Gleichzeitig wäre ich aber, ebenfalls belegbar, nicht in der Lage, die von mir bewohnte, mir gehörende Wohnung zu mieten, wenn sie mir zu heute üblichen Quadratmetermieten angeboten würde, ohne bei der Bruttokaltmiete die 30-Prozent-Grenze zu überschreiten, ab der die Wohnkosten als kritisch hoch gelten. Ich könnte mir auch sonst nur die allerkleinsten der momentan in einem Umkreis von zwei Kilometern angebotenen Wohnungen leisten. Komischer Reichtum, oder?

    Im richtigen Leben real existierender Menschen sind Zahlen alleine also offensichtlich zu wenig, um sich ein Bild zu machen, das halbwegs zutreffend ist. Mit Herrn Kutschera habe ich mich nie befasst, aber in diesem Punkt bin ich mit ihm augenscheinlich einer Meinung.

    Aber jetzt noch was zum sich abzeichnenden heutigen Wahlergebnis. Erinnert sich noch jemand an meine Prognose zum Schulz-Hype im Frühjahr? Die SPD hat in den letzten Monaten eine Riesenchance versemmelt, und das meiner Meinung nach nur deshalb, weil sie nicht kapierte, was dieser Hype zu bedeuten hatte. Bis heute hat das noch keine einzige Partei kapiert, auch diejenigen nicht, die momentan von einem Wählerhype profitieren, den sie ebenfalls nicht verstehen.

    Vielleicht schafft es ja der Leidensdruck nicht nur für die SPD, sondern auch CDU und vor allem CSU, die offenbar besonders heftig Federn lassen musste, dass endlich einmal wenigstens die richtigen Fragen gestellt werden.

  32. #37 Laie
    24. September 2017

    @Kassandra
    Wer hat festgelegt, wer als reich gilt oder nicht?
    Das ist eine politische Festlegung, damit die Leute glauben, zu den Wohhabenden zu gehören. Das ist die Geschichte dahinter.

    Wer die Methoden der Statistik richtig anwendet erhält richtige Werte. Du gehörst eindeutig nicht zu den wohhabenden Menschen. Derzeit findet ein starkes Abbrechen der sog. Mittelschicht nach unten statt. Grundstückspekulationen, fehlender (sozialer) Wohnbau und Verkauf von Mietshäusern an Private durch den Staat sind ebenfalls Teil der Geschichte, genauso wie die gefakte Inflationiosrate, die bewusst niedriger angegeben wird, als es die Realität der Menschen betrifft.

    Übrigens ist der Modus, der Wert in der Mitte wirklich viel aussagekräftiger, als ein arithmetischer Mittelwert. (Das kann man leicht an Hand von Beispielen selbst nachrechnen, bzw. sich Verteilungen ansehen und erkennen)

    Wenn nun diejenigen, die Arme zu Wohlhabenden erklären und damit schaffen, den Betroffenen mathematische Zusammenhänge auszureden, dann haben die ihr Ziel erreicht.

    Wenn die richtigen Fragen gestellt werden sollten, dann hätte man diese Frau Maischberger rechtzeitig zustellen sollen. So fragte sie nur Blödsinn, naja….

    Mal ne fiktive Geschichte:
    Vielleicht war Schulz der Kandidat, um Merkel nicht zu gefährden – weil es ein Versprechen zur GoKo gibt? (SPD wird nach laaaangen Überlegungen …. doch …. Merkel ….. weiterhin dienen)

  33. #38 Laie
    25. September 2017

    Beim Einkommen wäre es der Wert in der Mitte, der Median (je nach tatsächlicher Verteilung) eine bessere Aussage über das Einkommen trifft, als das arithmetische Mittel.

    Beispiel: 101 Personen. Sind 2 sehr reiche Millionäre darunter, dann verzerrt das arithmetische Mittel, wegen der 2 Ausreisser die Aussagekräft über das Einkommen. Sieht man sich den Wert in der Mitte an, wenn man alle nach ihren Einkommen reiht und die Person Nr 50 wählt, so wird man feststellen, dass ein hoher Prozentanteil in ungefähr so viel verdient wie diese Person (also viel weniger als das arithmetische Mittel)

    Wenn nun Politiker meinen, uns gehe es im (arithmetischen) Durchschnitt gut, dann ist das schon wieder gelogen.

  34. #39 Kassandra
    25. September 2017

    @Laie:

    Für wohlhabend halte ich mich eigentlich schon. Ich hatte neulich die Situation, dass ich innerhalb von Sekunden darüber entscheiden musste, ob mir eine bestimmte Sache einen vierstelligen Betrag wert ist, obwohl sie mir keinen von außen erkennbaren Nutzen brachte. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich mich trotzdem dafür entscheiden konnte und auf erstaunte Fragen anderer die Achseln zucken und sagen: “Ist doch nur Geld.” Dass ich reich sein soll, finde ich aber doch ein wenig skurril, dafür liegt meine Grenze bei “spontan viel Geld ausgeben können” dann doch wieder zu niedrig.

