Nebenan bei den Skeptikern wird gerade auf einen Artikel von Hinnerk Feldwisch-Drentrup im Berliner Tagesspiegel hingewiesen. Der Wissenschaftsjournalist Feldwisch-Drentrup berichtet darin von der Diskussion um die Heilpraktiker auf der Tagung „Wissenswerte“ 2017. Einer der Diskussionspartner dort war Christian Wilms, Präsident des Fachverbands Deutscher Heilpraktiker, der sich, so Feldwisch-Drentrup, offen zu Techniken wie psychologischer Astrologie, Reinkarnationstherapie oder Quantenheilung bekannt habe. „Die gesamte Breite der Medizin darf in unserem Beruf abgebildet werden, auch so etwas“, zitiert er Wilms.
Ein Berufsbild …
Außerdem zitiert Feldwisch-Drentrup aus dem „Berufsbild“ dieses Verbands den seltsamen Satz, dass die Naturheilkunde des Heilpraktikers „grundsätzlich unabhängig von Zeitströmungen, Systemzwängen oder dem jeweils herrschenden Wissenschaftsbild“ sei. Bei solchen Sätzen muss man einfach mal in das besagte „Berufsbild“ schauen.
Da steht im ersten Absatz, dass die Naturheilkunde sich schon immer „an den Gesetzmäßigkeiten der Natur sowie der inneren Natur des Menschen orientierte.“ Wer auch nur einmal am Samstag ins Wissenschaftsfeuilleton geschaut hat, fragt sich, wie kann das sein? Waren diese Gesetzmäßigkeiten denn schon immer bekannt? Sind sie es heute? Dann könnten die Naturwissenschaften sich doch zur Ruhe setzen. Und die Psychologen wüssten endlich, was mit der „inneren Natur des Menschen“ auf sich hat.
Als nächstes folgt – völlig konsequent – der von Feldwisch-Drentrup zitierte Satz: „Damit ist die Naturheilkunde des Heilpraktikers grundsätzlich unabhängig von Zeitströmungen, Systemzwängen oder dem jeweils herrschenden Wissenschaftsbild“. Klar, wenn man im Besitz der unfehlbaren Wahrheit ist, kann alle Wissenschaft nur ein Haschen nach belanglosen Erscheinungen sein.
Nur, warum geht der Satz dann so weiter: „(…) wiewohl der Heilpraktiker wissenschaftlich gesicherte Forschungsergebnisse und Erkenntnisse in seiner Tätigkeit selbstverständlich berücksichtigt.“ Was denn nun? Grundsätzliche Unabhängigkeit von der Wissenschaft oder Berücksichtigung der Wissenschaft, oder alles, wie es gerade passt?
… mit überirdischem Anspruch
Im nächsten Absatz wird es ein wenig religiös: „Die möglichst vollkommene Erhaltung des Lebens durch sich selbst organisierende Systeme und Ordnungsprinzipien scheint dem Heilpraktiker das Endziel der Schöpfung zu sein.“ Ob das der Schöpfer weiß? Nun, der Heilpraktiker weiß es, und der muss es ja wissen. Apokalyptiker und Endzeitphobiker müssen sich bei dieser Gewissheit immerhin weniger sorgen. Hoffentlich auch, was Trump angeht.
Wer den Willen des Schöpfers kennt, weiß, was zu tun ist: „Der Respekt vor diesen als sinnvoll anerkannten Gesamtzusammenhängen bestimmen sein Denken und Handeln.“ Welche Gesamtzusammenhänge konkret waren das nochmal? Dass alles von alleine gut wird, durch Selbstorganisation und Ordnungsprinzipien? Und wozu braucht man dann noch einmal genau den Heilpraktiker?
Natürlich dafür: „Er wird den Patienten im Sinne der Ordnungstherapie über die Zusammenhänge seines Leidens aufklären, dessen Erkenntnis hierüber fördern und ihn nach dem naturheilkundlichen Modell (lege artis) therapieren.“ Die Zusammenhänge seines Leidens kennt er ja bestens „unabhängig von Zeitströmungen, Systemzwängen oder dem jeweils herrschenden Wissenschaftsbild“, vermutlich durch das Sehen des Wesens der Dinge. Seher hatten uns normalen Menschen schon immer etwas voraus.
Wenn die Natur von alleine zum Heil strebt, muss es der Mensch sein, der das heile Leben verhindert: „Im Gegensatz zur eindeutig bestimmbaren Quantität ist die Lebenskraft ein Qualitätsbegriff. Deren Eigenschaften lassen sich nur durch das Verhalten einer Gesamtpersönlichkeit beurteilen.“ Und weiter: „Der Heilpraktiker stellt deshalb nicht nur die Krankheit als einen objektiven Tatbestand fest, sondern richtet sein Augenmerk auch auf die Gesamtperson des Kranken, die für die Erkenntnisse über den Krankheitsverlauf auch prognostisch in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt.“ Den Menschen in seinem Lebensalltag zu sehen, ist sicher nicht verkehrt, aber daraus wird in der Alternativmedizin nur allzu oft die Botschaft gemacht, du bist krank, weil du falsch lebst, oder weil etwas mit deiner Persönlichkeit nicht stimmt. Krankheit gleich Schuld, das ist nun wirklich uraltes Denken, aus Zeiten, als noch die Priester heilen mussten. Da geht es nicht mehr nur um Krankheit, sondern um richtiges und falsches Leben.
Das hätte übrigens durchaus Potential: „Die Naturheiltherapie zielt (…) darauf ab, durch die Beseitigung der Bedingungen, die eine Krankheit hervorrufen, unterhalten und fördern, (…) die Gesundheit wiederherzustellen.“ Wenn es um krankmachende Arbeitsbedingungen geht, um soziale Ungleichheit, das Tabakwerbeverbot oder weniger Feinstaub durch Holzöfen und Dieselautos – wo sind da all die Heilpraktiker?
Das Berufsbild geht in diesem Stil weiter, es folgt z.B. eine geradezu demokratische Sendung des Heilpraktikers: er erfülle „auch eine gesellschaftliche Aufgabe: Er verhindert in den ihm eigenen Bereichen gesundheitlicher Versorgung eine unserer demokratisch pluralistischen Gesellschaft unangemessene Monopolstellung der institutionalisierten Medizin und bildet praktisch eine Regulativfunktion, in dem durch sein Wirken nicht nur die Therapiefreiheit sinnvoll gewahrt wird, sondern auch die Wahlfreiheit des Bürgers nach einem von ihm persönlich bevorzugten Therapeuten.“
… und einem galligen Beigeschmack
Ich will es damit hier bewenden lassen, wer will, kann ja selbst weiterlesen. Nur einen Punkt will ich noch kurz ansprechen: Das „Berufsbild“ bekennt sich doch tatsächlich zur antiken Säftelehre: „In unserem Kulturkreis fußt die Heilkunde, auf die sich der Heilpraktiker bis heute beruft, auf den Säftelehren des griechischen Altertums, die sich im wesentlichen über das Mittelalter bis in die Humoralpathologie der Neuzeit erhalten haben.“ Einer der wichtigsten Vertreter der Säftelehre, Galen (130-200 n. Chr.) sah Krankheiten als Ungleichgewicht von vier Säften: Blut, Gelbgalle, Schwarzgalle und Weißschleim. Ich will Galen nicht kritisieren, er konnte es nicht besser wissen. Aber dass man heute noch so was offen als Grundlage des eigenen heilkundlichen Denkens akzeptiert – da geht mir dann doch die Galle über.
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