    Das Problem mit den Statistiken ist, dass sie einen auf den Kopf gestellten Blickwinkel repräsentieren. Der hat natürlich dennoch seinen Erkenntniswert, aber er wird maßlos überschätzt, wenn man sich nicht klarmacht, dass man eigentlich aus der falschen Richtung an die Sache herangeht. Und es wird auch oft bewusst Schindluder mit ihm getrieben, weil Statistiken so “wahr” wirken und deshalb ein wirksamer Hebel sind, um politische Forderungen zu stützen. Ich bin ziemlich sicher, dass viele Pressure Groups wissen oder jedenfalls ahnen, dass sie irreführende Darstellungen verbreiten, nur eben glauben, der gute Zweck, den sie anstreben, heilige dieses Mittel. Für dumm verkaufen sie die Leute aber trotzdem, und das ist auch mit guten Absichten nicht zu rechtfertigen. Mehr noch, es hat in dem Umfang und der Intensität, mit der es in den letzten Jahren immer methodischer als Instrument eingesetzt wird, eine gesellschaftlich zersetzende Wirkung.

    Vielleicht hat es dieser Kutschera ja wirklich nicht verdient, dass jemand seine Argumentation in Teilbereichen stützt (mir fehlt die Zeit, um mich systematisch mit anderen “Wissenschaftsskeptikern” zu befassen). Aber ich erkenne die bei mir seit Jahren kontinuierlich schwelende, meist unauffällige, aber manchmal zum Ausbruch kommende Gereiztheit in vielen dieser Skeptiker wieder, auch wenn ihre Argumente mindestens genauso hohl tönen wie die Statistiken, wenn man sie abklopft. Da sind oft vor allem dumpfe Gefühle mit im Spiel: Man hat gemerkt, dass an einer Sache irgendwas faul sein muss, weiß aber nicht so genau, was, und gerät auf der Suche nach einer befriedigenden Erklärung selbst auf gedankliche Abwege. Vielleicht wäre ich ja weniger gereizt, wenn ich es mir auch so einfach machen könnte, aber ich wüsste nicht einmal, wie ich das anfangen sollte.

    Ich bin jedenfalls keine Zahl, sondern ein Mensch. Auf mich treffen unzählige statistische Werte zu, und kein einziger davon ist repräsentativ für mich oder meinen Platz in der Gesellschaft, sondern wenn schon, dann allenfalls ihre vollständige Kombination (falls man so etwas zuwege bringen sollte, was ich aber bezweifle) plus noch ein paar Dinge, die man weder zählen noch messen kann. Ich betrachte es deshalb als einen Angriff auf meine Menschenwürde, auf einen einzelnen statistischen Wert reduziert und nach ihm beurteilt zu werden.

  35. #40 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2017/09/25/innovation-digitalisierung-verkehr/
    25. September 2017

    @Kassandra

    Aber jetzt noch was zum sich abzeichnenden heutigen Wahlergebnis. Erinnert sich noch jemand an meine Prognose zum Schulz-Hype im Frühjahr? Die SPD hat in den letzten Monaten eine Riesenchance versemmelt, und das meiner Meinung nach nur deshalb, weil sie nicht kapierte, was dieser Hype zu bedeuten hatte. Bis heute hat das noch keine einzige Partei kapiert, auch diejenigen nicht, die momentan von einem Wählerhype profitieren, den sie ebenfalls nicht verstehen.

    Ich erinnere mich nicht. Was war es denn?

    – cut –

    Bei Kutschera tut man sich ja wirklich schwer, auch nur einzelne Sätze zu finden, die man verteidigen könnte. Canada hat es da besser; da kann man Bret Weinstein mit Jordan Peterson bei der Joe Rogan Experience diskutieren sehen:

    Die sind nicht so dermaßen aus der Zeit gefallen.

    [Edit: Videoeinbindung geändert, JK]

  36. #41 Hans Zauner
    26. September 2017

    … und noch ein Biologie-Dozent (noch nicht namentlich genannt), der wirres Zeug redet:

    https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/tu-darmstadt-dozent-verliert-laut-asta-vorlaeufig-lehrerlaubnis-wegen-rassismus-a-1170017.html

  37. #42 Hans Zauner
    27. September 2017

    … und noch ein anderer Evolutionsbiologe, der neuerdings bei Twitter den Wutbürger gibt:
    https://twitter.com/ProfAxelMeyer/with_replies

  38. #43 RPGNo1
    27. September 2017

    @Hans Zauner

    … und noch ein Biologie-Dozent (noch nicht namentlich genannt), der wirres Zeug redet

    Oha, das ist aber ein Kaliber. Der Dozent scheint sich schon längst jenseits von Gut und Böse zu befinden.

    https://www.asta.tu-darmstadt.de/asta/de/aktuelles/2017-09-26-pressemitteilung-lehrendem-wegen-diskriminierender-aussagen-vorl%C3%A4ufig
    Die Mitteilung des AStA sagt übrigens, dass der Dozent Biologiedidaktik-Seminare angeboten hat. Meine Frage: Muss ein Biologiedidaktiker zwingend Biologie studiert haben? Ich kenne mich diesbezüglich zu wenig aus.

    … und noch ein anderer Evolutionsbiologe, der neuerdings bei Twitter den Wutbürger gibt:

    Pech, Twitter verlangt eine Anmeldung. Gibt es ev. noch einen anderen Link?

  39. #44 Hans Zauner
    27. September 2017

    Muss ein Biologiedidaktiker zwingend Biologie studiert haben? Ich kenne mich diesbezüglich zu wenig aus.

    “Muss” wohl nicht, aber in der Regel sind das Biologen mit Didaktik-Qualifikation, bzw. ausgebildete Biolehrer im Hochschuldienst.

    Das Verfahren läuft noch, da sollte man noch ein wenig vorsichtig sein – deshalb wird wohl auch kein Name genannt und ich will hier auch nicht öffentlich spekulieren. Aber per Google und Hinweisen aus dem Zeitungsartikel findet man schnell die entspr. Veranstaltung…

    Bzgl. Twitter: Ah, sorry, wusste gar nicht, dass man sich anmelden muss, um bei Twitter reinzugucken. Ist aber auch gar nicht so spannend – nur die übliche Merkel- und Journalistenschelte.

  40. #45 RPGNo1
    27. September 2017

    @Hans Zauner
    Danke für den Hinweis zur Biologiedidaktik.

    Das Verfahren läuft noch, da sollte man noch ein wenig vorsichtig sein – deshalb wird wohl auch kein Name genannt und ich will hier auch nicht öffentlich spekulieren.

    Absolut ok. Name and shame gehört sich nicht. Und den Pranger haben wir glücklicherweise auch abgeschafft.
    Ich fand die Pressemitteilung des AStA übrigens auch leicht daneben, denn was der Hinweis auf Kutschera, egal wie man zu seinen Aussagen steht, mit dem aktuellen Fall an der TU Darmstadt zu tun hat, erschließt sich mir nicht.

    Ah, sorry, wusste gar nicht, dass man sich anmelden muss, um bei Twitter reinzugucken.

    Ich habe schon andere Twitter-Nachrichten lesen können, ohne angemeldet zu sein. Aber hier klappt es nicht. Na ja, ist kein Beinbruch.

  41. #46 anderer Michael
    27. September 2017

    Der Darmstädter Dozent hat einen Knall.

    Prof. Axel Meyer würde ich empfehlen sachlich zu bleiben. Ich vermute, er hat das öffentliche Klima ab 9/2015 nicht richtig verarbeitet.

    Viele Leute, die in dieser Menge twittern, haben merkwürdige Ansichten.

  42. #47 Laie
    27. September 2017

    @anderer Michael
    Warum heute einige noch längst widerlegte Theorien, wie die Rassentheorien des 3. Reichs empfehlen ist vollkommen unlogisch. Dabei ist längst bekannt, dass durch einen oder mehrere genetische Engpässe die Varianz in den Genen bei Menschen global weit gesehen zu gering ist, um von Rassen sprechen zu können.

  43. #48 RPGNo1
    28. September 2017

    @anderer Michael
    Verdammt, jetzt hast du mich wieder neugierig gemacht. 🙂
    Was hat Axel Meyer denn getwittert?

  44. #49 Hans Zauner
    28. September 2017
  45. #50 RPGNo1
    28. September 2017

    @Hans Zauner
    Ja, das geht.

  46. #51 RPGNo1
    28. September 2017

    Ok, habe jetzt einige der Meyer’schen Twitternachrichten gelesen.
    Fazit: Er umkreist die Duftmarken, die momentan die AfD setzt, und fügt seine eigenen hinzu. Wutbürger passt also ganz gut.

  47. #52 Andreas K.
    30. September 2017
  48. […] Mitglied der glaubenskritischen Giordano Bruno-Stiftung im Kampf gegen die „Genderideologie“ auch bei reaktionären katholischen Medien wie kathnet geistig zuhause fühlt, dürfte sich herumgesprochen haben. Nach dem Motto, der Feind meines […]